Deutsche EU-Ratspräsidentschaft
EU: Gesundheitspolitik wird Gemeinschaftsaufgabe
Mitten in einer tiefen ökonomischen Krise hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Die Gesundheitspolitik gewinnt als Gemeinschaftsthema an Gewicht.
Veröffentlicht:Berlin. Wie die Abhängigkeit Europas bei der Produktion von Arzneien, Impfstoffen und Schutzausrüstung verringert werden kann, beschäftigt die europäische Politik in den kommenden Jahren auf allen Ebenen. Die Gesundheitspolitik könnte daher künftig ein europäischeres Gesicht bekommen.
Die am Mittwoch beginnende deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird gesundheitspolitisch vier Schwerpunkte haben:
- Aufbau einer strategisch positionierten europäischen Gesundheitsindustrie.
- Aufbau einer europäischen Reserve an Arzneimitteln, Impfstoffen, Testkits und Schutzausrüstung.
- Ausbau des Europäischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -vorbeugung (ECDC) zu einer europäischen „Gesundheits-Taskforce“.
- Aufbau einer sicheren europäischen Dateninfrastruktur auch für den Austausch von Gesundheitsdaten.
Kompetenztransfer nach Brüssel?
„Es gibt eine große Einigkeit in den europäischen Institutionen, Parlament, Rat und Kommission, dass Gesundheit stärker gemeinsam betrachtet werden muss“, sagte der Arzt und Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) Dr. Peter Liese der „Ärzte Zeitung“ auf Anfrage. Es sei eine Falschbehauptung, dass die Kompetenz für Gesundheit im Allgemeinen bei den Mitgliedsstaaten liege, so Liese weiter. Der Vertrag von Lissabon werde immer unvollständig zitiert.
Tatsächlich heißt es dort: „Bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken wird ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt.“ Und weiter: „Das Europäische Parlament und der Rat können unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten (...) Maßnahmen zur Beobachtung, frühzeitigen Meldung und Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren erlassen.“
Liese stellt das Subsidiaritätsprinzip an sich nicht in Frage. Aber: Die Abhängigkeit von China und Indien bei der Wirkstoffproduktion zu verringern, sei keine Sache, die ein Mitgliedsstaat alleine schaffen könne.
„Wir müssen überzogene Erwartungen verhindern, aber Europa kann und wird mehr leisten“, ist sich Liese sicher. Konkret heißt das für den Europaparlamentarier zum Beispiel, grenzüberschreitende klinische Prüfungen und eine intensive Kooperation zur Erforschung von Impfstoffen einzuführen.
Kritische Infrastruktur ist Thema
Die kritische Infrastruktur beschäftigte auch die Teilnehmer am deutsch-französischen Gipfel am Montagabend in Meseberg bei Berlin. „Wie kann es sein, dass Wirkstoffe oder vielleicht in der Zukunft Impfstoffe gegen Corona und andere Krankheiten ausschließlich außerhalb Europas hergestellt werden“, sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. „Wir arbeiten mit Deutschland zusammen, um einen Corona-Impfstoff in Europa zu entwickeln.“ Die nun formulierten Ziele würden nicht aus den Augen verloren, nur weil sich die Pandemie eventuell abschwäche, kündigte Macron an.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hieb in die gleiche Kerbe. Die von der Europäischen Kommission angestoßene Zusammenarbeit bei der Impfstoffforschung sei eine der ersten Lehren aus der Pandemie. „Das wird aber noch eine ganze Weile dauern“, betonte Merkel. In Europa müssten mehr medizinische Daten ausgetauscht werden können, befand Merkel. Das Europäische Zentrum für Krankheitsvorbeugung und Kontrolle (ECDC) müsse gestärkt werden.
Grenzenlose Behandlungen
An der Basis, dort, wo Patienten behandelt werden, sind die Erwartungen an die EU-Ratspräsidentschaft konkret mit den Problemen während der Hochphase der Coronakrise verknüpft. Die Pandemie habe aufgezeigt, wie schwierig es ist, Behandlungsbedarf und Behandlungsmöglichkeiten über nationale Grenzen hinweg zusammenzubringen, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum am Dienstag.
Die Krankenhäuser erwarteten, dass die Staaten die grenzüberschreitenden Behandlungen entbürokratisierten. Dafür bedürfe es vereinfachter Kostenübernahmegarantien für Gesundheitskrisen und bei Großschadensereignissen.
So geht der Ratsvorsitz
Rat der Europäischen Union: Die Länder der Union übernehmen im halbjährlichen Wechsel die Ratspräsidentschaft. Zuletzt hatte Deutschland den Vorsitz 2007.
Trio-Präsidentschaft heißt, dass Deutschland die Arbeit mit Portugal und Slowenien koordiniert, die die beiden Präsidentschaften 2021 innehaben. Anfang 2022 folgt Frankreich.
Die Ratspräsidentschaft organisiert und leitet die geschätzt 1500 Arbeitstreffen in rund 200 Arbeitsgruppen im kommenden Halbjahr.
Die Themen der deutschen Präsidentschaft werden stark von der Corona-Pandemie bestimmt. Dazu kommen der Finanzrahmen (Haushalt), Klimaschutz, Digitalisierung, Rechtsstaatlichkeit und die Europa-Außenpolitik.
Ministerrat ist ein anderer Begriff für Rat der Europäischen Union. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat seine Kollegen bereits für Mitte Juli nach Berlin eingeladen.
In Trilogverhandlungen zwischen Rat, Europäischer Kommission und Parlament wird die europäische Gesetzgebung verhandelt.