Leber-Transplantation
Ein Qualitätsproblem und ein Dementi
Ein Zeitungsbericht hat die Transplantationsmediziner erschreckt: Wurde in zwei weiteren Zentren gegen die Richtlinien verstoßen? Es gibt ein Dementi - und ein Qualitätsproblem.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Die Transplantationsmedizin kommt nicht aus den Schlagzeilen. Am Montag machte die Hiobsbotschaft die Runde, dass es an zwei deutschen Lebertransplantationszentren "zweifelhafte Organspenden" gegeben haben soll.
Berichtet hat das die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Informationen aus der zuständigen Prüfungs- und Überwachungskommission, kurz PÜK.
Demnach sollen an der Uniklinik in Münster Patienten eine neue Leber ohne die dafür nötige Indikation erhalten haben.
An der Uniklinik Essen, die Deutschlands größtes Lebertransplantationsprogramm unterhält, sollen dem Bericht zufolge "zu kranke Patienten grenzwertige Organe" erhalten haben.
Nur wenig Substanz im Bericht?
Die Nachricht kommt wenige Tage nachdem alle fünf Fraktionen im Bundestag per Entschließungsantrag mehr Transparenz in der deutschen Transplantationsmedizin gefordert hatten.
Die Meldung ist außerdem geeignet, die latenten Diskussionen über die Struktur des deutschen Systems hochkochen zu lassen - etwas, das Politiker und Experten aus der Transplantationsmedizin angesichts der sinkenden Organspendezahlen derzeit meiden wie der Teufel das Weihwasser.
Doch womöglich steckt hinter dem Bericht der "Süddeutschen" nur wenig Substanz. Denn Personen, die mit der Überprüfung der Programme vertraut sind, haben die Vorwürfe gegenüber der "Ärzte Zeitung" weitgehend dementiert.
Demnach soll in der Kommission zwar über die Frage der Leberqualität diskutiert worden sein. Einen Vorwurf, dass dort minderwertige Lebern an nicht geeignete Patienten transplantiert wurden, mache die PÜK dem Uniklinikum Essen allerdings nicht. Auch von Richtlinienverstößen ist wohl keine Rede.
Ähnlich ist es offenbar auch mit Münster. Dort sollen angeblich Patienten eine Leber ohne einschlägige Indikation erhalten haben. Kryptisch ist die Rede, es gehe um Dialysen.
Zur Erinnerung: Laut den Richtlinien der Bundesärztekammer ist eine Transplantation indiziert, wenn eine Erkrankung damit behandelt werden kann, die ansonsten fortschreiten würde - etwa die klassische Leberzirrhose. Kontraindikationen sind nicht behandelte Erkrankungen anderer Organe, sich verschlimmernde Infektionen und absehbare Komplikationen während der Op.
Offenbar ging es in Münster allerdings gar nicht um falsche Indikationen, sondern um die Frage der Dialysebehandlung. An der Einrichtung werden Patienten mit Leberversagen oder Insuffizienz auch mit dem MARS-Verfahren behandelt.
Das Molecular-Adsorbent-Recirculation-System ist eine Leberdialyse. Mittels Serumalbumin werden Giftstoffe aus dem Blut befördert. So soll die geschädigte Leber entlastet werden und Zeit erhalten, sich zu regenerieren.
Damit lässt sich die Zeit bis zur Transplantation überbrücken und in manchen Fällen eine Organtransplantation sogar vermeiden.
Fraglich scheint am UK Münster wenn überhaupt die Indikation zur Dialyse. Darüber führt die Uniklinik derzeit eine Fach-Diskussion mit der PÜK.
Geringere Überlebensraten
Der Bericht der "Süddeutschen" wirft allerdings ein Schlaglicht auf die Qualität des deutschen Transplantationswesens insgesamt. Hierzulande werden Organe vornehmlich wegen Dringlichkeit vermittelt, also an die kränkesten Patienten.
Dafür steht etwa der MELD-Score, der die Schwere der Erkrankung bei der Lebertransplantation misst. Andere Staaten hingegen ziehen in die Organ-Allokation auch Werte für die Erfolgsaussicht mit ein - mit Vorteilen für das langfristige Überleben der Patienten.
Im weltweiten Vergleich nimmt Deutschland bei den Überlebensraten keine Spitzenposition ein. Experten vermuten, dass dies in der Bundesrepublik eben auch an der Zuteilung nach Dringlichkeit liegt.
Am Uniklinikum Essen werden offenbar verhältnismäßig mehr Lebern geringerer Qualität transplantiert. Die Drei-Jahres-Überlebensrate liegt dort bei nur 57,5 Prozent, wie aus dem Tätigkeitsbericht der Klinik hervorgeht.
Damit rangiert das das Zentrum weit unter dem internationalen Schnitt von 70 bis 80 Prozent. Auch die meisten anderen großen deutschen Leberzentren erreichen im Schnitt diese Werte.
Allerdings lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen, was der Grund für die sinkenden Überlebensraten sind. Denkbar wäre auch, dass in Essen Patienten mit einer größeren Morbidität versorgt werden.