Organspende-Skandal

"Ein starkes Stück"

Die manipulierten Wartelisten von Göttingen könnten zu einem der größten Medizinskandale der Republik werden. Nun gerät auch die Klinik zunehmend in die Kritik - und der Ruf nach einem Entzug der Approbation wird lauter.

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Werben für die Organspende: Der Skandal von Göttingen kratzt am Vertrauen der Bürger.

Werben für die Organspende: Der Skandal von Göttingen kratzt am Vertrauen der Bürger.

© Julian Stratenschulte / dpa

BERLIN/GÖTTINGEN (dpa). Wenige Tage vor einer Änderung des Transplantationsgesetzes werden Rufe nach Konsequenzen aus dem Göttinger Transplantationsskandal lauter.

Politiker, Ärzte und Patientenvertreter sehen auch Kliniken in der Pflicht - sie müssten künftig ihrer Verantwortung der Aufsicht besser gerecht werden.

Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Professor Karl Lauterbach, forderte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) zudem eine Reform der Vergütung von Chefärzten.

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Frank Ulrich Montgomery, sagte dem Blatt, es müsse geklärt werden, ob die Selbstkontrolle in den Kliniken ausreichend funktioniere.

Die zum Monatswechsel in Kraft tretende Reform des Transplantationsgesetzes sieht vor, dass eine bei der BÄK angesiedelte Prüfungskommission Transplantationszentren und Entnahmekrankenhäuser genauer unter die Lupe nimmt.

Bei Verstößen müssen die zuständigen Länderbehörden informiert werden. Entnahmekrankenhäuser müssen zudem künftig verpflichtend Transplantationsbeauftragte bestellen.

Kliniken in der Verantwortung

In Göttingen sollen zwei Ärzte die Labordaten von Dutzenden Patienten derart geändert haben, dass ihre Patienten auf den Wartelisten für Organe weiter nach oben rückten.

Gegen die beiden Mediziner der Uniklinik wird derweil wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und wegen möglicher Bestechlichkeit ermittelt. Patienten seien wegen der Manipulationen womöglich nicht mehr rechtzeitig an ein Organ gekommen und gestorben, sagte ein Staatsanwalt.

Einer der Ärzte soll auch an seiner vorherigen Arbeitsstätte in Regensburg schon 2005 für Missstände bei Transplantationen gesorgt haben.

"Dass in Göttingen von den Regensburger Vorfällen überhaupt nichts bekannt gewesen sein soll, ist schon ein starkes Stück", sagte Montgomery.

Es müsse geklärt werden, ob bei der Auswahl von Führungspersonal für die Transplantationsmedizin wirklich gewissenhaft gearbeitet wird. Da stehen die Klinikträger in besonderer Verantwortung».

Der "FAS" sagte Montgomery, er sehe als Folge des Skandals einen "schweren Vertrauensverlust" für die Transplantationspraxis. Es werde schwer sein, das Vertrauen wieder herzustellen.

Approbationsentzug gefordert

"Gegen eine absolute kriminelle Energie ist aber eigentlich kein Kraut gewachsen", sagte er. Wie Montgomery forderte auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn, am Sonntag den Entzug der Approbation für die Göttinger Ärzte.

Wenn die Göttinger Fälle keine schweren Konsequenzen haben sollten, müsse man in der Koalition überlegen, ob man die Transplantation nicht in staatliche Hände geben müsste.

Außerdem müssten von allen Transplantationszentren in Deutschland die Akten untersucht werden, forderte der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch.

"Vielleicht gibt es auch noch andere Täter", begründete er dies in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

In diesem Zusammenhang forderte er, dass eine Staatsanwaltschaft für medizinische Fragen als Schwerpunktstaatsanwaltschaft eingerichtet wird. "Diese sollte bundesweit ermitteln."

Auffälligkeiten womöglich schon seit 1995

Die Göttinger Uniklinik teilte am Samstag zudem mit, dass sich infolge des Transplantationsskandals ein ehemaliger Mitarbeiter gemeldet und von "Auffälligkeiten in früheren Jahren" berichtet habe. Der Hinweis werde ernst genommen und sei an die Staatsanwaltschaft weitergegeben worden.

Das "Göttinger Tageblatt" hatte zuvor berichtet, dass mehrere Hinweise auf Ungereimtheiten bis in die 90er-Jahre zurückreichen.

Schon 1995 hätten Kollegen des nunmehr Verdächtigen an der Rechtmäßigkeit der großen Anzahl von Organtransplantationen gezweifelt, schreibt die Zeitung. Die Klinik bestreitet dies allerdings.

Zu den Vorwürfen der Bestechlichkeit haben sich die Anwälte der beiden Mediziner nach Angaben der Staatsanwaltschaft Braunschweig noch nicht bei den Ermittlungsbehörden geäußert.

"Bislang hatten beide Verteidiger auch noch keine Akteneinsicht", sagte Staatsanwältin Serena Stamer. Dagegen hatte einer der Anwälte dem Nachrichtenmagazin "Focus" gesagt: "Mein Mandant bestreitet, jemals von Patienten Geld genommen zu haben."

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