Hepatitis C
Eine Arznei wertvoller als Gold
700 Euro pro Pille: Der Preis von Sofosbuvir (Sovaldi®) ist ein Aufreger. Das neue Hepatitis-C-Präparat birgt für einige Patienten einen beträchtlichen Zusatznutzen. Doch ob das den hohen Preis rechtfertigt, daran scheiden sich die Geister.
Veröffentlicht:20-mal wertvoller als Gold, 1000 Dollar oder 700 Euro pro Pille, 60.000 Euro für einen Therapiezyklus: Es sind in der Tat Rekordzahlen, die das Pharma-Unternehmen Gilead mit dem seit Jahresanfang zugelassenen Sofosbuvir zur Therapie von Hepatitis C produziert.
Rekorde, die eine heftige Debatte um den Preis nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA ausgelöst hat.
Würden alle 300.000 Hepatitis-C-infizierten Menschen in Deutschland mit Sofosbuvir behandelt werden, würde das die Krankenkassen rund 18 Milliarden Euro kosten, das sind fast zwei Drittel der gegenwärtigen GKV-Ausgaben für Arzneimittel.
In jedem Fall ein Blockbuster
Aber auch wenn Ärzte das Mittel nur bei jener Gruppe von Patienten einsetzen würden, für die der Gemeinsame Bundesausschuss einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen anerkannt hat, würde Sofosbuvir seine Blockbuster-Qualität behalten.
Nur für eine Teilpopulation von 4600 therapienaiven Patienten mit cHCV-Infektion mit dem Genotyp 2 leistet Sofosbuvir in Kombination mit Ribavirin im Vergleich zu Peginterferon alfa plus Ribavirin einen beträchtlichen Zusatznutzen.
In allen anderen Subgruppen sah der Bundesausschuss lediglich einen Anhaltspunkt für einen geringen Nutzen, in weiteren wurde kein Zusatznutzen anerkannt.
Diese 4600 Patienten haben eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, das Virus los zu werden und damit Aussicht, von der Krankheit geheilt zu werden. Schwere Spätschäden wie Leberzirrhose oder Leberkrebs mit kostenträchtigen Therapien bis hin zur Lebertransplantation könnten vermieden werden. Für die betroffenen Patienten ist das Medikament also ein Segen.
Nun ist auch in Deutschland, jenem Land, in dem Gesundheit immer wieder als das teuerste und wertvollste Gut apostrophiert wird, eine hitzige, wenig rationale Debatte um den Preis entbrannt.
Denn weder Produktions- noch Forschungs- und Entwicklungskosten können den Preis hinlänglich erklären. Die reinen Produktionskosten für einen Behandlungszyklus werden auf lediglich 100 Euro taxiert.
In der Pharma-Industrie werden F+E-Kosten im Durchschnitt mit 1 bis 1,2 Milliarden Dollar angegeben.
Bei Sofosbuvir liegen die Dinge etwas anders. Gilead hat den Wirkstoff nicht selbst entwickelt, sondern die kleine Biotech-Firma Pharmasset. Diese Firma kaufte Gilead 2011 für elf Milliarden Dollar - ein gigantischer Poker um einen potenziellen zukünftigen Blockbuster.
Dass dieses Geld wieder eingespielt wird, daran dürfte kein Zweifel bestehen. Die tatsächlichen Umsätze von Sofosbuvir liegen inzwischen deutlich über den Erwartungen von Finanzanalysten. Bereits im zweiten Quartal erzielte Gilead mit Sofosbuvir weltweit 3,5 Milliarden Dollar.
Auch in den USA hat sich eine heftige Debatte um die Kosten und die Preise von Sofosbuvir entwickelt, die aber auch hierzulande Relevanz haben kann. Von System-sprengender Wirkung wird gesprochen, wenn alle 2,7 bis vier Millionen US-Patienten mit HCV Sofosbuvir erhielten, so würde dies 227 bis 336 Milliarden US-Dollar kosten.
Kostenexplosion am Ende
Die Frage aber, ob Sofosbuvir diese Kosten wert ist, kann nur dann beantwortet werden, wenn vermiedene schwere Spätkomplikationen wie Zirrhose und Leberkrebs zu einem späteren Zeitpunkt zu entsprechenden Kostenentlastungen führen.
Nach Berechnungen der US-Regierung kostet die reine HCV-Behandlung (ohne Erkrankung der Leber) pro Patient jährlich 8529 Dollar. Tritt eine Leberzirrhose hinzu, schnellen die Behandlungskosten auf fast 31.000 Dollar.
Kommt es zum Leberkrebs, erreichen die Kosten 187.000 Dollar, und für eine Lebertransplantation rechnet man mit 668.000 Dollar. Im Grunde muss also der Einsatz von Sofosbuvir als eine Art Investition in zukünftige Gesundheit angesehen werden.
Diese Betrachtungsweise ist für Gesundheitssysteme wie das NHS in Großbritannien kein Problem: Es gibt nur eine Versicherung, in der alle Bürger des Vereinigten Königreichs lebenslang versichert werden.
Die Rendite der Investition in Gesundheit fließt der gesamten Versichertengemeinschaft später wieder zu.
Anders in Deutschland oder auch in den USA mit ihren wettbewerblichen Krankenversicherungssystemen. In den USA sind die meisten Bürger - wenn sie denn eine Versicherung haben - privat oder über ihren Arbeitgeber versichert. Solange sie im Arbeitsleben stehen.
Risikoselektion bei Versicherungswechsel
Die weitaus meisten Hepatitis-Patienten sind dort versichert. Mit dem Eintritt in den Rentner-Status wechseln die Versicherten aber automatisch zu Medicare, der Versicherung für die Älteren.
So kommt es zu einer Risikoselektion: Während die Versicherungen der Aktiven mit den Behandlungskosten von Sofosbuvir belastet werden, profitiert Medicare von den vermiedenen teuren Spätkomplikationen, ohne dafür eine Leistung erbracht zu haben.
Eine ähnliche, nicht ganz so krasse Konstellation entsteht in Deutschland unter den Bedingungen des Kassenwettbewerbs und der Möglichkeit des Kassenwechsels.
Diejenige Kasse, die von einem mit Sofosbuvir behandelten Versicherten verlassen wird, bleibt auf ihren Kosten sitzen und hat keine Teilhabe am ökonomischen Ertrag dieser Gesundheitsinvestition.
Es sei denn, der Gesetzgeber würde den Risikostrukturausgleich um eine solche, nicht ganz einfache Komponente ergänzen.