Prävention

Eine Perspektive für krebskranke Menschen

Wie lässt sich Lebensqualität von Krebspatienten während ihrer Therapie und danach nachhaltig verbessern? In Hessen gibt es wegweisende Konzepte.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Eine Perspektive für krebskranke Menschen

© Fuse / Thinkstock

Die immensen Fortschritte in der onkologischen Versorgung haben die Heilungschancen von Krebspatienten erhöht und deren Lebenserwartung deutlich verlängert. Ging es früher noch darum, das Leid Betroffener am Ende ihres Lebens zu lindern, so steht heute vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Lebensqualität von Krebspatienten während ihrer Therapie und im Anschluss daran nachhaltig verbessern lässt. Wegweisende Initiativen zur Prävention von Krebs und Verbesserung der Lebensqualität Betroffener wurden auf dem Symposium "Hessen gegen Krebs" im Schloss Biebrich in Wiesbaden vorgestellt.

Verletzt und traurig

Wie dringend solche Angebote gebraucht werden, illustrierte die Psychologin Hanna Bohnenkamp, Leiterin der Psychosozialen Krebsberatungsstelle der Hessischen Krebsgesellschaft in Frankfurt am Main, anhand aktueller Erhebungen. Danach ist etwa die Hälfte der Krebspatienten psychosozial belastet, und ein Drittel leidet an einer psychischen Störung. Gefühle wie Verletzlichkeit, Traurigkeit und Angst sind weit verbreitet, nicht wenige Patienten leiden zudem unter Depression, Angststörungen, Panik und sozialer Isolation.

Die Belastungen und Störungen werden in der Versorgungspraxis häufig nicht erkannt oder unangemessen therapiert. Im vergangenen Jahr, so Bohnenkamp, hätten allein in Hessen 1300 Krebspatienten und ihre Angehörigen Hilfe in einer der landesweiten Krebsberatungsstellen gesucht, wobei es in der Regel um psychische, häufig jedoch auch um ökonomische Aspekte rund um die Erkrankung ging.

Erfolgreiche Kampagnen zur Unterstützung von Menschen mit Krebs stellte Professor Catharina Maulbecker-Armstrong vom Fachbereich Gesundheit der Technischen Hochschule Mittelhessen und Beirätin in der Hessischen Krebsgesellschaft in Wiesbaden vor. Alle Projekte zielten darauf ab, "Krebs in die Mitte des Lebens zu bringen", erläuterte die Biochemikerin. Während sich die Kampagne "1000 mutige Männer" den Vorsorgemaßnahmen gegen Darmkrebs widmet, trägt die Aktion "Schatten, Shirt & Sonnencreme" das Thema Hautkrebs in die Sportvereine, Schulen und Kitas. Sehr erfolgreich sei auch die Initiative "du bist kostbar", in der Krebspatienten ihre Geschichte erzählen und Leidensgenossen Mut machen; die 2012 von der Hessischen Krebsgesellschaft gestartete Kampagne kommt inzwischen bundesweit zum Einsatz.

Auch ein derzeit im Kreis Bergstraße laufendes Modellprojekt soll seines Erfolgs wegen demnächst auf andere Kreise ausgeweitet werden. Hier geht es um eine freiwillige Impfung gegen humane Papillomaviren (HPV) in Schulen. Derzeit liegt die HPV-Impfrate bundesweit bei etwa 30 Prozent. In der Schweiz, so Jäger, seien es mehr als 80 Prozent. Bei dem Projekt, an dem sich ortsansässige Pädiater, Gynäkologen und Hausärzte beteiligen, werden Grundschülerinnen der vierten Klassen aufgeklärt und bei Einverständnis der Eltern gegen HPV geimpft. "Wir haben erreicht, dass 75 Prozent der Eltern einer Impfung ihrer Töchter zugestimmt haben", berichtete Maulbecker-Armstrong. "34 Prozent der Impfungen fanden in Schulen statt."

Appetitlosigkeit und Erschöpfung

"Genussvoll essen – gestärkt gegen Krebs" – so lautet das Motto spezieller Workshops und Kochkurse für Krebskranke und deren Angehörige. "Bis zu 60 Prozent aller onkologischen Patienten sind von Gewichtsabnahme betroffen", erklärte Dr. Ulrike Kreinhoff, Ökotrophologin und Geschäftsführerin der Sektion Hessen in der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V., in Wiesbaden.

Ursachen seien beispielsweise Appetitlosigkeit, Geschmacksverlust oder –veränderung, Erschöpfung und Lustlosigkeit. Statt sich zum Essen zwingen zu müssen, wollen Kreinhoff und ihre Kollegin Ingeborg Rötzer, Leiterin der Ernährungstherapie im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, ihren Patienten positive Geschmackserlebnisse verschaffen und durch das Gruppenerlebnis die Lust am gemeinsamen Kochen bereiten. Die Erfolge geben ihnen recht: Teilnehmer nehmen tatsächlich wieder zu, ernähren sich dauerhaft gesünder, freuen sich wieder aufs Essen und sehen optimistischer in die Zukunft.

Erfolgreiche Präventionsmodelle

  • Rudern gegen Krebs – eine Präventionsregatta, an der auch Ärzte teilnehmen und die zum Rudern animieren soll
  • Urlaubsangebote. Motto: Gemeinsam unterwegs
  • Kochkurse mit Workshops für Patienten und Angehörige

Neben der Ernährung können auch Kunst und Sport die Lebensqualität von Krebspatienten entscheidend verbessern. Darüber berichtete in Wiesbaden Professor Elke Jäger, Chefärztin der Klinik für Onkologie und Hämatologie am Krankenhaus Nordwest in Frankfurt am Main und Mitglied im Vorstand der Stiftung Leben mit Krebs. Seit 2005 trägt die Stiftung die Benefizregatta "Rudern gegen Krebs" aus, an der in der Regel auch Ärzte teilnehmen. Dabei wird Geld gesammelt, mit dem Sportprogramme für Betroffene finanziert werden. In diesem Jahr steht die bereits 100. Regatta auf dem Programm. Darüber hinaus gibt es Initiativen wie "Golfen gegen Krebs" und "Kunst zum Leben", das Krebspatienten zu Malkursen und Workshops einlädt und Museumsführungen organisiert.

Sport, führte Elke Jäger aus, vermindere die therapiebedingten Nebenwirkungen, verbessere das psychische Wohlbefinden, leiste einen aktiven Beitrag zur Genesung und erhöhe die körperliche Belastbarkeit. "Ich war verblüfft zu sehen, dass bei den Teilnehmern schon nach drei Wochen Training eine spürbare Steigerung der Kondition zu verzeichnen war", sagte Jäger, die sich selbst eine "begeisterte Onkologin und begeisterte Sportlerin" nennt. Vor allem das Fatigue-Syndrom, das 80 Prozent aller Krebspatienten lähme, werde durch Sport vermindert. Wie die Kochkurse fördere auch das Gemeinschaftserleben Sport soziales Miteinander. 65 Prozent aller, die an spezifischen Sportprogrammen für Krebspatienten teilnähmen, seien sportunerfahren.

Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden die Initiativen "Gemeinsam unterwegs" und "Lebensmut durch Reisen". Hier knüpfe man das Abenteuer Urlaub an Aktivprogramme, etwa Skilanglauf, Wandern oder Yoga. Alle Reisen würden von Ärzten und Trainern begleitet. "Der sichere Rahmen, das Erlebnis in der Gruppe, der Erfahrungsaustausch unter den Patienten und die Mobilisierung der körperlichen Selbstverantwortung machen diese Reisen so besonders", fasste Jäger zusammen.

Wo es aus der Sicht Betroffener im Alltag oft noch hakt, berichtete beim Symposium in Wiesbaden Professor Markus Pretnar, Dozent für Innenraumentwurf und Farblehre an der Fachhochschule Mainz. Er erkrankte vor einem Jahr an Speiseröhrenkrebs. Schon die Diagnose sei "furchterregend abstrakt" gewesen, weshalb er zu Beginn die Aufklärung in den Fokus rückte und Ärzte ermunterte, auch die vermeintlich banalen Fragen patientengerecht zu beantworten.

Ein schlimmer Ort

Den versammelten Experten präsentierte Pretnar sodann ein Foto jenes Raums, in dem er vor einem Jahr seine Chemotherapie erhielt. "Kein Ort könnte schlimmer aussehen!", stöhnte er, und die Reaktion seiner Zuhörer gab ihm recht. Weiterhin forderte er "so wenige stationäre Aufenthalte wie irgend möglich, Befundbesprechungen direkt nach jeder Untersuchung, gebündelte und zeitnahe Nachsorgetermine, die Möglichkeit, sich in einer Klinik vernünftig zu ernähren, und eine funktionierende Internetverbindung im Krankenzimmer."

Ihm selbst habe damals geholfen, sich schon früh Ziele zu setzen. Dazu zählten weniger Freizeitstress, Fokussierung auf Familie und Freunde, schnellstmöglicher Wiedereinstieg in den Beruf, Beteiligung an allen Therapieentscheidungen, durchgängig Sport zu treiben und die Ernährung umzustellen. Unter keinen Umständen habe er einen Port gewollt und eine Reha mit alten Leuten. Der Kochkurs, an dem er zwei Monate nach seiner Therapie teilgenommen habe, sei "eine unglaublich tolle Erfahrung" gewesen, natürlich der gewünschten Ernährungsumstellung wegen, aber auch weil das tägliche Kochen seinem Leben Rhythmus gegeben und seine Lebensqualität verbessert habe. Außerdem habe er viele nützliche Dinge gelernt, etwa zu backen. "Seither liebe ich es. Backen ist wie Meditation!"Schließlich habe er sich auch wie geplant "ins Fitnessstudio gequält", erzählte Pretnar und dadurch schon bald "wieder ein positives Körpergefühl" entwickelt. Sport verscheuche tatsächlich die Müdigkeit und helfe zudem gegen die Nebenwirkungen der Therapie."

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