Bundeskabinett

Entlastung für Versicherte beschlossen

Spahns erstes Gesetzespaket hat das Kabinett passiert. Im Vergleich zum ersten Aufschlag enthält es einen Kompromiss in Sachen Kassenüberschüsse. Zudem lässt die Bürgerversicherung grüßen: Zeitsoldaten sollen Beitragszuschüsse statt Beihilfe erhalten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Austausch vor der Kabinettssitzung: Arbeitsminister Hubertus Heil , Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Gesundheitsminister Jens Spahn, Familienministerin Franziska Giffey, und Außenminister Heiko Maas (v.l.).

Austausch vor der Kabinettssitzung: Arbeitsminister Hubertus Heil , Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, Gesundheitsminister Jens Spahn, Familienministerin Franziska Giffey, und Außenminister Heiko Maas (v.l.).

© Nietfeld / dpa

BERLIN. Die gesetzlich Krankenversicherten sollen um rund acht Milliarden Euro im Jahr entlastet werden. Das hat das Bundeskabinett heute beschlossen und den Gesetzentwurf an den Bundestag weitergeleitet. Zustimmungspflichtig im Bundesrat ist es nicht.

"Ein guter Tag für die Versicherten", sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Anschluss an die Sitzung von Angela Merkels Ministerrunde. Der Wettbewerb der Kassen untereinander werde befeuert, weil von einigen Kassen angehäufte Finanzreserven ihn nicht mehr verzerren könnten.

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Es wird aber mindestens ein Jahr länger dauern, bis die Versicherten von der vollen ins Auge gefassten Entlastungssumme profitieren können. Das Versichertenentlastungsgesetz sieht nämlich nicht mehr ganz so aus, wie Spahn es am 19. April vorgestellt hatte.

Ursprünglich wollte er einige Kassen schon ab kommendem Jahr zwingen, einen Teil ihrer Überschüsse dafür aufzuwenden, binnen drei Jahren die Zusatzbeiträge für ihre Versicherten zu senken.

Morbi-RSA soll neu aufgestellt werden

Diese Vorschrift steht zwar nach wie vor in der Kabinettsvorlage, ist aber an eine Bedingung geknüpft. Sie soll erst 2020 in Kraft treten und auch nur dann, wenn vorher der Finanzausgleich der Kassen untereinander, der sogenannte Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), neu aufgestellt sein wird.

Die Gesundheitsfachpolitiker beider Regierungsfraktionen hatten an dieser Stelle Änderungsbedarf angemeldet. Grund: Lediglich 68 der 112 Kassen horten Überschüsse über die gesetzlich vorgeschriebene Mindesthöhe von einer Monatsausgabe hinaus.

Über alle Kassen gibt es ein Finanzpolster von knapp 20 Milliarden Euro. Dazu kommt der Bestand des Gesundheitsfonds von derzeit gut neun Milliarden Euro.

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Der Gesetzentwurf sieht in seiner aktuellen Fassung daher vor, dass zunächst auf der Grundlage von Gutachten festgestellt werden soll, ob die Kassenreserven fair verteilt sind, und ob die Regeln des Finanzausgleichs stimmig sind.

Kritik hält an

Die Verschiebung der Abschmelzregel auf 2020 lässt die generelle Kritik daran nicht verstummen. Die europa-und weltpolitischen Krisen ließen die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer, auf mögliche Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hinweisen.

„Das ist ein wesentlicher Grund, warum wir die Pläne, die Rücklagen der Kassen abzuschmelzen, kritisch sehen“, sagte Pfeiffer bei einem Empfang des Verbands am Dienstagabend.

Von Seiten der Innungskrankenkassen wird angedeutet, dass die Kassen die Überschüsse eher zu ihrem Vorteil einsetzen würden, als sie den Versicherten zurückgeben zu müssen.

Die Regel werde zu einem frühen Preiskampf der Kassen untereinander führen, prognostizierte der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Innungsrankenkassen, Hans Peter Wollseifer.

„Das Ziel zukunftsorientierter Gesundheitspolitik kann aber kein Preiskampf sein, sondern vielmehr der Wettbewerb um Qualität“, sagte Wollseifer. Zudem rechne er damit, dass die Kassen stark in Leistungs- und Verwaltungsausgaben investierten, um Vermögen „klein zu rechnen“.

Spahn: "Versicherte schon im Vorgriff entlasten"

Dem Gesundheitsminister scheint zumindest die Idee des frühzeitigen Preiskampfes nicht unrecht zu sein. Er setze darauf, dass sich die Kassen Gedanken machten, was die für 2020 vorgesehene Abschmelzregel bereits 2019 für sie bedeuten könne, sagte Jens Spahn am Dienstagabend vor Kassenvertretern.

Dann wurde er deutlich: „Sie können früh mit dabei sein, ihre Versicherten schon im Vorgriff zu entlasten. Ich kann Sie dazu nur ermuntern, wenn Sie von einer Kasse sind, die die Möglichkeiten dazu hat“, sagte Spahn.

In der Unionsfraktion wird die neue Taktung des Gesetzes begrüßt. „Wir konnten vor allem im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit einer Regelung zum Morbi-RSA im Gespräch sehr gute Ergebnisse erzielen“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion, Karin Maag (CDU), am Dienstag der „Ärzte Zeitung“. Die anderen den Beitragszahlern zugesagten Entlastungen sollten aber am 1. Januar 2019 in Kraft treten.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmer äußerte Zweifel, ob der gesetzte Zeitrahmen ausreiche, den Risikostrukturausgleich zu reformieren und ein Abschmelzen der Kassenrücklagen einzuleiten.

"Qualität geht vor Schnelligkeit", sagte sie der "Ärzte Zeitung". Sie werde zudem im parlamentarischen Verfahren ansprechen, an die RSA-Reform noch eine Evaluationsphase anzuschließen. Es sei nicht im Interesse der SPD-Fraktion, dass die Kassen Geld horten. Die Rücklagen sollten vielmehr in eine bessere Versorgung fließen.

Die Entscheidung, den Morbi-RSA zu reformieren, bevor die Finanzreserven abgeschmolzen werden, bezeichnete auch Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands, als notwendig. Daher sei der nun vollzogene Schritt im Kabinettsentwurf zum GKVAls -Versichertenentlastungsgesetz (GKV-VEG) begrüßenswert.

Dennoch fordert Knieps Tempo ein, um die Unwuchten des Morbi-RSA und die damit einhergehende ungerechte Verteilung der Finanzmittel unter den Kassen zu beenden.

"Wir nehmen die Politik beim Wort und fordern, dass die ersten Schritte zur Reform des Morbi-RSA (nach der Sommerpause) spätestens im Herbst dieses Jahres angegangen werden, damit das GKV-System insgesamt auf eine stabile finanzielle Basis gestellt wird", so Knieps in einer Mitteilung des Verbands.

Das Versichertenentlastungsgesetz im Detail:

  1. Parität: Den Löwenanteil der Entlastung trägt die paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrags ab Januar 2019. Rund 6,9 Milliarden Euro verbleiben damit in den Taschen der Versicherten.
  2. Kleine Selbstständige: Kleinunternehmen sollen von einer Halbierung der Mindestbemessungsbeiträge profitieren. Damit halbiert sich auch der Mindestbeitrag, und zwar auf 171 Euro ab 2019.
  3. Beitragsschulden: Die Kassen führen fiktive Beitragsschulden in erheblicher Höhe in ihren Büchern. Grund sind ungeklärte Mitgliedschaften. Künftig soll gelten: Wenn ein Mitglied nur noch als "Karteileiche" existiert, sollen die Kassen die Mitgliedschaft beenden können. Zuweisungen aus dem Risikostrukturausgleich müssen an den Fonds zurückgezahlt werden.
  4. Altersrückstellungen: Der Aktienanteil an Anlagen, mit denen die Krankenkassen ihre betriebsinternen Altersrückstellungen absichern, wird von 10 auf 20 Prozent erhöht. Das entspricht Regelungen im Versorgungsrücklagegesetz des Bundes.
  5. Soldaten: Ehemalige Zeitsoldaten sollen ab 1. Januar ein einheitliches Beitrittsrecht zur freiwilligen Versicherung in der GKV. Nach Ende ihrer Dienstzeit erhalten sie einen Zuschuss zu den Beiträgen, der anstelle der bisherigen Beihilfe geleistet werden soll.

Der Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 6.6.2018 um 17.15 Uhr.

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