Fälschungen sind fast immer miserabel
ESCHBORN (dpa). Mit bloßem Auge sind die beiden blauen Pillen nicht zu unterscheiden. Doch zwei Kurven auf einem Computer-Bildschirm beweisen den Verdacht: Die eine Tablette enthält die vorgeschriebene Menge des Viagra®-Wirkstoffs Sildenafil, in der anderen ist kein bisschen davon. Das Zentrallaboratorium (ZL) Deutscher Apotheker in Eschborn bei Frankfurt entlarvt mit ausgeklügelten Analyseverfahren gefälschte Medikamente aus dem Internet - teilweise handelt es sich um lebensgefährliche Produkte.
Veröffentlicht:Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzt, dass weltweit etwa zehn Prozent aller Arzneimittel Fälschungen sind. In Deutschland seien im vergangenen Jahr 2400 Fälle aufgedeckt worden. "Am häufigsten gefälscht werden Lifestyle-Produkte wie Potenzpillen, Schlankheitstabletten oder Haarwuchsmittel", sagt Mona Tawab, Assistentin der wissenschaftlichen Leitung. Die 35 Mitarbeiter des ZL bestellen über das Internet Produkte aus dem Ausland, um deren Qualität zu überprüfen - und die ist fast immer miserabel.
Falsche Verpackung ist das harmloseste Problem
Die harmloseste Version einer Fälschung ist eine falsche Verpackung: Die Schachtel ist neu, aber das Verfallsdatum der Pillen ist abgelaufen. Oder der Beipackzettel ist in einer Fremdsprache verfasst und sichtlich nur kopiert. Oder die Tabletten werden lose in einem Plastiktütchen an die Kunden verschickt.
Aber auch bei gefälschten Pillen gibt es Unterschiede: Mal finden die Laboranten Substanzen, die nicht hineingehören, mal ist weniger Wirkstoff enthalten als vorgeschrieben, und manchmal ist gar keiner zu finden. Wer glaubt, das sei der harmloseste Fall, irrt gewaltig, warnt Tawab: "Wer eine Potenzpille nimmt und keine Wirkung spürt, nimmt beim nächsten Mal zwei. Wenn er dann mal zufällig richtig dosierte Pillen bekommt, nimmt er auch zu viel - und das ist nicht so ungefährlich." Eine Überdosis Sildenafil könne zum Beispiel einen Blutdruckabfall auslösen - in Kombination mit einem Herzmedikament könne das durchaus tödlich sein.
Auch wenn die Fälschung bewiesen ist: In der Regel kommt keiner an die Fälscher heran. Die Anbieter sind nach den Erkenntnissen des BKA international organisiert und nutzen konspirative Handelsstrukturen. Daher stehen die Tests in Eschborn eher im Dienste des Verbraucherschutzes. Tawabs Rat: Auf keinen Fall Medikamente über dubiose Adressen im Internet im Ausland kaufen. Wirklich sicher sei die Apotheke: "Wir stellen immer wieder fest, dass alle Präparate auf dem legalen Markt sicher sind." Auch Pillen, Salben, Sprays, Zäpfchen oder Tropfen, die dort erhältlich sind, werden in Eschborn regelmäßig auf ihre Güte kontrolliert.
Das 1971 gegründete ZL, eine unabhängige Prüfstelle der Apotheker, veranlasst regelmäßig Reihenuntersuchungen vergleichbarer Produkte. Apotheker schicken zudem jährlich rund 1500 Produkte an das Zentrallabor, die von Kunden reklamiert wurden, zum Beispiel, weil die Farbe anders war als üblich oder die Tabletten beim Herausdrücken aus dem Blister zerbröselt sind. In gravierenden Fällen muss dann auch mal eine Charge zurückgerufen werden - 2007 zum Beispiel ein Schmerzmittel, das zu stark Feuchtigkeit gezogen hatte.
Der Chromatograf bringt die Panscherei ans Licht
Um Fälschungen nachzuweisen, landen in Eschborn regelmäßig Pillen im Mörser. Laborantin Elke Schmitt zerstampft gerade den jüngsten Testkauf zu Pulver, angebliches Viagra® aus einer Apotheke in Ägypten. Danach gibt sie eine durchsichtige Flüssigkeit als Lösungsmittel dazu, stellt das Röhrchen erst in eine Zentrifuge und dann in einen Chromatografen. Darin gibt es eine kleine Metallsäule, an der sich die chemischen Substanzen an unterschiedlichen Stellen anlagern, wie sie erklärt.
Am Ende steht ein Chromatogramm: Kurven auf einem Computerbildschirm, an deren Berg-und-Tal-Profil die Fachleute die Freisetzung des Wirkstoffs ablesen können. Der echte Viagra®-Wirkstoff zeigt einen spitzen Berg in einer Wüste, der stümperhafte Nachbau aus Ägypten ein gleichmäßig stürmisches Meer.