Leitartikel zum Tag der Pflegenden

Florence Nightingales Nachfolger dringend gesucht!

Pflegebedürftigkeit wächst schneller, als der Arbeitsmarkt Nachschub an qualifiziertem Pflegepersonal liefern kann. Den geburtenstarken Jahrgängen werden im Alter die Menschen fehlen, die sie pflegen könnten. Wenn die Politik keine Lösungen findet, droht die Katastrophe.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Wundversorgung durch eine Krankenpflegerin. Die Ausbildung der Pflegekräfte steht vor einem Umbruch.

Wundversorgung durch eine Krankenpflegerin. Die Ausbildung der Pflegekräfte steht vor einem Umbruch.

© Gina Sanders / fotolia.com

Die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gilt als Kernstück der Pflegereform der großen Koalition. Menschen vollständig in die soziale Pflegeversicherung zu holen, die aufgrund von kognitiven Beeinträchtigungen ihren Alltag nicht mehr bewältigen können, ist ohne Zweifel geboten und wichtig.

Dass Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) dabei zusätzlich das Tempo anzieht, macht klar, dass in der vergangenen Wahlperiode das große Thema Pflege nur unzureichend angegangen worden ist.

Ein weiterer Baustein der Pflegereform braucht aber mindestens ebenso viel Augenmerk: das Pflegeberufegesetz, ebenfalls eine unerledigte Hinterlassenschaft der schwarz-gelben Koalition. Ohne gut ausgebildete Pflegekräfte in ausreichender Zahl sind die geplanten Reformen nämlich nur Gesetzeslyrik.

Die Ressource Pflegefachpersonal hat in den Kliniken und in den Pflegeheimen zentrale Bedeutung für das Gesundheitswesen. Fehlen die Schwestern und Pfleger, beeinträchtigt dies direkt auch die Arbeit und die Therapieerfolgschancen der Ärzte. Die Patientensicherheit gerät in Gefahr. Schon heute sind die Personalschlüssel in vielen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen überdehnt.

Auch die Boomer werden hinfällig

Der 12. Mai ist der Tag der Pflegenden, der am Geburtstag von Florence Nightingale (1820 - 1910) gefeiert wird. Die englische Krankenschwester war im 19. Jahrhundert eine Vorkämpferin der modernen Krankenpflege. Ihre Schriften stellten die Pflegewissenschaft als eigene Disziplin neben die kurative Medizin. Jungen englischen Frauen eröffnete sie eine berufliche Perspektive als Krankenschwester, als sie eine Krankenpflegeschule eröffnete.

Der Tag der Pflegenden oder auch Internationale Tag der Krankenpflege wird in Deutschland seit 1967 begangen. In den 1960-ern kamen die Babyboomer zur Welt. Die geburtenstarken Jahrgänge werden in zwanzig bis dreißig Jahren in das Alter kommen, in dem auch mit Pflegebedürftigkeit gerechnet werden muss.

"Pflegebedürftigkeit ist ein Zustand höchster körperlicher, psychischer und sozialer Vulnerabilität, der nur mit Hilfe zu bewältigen ist", definiert die Berliner Medizinsoziologin Professor Adelheid Kuhlmey diesen Zustand.

Er wird mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit irgendwann auch für viele Angehörige dieser starken Kohorten eintreten. 2009 erstellte Hochrechnungen weisen aus, dass 67 Prozent der Frauen und 47 Prozent der Männer im Alter pflegende Hilfe benötigen werden. Das ist der Preis, den wir für die Erfüllung des Traums von einem langen Leben bezahlen.

In absoluten Zahlen heißt das, dass 2030 voraussichtlich rund 3,2 Millionen Menschen in Deutschland Pflegeleistungen erhalten werden, 2050 könnte ihre Zahl bereits auf 4,2 Millionen gestiegen sein. Wo das qualifizierte Personal herkommen soll, das diese Menschen pflegt, ist noch nicht geklärt. Und diese Frage stellt sich rund um den Erdball.

Zwischen dem prognostizierten Bedarf und dem vorhandenen Gesundheitspersonal in den Industrieländern tue sich in den kommenden 20 Jahren eine Lücke auf, warnt die Organisation der Industriestaaten (OECD). Sie könne weltweit auf bis zu knapp 30 Prozent der tatsächlich benötigten Arbeitskraft anwachsen.

Trotz aller Anstrengungen, diese Lücke zu schließen, werde im Jahr 2020 die Versorgung mit Pflegefachkräften nur in etwa das Niveau von heute halten und dann schon etwa ein Fünftel unter dem projizierten Pflegebedarf liegen, haben Studien für die USA errechnet. Die OECD geht davon aus, dass sich diese Werte auf die entwickelten Länder übertragen lassen.

Klischees verzerren das Bild des Berufes

In Deutschland machen die Pflegekräfte die größte Gruppe der Beschäftigten im Gesundheitswesen aus. Allein rund eine Million Menschen kümmern sich hierzulande um die Altenpflege. Das Bild des Berufes in der Öffentlichkeit wird von vielen falschen Klischees ("Ich leere doch keine Nachttöpfe") und von der teils miserablen Bezahlung verzerrt.

Deshalb ist es gut, dass die Regierung daran geht, die Ausbildung der Pflegeberufe aufzuwerten und mit der generalistischen Grundausbildung dem Umstand Rechnung tragen will, dass Kranken- und Altenpflege nicht mehr so scharf getrennt werden können, wie man dies lange angenommen hat.

Das Ziel von zehn bis zwanzig Prozent akademisch ausgebildeten Pflegekräften liegt jedoch in weiter Ferne. Mit den bisherigen Ausbildungskapazitäten würde es 50 Jahre dauern, um diesen Anteil zu erreichen, schätzt Medizinsoziologin Kuhlmey.

Noch sind die Babyboomer fit. Ein bisschen Zeit bleibt den Regierungsverantwortlichen also, um aus dem Pflegenotstand keine Pflegekatastrophe erwachsen zu lassen. Die weitere Professionalisierung der Pflege ist dringend geboten. Der demografische Wandel wird die Pflege zum Alltagsphänomen machen.

Aber: Dass die Pflegebedürftigen der Zukunft noch wie diejenigen heute zu zwei Dritteln zu Hause auch von Angehörigen gepflegt werden, ist unwahrscheinlich. Dafür haben die Babyboomer ihrerseits zu wenige Kinder in die Welt gesetzt.

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Kommentare
Siegfried Hauswirth 13.05.201407:55 Uhr

Ergebnisse einer falschen Politik !

Herr Ebinger, Ihr Beitrag spricht mir aus dem Herzen. Danke !

Wolfgang Ebinger 12.05.201409:49 Uhr

Zu kurz gesprungen

Wenn es denn wenigstens damit getan wäre, "genügend Kinder in die Welt zu setzen" - wir alle wissen, dass das noch längst nicht die Lösung des Problems ist.
In einer materialisierten Welt, in der es nur noch um das "höher, schneller, weiter" geht und jeder sich abhetzt, um noch einen weiteren Euro zur Finanzierung seines übertriebenen Luxus´ zu sichern, da bleiben solche völlig altmodischen und überkommenen Strukturen wie eine Familie (was war das doch gleich noch??) auf der Strecke.
Kinder sind oftmals zu einer Art Trophäe verkommen, mit der Mann und Frau ihre Fortpflanzungsfähigkeit unter Beweis stellen. Die Verantwortung für die liebevolle Zuwendung und die Erziehung (Art. 6 Ab. 2 GG!!) ihres eigenen Nachwuchses haben viele mittlerweile an die "Erziehungs-Profis der Kinderkrippen und -gärten" abgegeben.
Frühkindliche Bi-L-dung statt Bi-N-dung, hieß die Devise gestern. Heute geht es oft leider nur noch darum, die kleinen Schisser möglichst lange irgendwo zur Aufbewahrung abzugeben. Was für eine krasse gesamtgesellschaftliche Metamorphose aus dem Tausch dieser beiden Buchstaben erwachsen ist - traurig.
Die Perspektive ist klar vorgezeichnet. 1974 sang darüber bereits Harry Chapin in seinem Song "Cat´s in the cradle" und auch der Film "Soylent Green" von 1973 deutet bereits in diese Richtung: alte Leute ohne familiäre Bi-n-dung werden dann wohl den "Pflege-Profis in den Senioren-Paradiesen" anvertraut. In Wirklichkeit wird es aber mutmaßlich nur noch um Aufbewahrung bzw. im schlimmsten Fall irgendwann um "Entsorgung" gehen.
Natürlich freut sich der Finanzminister über volle Kassen, dank ausreichender "Werktätiger". Und auch die materiellen Ansprüche der Bürger sind unermesslich, die Häuser bombastisch, die Autos davor luxuriös. Im Gegenzug wird die westliche Welt immer brutaler und sinnentlehrter. Die vernachlässigte Jugend sucht dringend nach Alternativen. Wie schön wäre es, eine intakte Familie zu haben. Weniger Geld aber dafür ein heiles Zuhause, wo jeder gewollt, geliebt und angenommen ist.
Die Zeiten sind für die meisten von uns vorbei - leider.
Was also tun? Drehen wir den Motor doch einfach über den roten Bereich hinaus? Voll auf´s Gas, wird schon gutgehen?
Machen wir uns keine Illusionen, die Sache geht nicht gut aus. Und das Ende einer beziehungs- und herzlosen Gesellschaft wird in diesem Artikel auch bereits angedeutet. Insofern ist die angesprochenen Misere nicht in erster Linie ein politisches Thema sondern ein individuelles Thema jedes einzelnen von uns. Der Mensch ist und bleibt ein "Beziehungswesen". Wer das verkennt, hat das Leben nicht begriffen.

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