Diplomatisches Geschick gefragt

Frankreichs neuer Premier will gegen die ärztlichen Wüsten kämpfen

In seiner Regierungserklärung versucht Frankreichs neuer Premier Michel Barnier bei den gesundheitspolitischen Themen alle politischen Lager zufriedenzustellen.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Muss sich auch in der Gesundheitspolitik Mehrheiten organisieren: Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier.

Muss sich auch in der Gesundheitspolitik Mehrheiten organisieren: Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier.

© Thibault Camus/dpa

Paris. Auch in der Gesundheitspolitik muss Frankreichs neuer Premierminister Michel Barnier die Kunst der Kompromisses beherrschen, wenn er seine Regierung länger als einige Wochen retten will. In seiner Regierungserklärung, die er am 1. Oktober im Parlament gehalten hat, stellte Barnier einige Maßnahmen vor, die eine Mehrheit der Abgeordneten zufriedenstellen sollen, – ohne rote Linien zu überschreiten.

So verspricht Barnier, gegen den Ärztemangel und sogenannte „Ärztliche Wüsten“ aktiv zu werden. Dabei will er auf Zwang und Bedarfsplanungen, die von Ärzten hartnäckig abgelehnt werden, verzichten. Die französischen Linksparteien wollen schon lange die Niederlassungsfreiheit der Ärzte einschränken, Konservative und Rechtsparteien stehen bei diesem Thema auf Seiten der Ärzteschaft. Die große Mehrheit der Franzosen würde allerdings die Rechte der Ärzte gerne beschneiden.

Barnier versprach, Fördermittel für die Neugründung von Einzel- und Gemeinschaftspraxen bereitzustellen, um die flächendeckende Versorgung zu verbessern. Konkrete Maßnahmen stellte er allerdings nicht vor. Sicher ist aber, dass er die Zahl der Internen, also der jungen Ärzte die noch im Praktikum sind, weiter erhöhen will.

Zudem will er neue Behandlungsformen unterstützen. Dazu zählt Barnier auch die Übertragung bestimmter bislang ärztlicher Leistungen auf Pfleger, Masseure, Hebammen und Apotheker. Ältere Ärzte, die den Eintritt in den Ruhestand verschieben wollen sowie pensionierte Ärzte, die wieder arbeiten möchten, sollen mit Steuererleichterungen belohnt werden. Eine alte Idee, die jedoch konkret so gut wie nie verwirklicht wurde.

Migration und Sterbehilfe bringen die Gemüter in Wallung

Da Rechts- und konservative Parteien eine drastische Wende in der Migrationspolitik fordern, sind Gesundheitsleistungen für illegal eingewanderte Menschen ein besonders brisantes Thema. Alle registrierten oder unregistrierten Ausländer haben Anspruch auf eine bestimmte Zahl von kostenlosen ärztlichen und weiteren Gesundheitsleistungen. Die Rechtsparteien gehen davon aus, dass diese medizinische Leistungen viele Ausländer nach Frankreich locken. Sie wollen deshalb die Gesundheitsleistungen für diese Menschen auf lebenswichtige Notbehandlungen begrenzen.

Ganz anders sehen das Zentrum- und Linksparteien. Sie erinnern daran, dass die Behandlung von unversicherten kranken Migranten auch die Gesundheit der gesamten Bevölkerung schützen kann. Auch Ärzte zeigen sich in dieser Frage uneins. In beiden Lagern wird das Thema sehr emotional diskutiert. Da eine schärfere Migrationspolitik eine der Bedingungen für das Überleben der Regierung ist, muss Barnier auch bei diesem Thema viel diplomatisches Geschick beweisen.

Seit Anfang dieses Jahres diskutierte das Parlament einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe. Dieser sollte es Angehörigen oder Heilberuflern ermöglichen, sterbenskranken Patienten ohne Chance auf Heilung, unter bestimmten Umständen Sterbehilfe zu leisten. Seit der Auflösung der Nationalversammlung am 9. Juni liegt das Verfahren auf Eis. Seit einigen Wochen fordern nun die Befürworter eines solchen Gesetzes, dass sich das neugewählte Parlament dieses Themas wieder annehmen soll. Am Dienstag sprach sich der Premierminister für neue Gespräche mit den Abgeordneten ab Anfang 2025 aus.

Von Sterbehilfe will allerdings der rechtspopulistische Rassemblement National nichts wissen. Abgeordnete der meisten anderen Fraktionen würden ein Sterbehilfegesetz wohl befürworten. Viele Parlamentarier fühlen sich bei diesem Thema aber nicht ihrer Partei, sondern nur ihrem Gewissen verpflichtet. Gegen den Gesetzentwurf haben sich mehrmals die meisten Ärzteorganisationen ausgesprochen, die Bevölkerung hält dagegen Sterbehilfe mehrheitlich für ein Grundrecht.

Krankenversicherung mit hohem Defizit

Am Mittwoch zeigte sich jedoch die Präsidentin der Nationalversammlung und Macron-Anhängerin Yaël Braun-Pivet von Barniers Ankündigung über einen Neustart der Diskussionen erst ab Anfang nächsten Jahres enttäuscht. Vor Journalisten erklärte sie sich bereit, den bestehenden Gesetzentwurf schon im Dezember auf die Tagesordnung des Parlaments zu setzen, da man schon genug Zeit verloren habe.

Die Zukunft der Regierung hängt allerdings bei Weitem nicht nur von Gesundheitsthemen, sondern vor allem von Haushaltsfragen ab. Um das Defizit von jetzt 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu reduzieren, hat Barnier schon eine Reihe von Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen angekündigt. Auch wenn die Krankenversicherung, die 2024 erneut mehr als elf Milliarden Euro rote Zahlen schreiben wird, bis jetzt nicht namentlich erwähnt wurde, wird sie nicht von Sparmaßnahmen verschont bleiben. Ob diese Patienten, Gesundheitseinrichtungen oder Gesundheitsberufe einschließlich Ärzte betreffen werden, ist derzeit noch unklar. Sicher ist aber schon, dass die Ressourcenknappheit der Staatskasse die marode finanzielle Lage des Gesundheitswesens noch erschweren wird.

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