EU-Arbeitsregeln

Frauen haben andere Bedürfnisse

Der Demografiewandel fordert Europa heraus. Die Belegschaften in den 27 EU-Staaten werden zunehmend älter. Vor allem Frauen sollen stärker in die Arbeitswelt integriert werden, so der Wille der EU. Forscher raten deshalb zu einem geschlechtsspezifischen betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Für Frauen können sich geschlechtsspezifische Gesundheitsgefährdungen bei der Arbeit ergeben.

Für Frauen können sich geschlechtsspezifische Gesundheitsgefährdungen bei der Arbeit ergeben.

© Jörn Buchheim / Fotolia

Gesunde Arbeitsplätze, die Integration vor allem von Immigranten und älteren Arbeitnehmern in den Arbeitsmarkt sowie höhere Beschäftigungsquoten bei Frauen sind für die Europäische Agentur für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (EU-OSHA) die dringendsten Herausforderungen angesichts des demografischen Wandels, der ohne Gegensteuern zu massiven Verwerfungen bei den Arbeitsmarktstrukturen führen wird.

Gemeinsam mit der Wissenschaftsallianz Partnership for European Research in Occupational Safety and Health (PEROSH) hat die Agentur nun die aus ihrer Sicht wichtigsten Stellschrauben identifiziert, um das oben gesteckte Ziel zu erreichen.

Wie aus dem gemeinsamen Positionspapier "Health, demographic change and wellbeing: Occupational safety and health in the context of demographic change" prognostiziert, wird der Anteil der älteren Arbeitnehmer (55 bis 64 Jahre) an der Gesamtarbeitsbevölkerung (20 bis 64 Jahre) bezogen auf die 27 Staaten der Europäischen Union (EU27) bis 2060 um rund 40 Prozent auf dann 18,7 Prozent steigen. Schon im Jahre 2030 würde der Anteil der älteren Arbeitnehmer in verschiedenen EU-Staaten mehr als 30 Prozent betragen, schätzen die Wissenschaftler.

Fokus auf Betriebliches Gesundheitsmanagement

Bei der Teilhabe von Frauen am Erwerbsleben sei 2011 eine EU-27-weite Quote von 62,11 Prozent erreicht worden. In der 2010 verabschiedeten Wachstums- und Beschäftigungsstrategie der EU Europa 2020 wird für Frauen eine Beschäftigungsquote von 75 Prozent angepeilt.

Bezüglich des Migrationsgeschehens gehen die Forscher - unabhängig von den gegenwärtigen, massiven Flüchtlingsaufkommen in Europa - davon aus, dass der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund am Gesamtarbeitsmarkt bis 2060 auf rund ein Drittel steigen werde.

Vor dem Hintergrund der aktuell politisch in Europa angestrebten Vermeidung von Frühverrentungen im großen Stil sowie der verlängerten Teilhabe am Arbeitsleben - in Deutschland Stichwort Rente mit 67 - rücke, wie in dem Positionspapier explizit dargelegt wird, die Prävention in den Betrieben in den Fokus.

Ohne das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) beim Namen zu nennen, gehen die Forscher davon aus, dass die Hauptherausforderung für die jeweiligen Wirtschaften darin liege, die Arbeitsprozesse so zu organisieren und Arbeitsplätze so zu gestalten, dass arbeitsbezogene Krankheitsfaktoren verhindert werden und die Mitarbeiter somit motiviert werden könnten, bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten und sich dann auch in einem guten Gesundheitszustand auf ihr Altenteil zurückziehen können.

Reproduktionsmedizinische Aspekte im Blick

Mit Blick auf den angestrebten höheren Beschäftigungsgrad bei Frauen fordern die Forscher, sich effektiver als bisher um die gesundheits- sowie sicherheitsrelevanten Belange zu kümmern, die Einfluss auf die Arbeitsplätze von Frauen haben.

In der Praxis müsste somit eine stärker geschlechtsspezifisch orientierte Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz stattfinden, die zum Beispiel in puncto Exposition gegenüber Gefahrstoffen auch die Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit bei Frauen berücksichtigt.

Zugleich rufen die Wissenschaftler zu mehr Forschung auf, die die frauenspezifischen Gesundheitsgefahren zum Beispiel von schwerer körperlicher Arbeit berücksichtigt, aber auch geschlechtsspezifische Bedürfnisse an die Gestaltung von Arbeitsplätzen inkludiert.

Das Ansinnen der Forscher scheint plausibel - zumindest in der Theorie. Sie gehen davon aus, dass mittels einer alters- und demografiegerechten Arbeitswelt langfristig die Zahl der produktiven und gesunden Arbeitsjahre steigen wird und somit die sozialen Sicherungssysteme in den EU27-Staaten nachhaltig stabilisiert werden könnten.

Völlig unberücksichtigt bleibt indes in dem Positionspapier, dass zum Beispiel in Deutschland der demografische Wandel auch die Arbeitsmediziner trifft, die maßgeblich an der Stellschraube BGM drehen können.

Wie aus der Broschüre "Arbeitswelt im Wandel - Ausgabe 2015" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) hervorgeht, waren 2013 von insgesamt 12.430 qualifizierten Betriebsmedizinern immerhin 7180 Ärzte 60 Jahre und älter - 57,8 Prozent.

Erschwerend kommt hinzu, dass mit 51 Prozent nur etwas mehr als jeder zweite Vertreter dieser Fachdisziplin überhaupt betriebsärztlich tätig war. Weiteres Hemmnis: Stand 2011 hatten in Deutschland vor allem Firmen mit mehr als 50 Beschäftigten ein arbeitsmedizinisch organisiertes BGM.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tödlicher Einzeller im Hirn

Fallbericht: Amöbenenzephalitis nach Verzehr von rohem Fleisch?

Metaanalyse von zehn RCT-Studien

Antiemetische Therapie: Ein Tag Dexamethason genügt

Lesetipps
Eine Frau mit diversen Erkrankungen

© Sebastian / stock.adobe.com / generated AI

Diagnose-Prävalenzen

Wo Autoimmunerkrankungen besonders häufig auftreten

Verpackung des Wirkstoffs Tirzepatid (Mounjaro) mit Aufziehspritze daneben

© Olaf Kunz / stock.adobe.com

SUMMIT-Studie

Tirzepatid auch erfolgreich bei Herzinsuffizienz-Therapie