"Für diese Situation gibt es keine einfachen Kochrezepte"

Wie soll ein Arzt damit umgehen, wenn ein unheilbar kranker Patient ihn um Hilfe beim Sterben bittet? Nun hat der Ärztetag ein Verbot in der Berufsordnung festgeschrieben.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Demonstration zur Eröffnungsveranstaltung: Die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" empfing die Delegierten.

Demonstration zur Eröffnungsveranstaltung: Die "Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben" empfing die Delegierten.

© Frank Schischefsky

KIEL. Drei Sätze aus der neuen Berufsordnung sorgten schon vor dem Ärztetag für heftige Diskussionen: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbende unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsthilfe leisten."

Der Formulierungsvorschlag des BÄK-Vorstandes wurde schon vor dem Ärztetag von einem breiten, kontroversen Medienecho begleitet - was viele Ärzte verstört hat.

Über drei Stunden diskutierten die 250 Delegierten konzentriert, engagiert und vor allem kontrovers. Am Ende spiegelte das Ergebnis der Abstimmung die Stimmungslage deutlich wieder: 166 Ja-Stimmen für die Neuformulierung des Paragrafen 16 in der Musterberufsordnung, 56 Delegierte sprachen sich dagegen aus, sieben enthielten sich ihrer Stimme.

In der Diskussion wurde immer wieder deutlich, dass dieses Thema die Ärzte bewegt. "Es gibt für solche Situationen keine einfachen Kochrezepte. Man muss Hilfe zur Selbsttötung ablehnen, aber anbieten, immer da zu sein", ermahnte eine Delegierte.

Die Einzellfallentscheidungen in palliativmedizinischen Extremfällen stellen vor allem Hausärzte immer wieder vor ein Dilemma, das aber auch eine neue Musterberufsordnung nicht komplett lösen kann. "Man muss alleine vor Ort entscheiden. Daher gibt es ein ständiges Nichtwissen", sagte ein Delegierter.

Ein klares Signal ging auch an die Personen, die sich im Vorfeld des Ärztetages kritisch zu der ganzen Diskussion geäußert hatten: "Einen Dammbruch wird es nicht geben" und: "Wir bekommen keine Verhältnisse wie in der Schweiz oder in den Niederlanden" erklärten viele Redner.

"Die Diskussion beruht auf der Vermischung der Sachverhalte", stellte Professor Georg Maschmeyer, Onkologe und Palliativmediziner vom Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam, klar.

Er sieht nur ein Szenario, in der der Paragraf 16 der Musterberufsordnung zum Tragen kommen könnte: Bleiben Morphine oder andere Medikamente auf dem Nachttisch des Patienten liegen, könne es denkbar sein, dass er damit Suizid begeht.

"Allerdings ist auch auf diesem Gebiet kein Regelungsbedarf", erklärte Maschmeyer. Dennoch sei eine klare Feststellung in der Berufsordnung besser, als eine weiche Formulierung.

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Kommentare
Dr. Thomas Nolte 03.06.201110:21 Uhr

"Man muss alleine vor Ort entscheiden. Daher gibt es ein ständiges Nichtwissen"

Zu Herrn Sittes Kommentar, dem ich unbedingt zustimme, möchte ich einen zweiten hinzufügen, der inhaltlich den ersten an einer anderen Stelle bestätigt: Es gibt noch viel Aufklärungsbedarf in der Palliativversorgung!!
Dafür ist auch folgender Satz ein klares Indiz: "Man muss alleine vor Ort entscheiden. Daher gibt es ein ständiges Nichtwissen". Es gibt seit Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung SAPV als Leistung der Regelversorgung keinen Hausarzt/ keine Hausärztin mehr, der/die nicht mit einem Palliativarzt/ärztin über einen Patienten in Austausch treten kann, auch wenn die Umsetzung der SAPV sicher immer noch lückenhaft ist. Dieser/diese kann bei dem beklagten Nichtwissen beraten und bei schwierigen Entscheidungen Hilfestellung in Form eines ethischen Konsils geben. Dann nimmt auch das Nichtwissen ab und entlastet den Hausarzt durch transparente und konsentierte Entscheidungen am Lebensende!
Dr. Thomas Nolte, Wiesbaden

Thomas Sitte 03.06.201108:07 Uhr

Morphine auf dem Nachttisch als Suizidrisiko!

Wenn dieser Satz: "Er sieht nur ein Szenario, in der der Paragraf 16 der Musterberufsordnung zum Tragen kommen könnte: Bleiben Morphine oder andere Medikamente auf dem Nachttisch des Patienten liegen, könne es denkbar sein, dass er damit Suizid begeht." richtig zitiert wurde, dann zeigt es mir, dass wir noch viel, viel mehr Aufklärungsarbeit machen müssen. Solche hoffentlich unbedachte Aussagen an der falschen Stelle können viel zerstören, was wir zuvor getan haben, um Patienten angemessen versorgen zu können. Und es wird schlimmstenfalls dazu beitragen, dass Patienten die richtigen Medikamente noch mehr vorenthalten werden, als es (immer noch) der Fall in Deutschland ist.

Es wäre schön, wenn diese Aussage in der ÄZ nicht unkommentiert bleiben würde. Schnellwirksame, starke Medikamente gegen schlimmste Atemnot und Durchbruchschmerz sind erprobt, mit einer sehr großen therapeutischen Breit und sicher, sie müssen für den Patienten griffbereit auf dem Nachttisch liegen.

Viele Grüße
Thomas Sitte, Fulda

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