Gastbeitrag
Gruppeninteressen höhlen KV-System aus
"Ja, es gibt ihn, den Hausarzt-Facharzt-Konflikt!" In einem sehr emotionalen Beitrag beschreibt Landarzt Dr. Peter Heller die Probleme der Versorgung auf dem Land - und was aus seiner Sicht die fachärztliche Mehrheit in den KVen damit zu tun hat.
Veröffentlicht:Einigkeit besteht im Grundsatz darüber, dass demokratisches Miteinander mehr nützt als Konfrontation. Aber, nicht jede "demokratische" erarbeitete Entscheidung dient auch dem Gemeinwohl.
Wenn also die Mehrheit, die KVen und Ärztekammern dominiert, systematisch über Jahre eine Körperschaft öffentlichen Rechts sich "demokratisch" zur Beute macht und dabei die ursprüngliche Kernaufgabe dieser Körperschaft, nämlich die Sicherstellung der ambulanten ärztlichen Versorgung völlig aus dem Blickfeld gerät, ist nach Jahrzehnten des interessierten Zuschauens unter dem Motto, "Es gibt ja eine Selbstverwaltung" die Politik aufgerufen, das durch Gruppeninteressen ausgehöhlte System zu korrigieren.
Zur Person
Dr. Peter Heller ist seit 36 Jahren Allgemeinarzt in Fischbachtal und führt dort eine Praxis mit 2000 GKV-Patienten im Quartal. Seit 10 Jahren engagiert er sich auch in der Berufspolitik.
Zu korrigieren nicht, um anderen Partikularinteressen zum Durchbruch zu verhelfen, sondern um die ureigene Aufgabe der KV, die Sicherstellung auch der hausärztlichen Versorgung zu gewährleisten.
Im Altkreis Darmstadt-Dieburg sind über 20 Allgemeinpraxen unbesetzt, Darmstadt hat 35 Kardiologen, Tendenz steigend, in Darmstadt und Umkreis gibt es demnächst 12 Herz-Katheterplätze. In Beerfelden hören drei Allgemeinärzte aus Altersgründen auf - keiner folgt nach.
Seit 1992 arbeite ich unter der Prämisse der Facharzt-dominierten KV: Wenn ein Vertragsarzt mehr als 1300 Kassenpatienten pro Quartal abrechnet, ist das "Eine unzulässige Ausweitung der Kassenarzttätigkeit". Diese wird konsequenterweise nicht honoriert - immerhin auch nicht bestraft.
Auf diese Weise habe ich seit 1992 für mehr als eine Million Euro Leistungen erbracht, die mir einen Myocardinfarkt und drei Bypässe brachten und ganz sicher einen Platz im Himmel sichern.
Wenn ich einem potenziellen Nachfolger (80 Allgemeinärzte befinden sich aktuell in Hessen in der Ausbildung), dies zu erklären versuche, greift der sich verständnislos an den Kopf und sucht sich eine kleine Praxis in der Stadt.
Politiker meiden die Schlangengrube der KV
60 Prozent Spezialärzte in der KV fahren demokratisch legitimiert die hausärztliche Versorgung auf dem Lande vor die Wand. Die Politik schaut zu, verweist auf die "Selbstverwaltung", die ja den Sicherstellungsauftrag hat, und vermeidet tunlichst, sich in diese Schlangengrube der KV zu begeben.
Die Facharzt-dominierte KV hat über Jahrzehnte Stück für Stück die hausärztliche Vorsorgung vor Ort unattraktiv gemacht und letztlich kaum reversibel ruiniert.
Heute versucht man mit Verah, mit Palliativteams die über 25 Kilometer aus der nächsten Stadt anrücken die Versorgungsdefizite zu kompensieren, die ohne die systematische Benachteiligung der Hausärzte nie entstanden wären.
- Chirurgen und Orthopäden haben den EBM für kleine Chirurgie im hausärztlichen Bereich so gestaltet, dass sicher nichts damit verdient wird und konsequenterweise kaum ein Hausarzt sie noch erbringt. Die Zeche zahlen Patienten auf dem Land.
- Die Urologen hatten Sorge, dass ihnen vielleicht durch das Legen von Kathetern durch Hausärzte finanzielle Verluste entstehen. Diese Leistung wird für den Hausarzt nicht mehr honoriert. Die wenigen jungen Kollegen reagieren folgerichtig: Sie legen keine Katheter mehr, auch dann nicht, wenn der Urologe längst schläft.
- In einer benachbarten Praxis wird dem Kassenpatienten, der nach Op mit liegenden Wundfäden den Hausarzt aufsucht, gesagt, er möge zu dem gehen , der die Fäden eingefädelt hat (der bekam auch das Honorar dafür).
Junge Kollegen stimmen mit den Füßen ab
Nun sind die genannten Berufsgruppen nach 18 Uhr, ab 12 Uhr am Mittwoch und freitags ab 14 Uhr nicht mehr erreichbar. Spätestens seit 1. April 2014 fahren meine Patienten dann mehr als 20 Kilometer, warten bei riesigen Einzugsgebieten drei Stunden in der Ambulanz, um dann im ungünstigsten Fall nochmals 20 Kilometer bis zur nächsten Notapotheke zu fahren.
Weil das Legen von Urinkathetern auf Wunsch der Urologen für Hausärzte nicht mehr abrechenbar ist, werden nun Patienten mit Harnverhalten nicht mehr hausärztlich vor Ort betreut, sondern vom DRK für 500 Euro ins 20 Kilometer entfernte Krankenhaus gebracht.
Die Spezialisten in der KV haben über Jahre die Rahmenbedingungen für hausärztliche Versorgung auf dem Land so reduziert, dass junge intelligente Kollegen mit den Füßen abstimmen und lieber Spezialist werden. Ja, es gibt ihn, den Hausarzt-Facharzt-Konflikt.
So lange Urologen, Gynäkologen und andere Spezialisten mit demokratischer Mehrheit in der KV die Hausärzte in die Ecke drängen wird auch ein Zuschuss von 50.000 Euro zur Niederlassung junger Allgemeinärzte das Problem nicht lösen.
Dem Himmel sei Dank, dass bei den Entscheidungsträgern in der Politik nach Jahren angekommen ist, dass nicht noch mehr Geld, wie von den Spezialisten gefordert, das Problem löst. Das System ist nicht unterfinanziert. Das Geld versickert in sinnloser Technikmedizin.
Es geht bei der Neuordnung der Machtverhältnisse in der KV nicht um Sektionierung, sondern um Emanzipation. Es geht um Gleichberechtigung hausärztlicher Versorgung neben ausuferndem Spezialistentum. Es geht erstmals um Partnerschaft der Fachgruppen auf Augenhöhe zum Nutzen des Patienten.
Die Selektivverträge der Hausärzte sind eine taktische Flucht durch die Hintertür, wo das Hauptportal verschlossen ist.