Versorgung geriatrischer Patienten
Heime im Kreis Euskirchen setzen auf die Telemedizin
Ein Selektivvertrag der AOK Rheinland/Hamburg ermöglicht die Online-Visite in Pflegeheimen. Ziele sind eine bessere Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegekräften und weniger Krankenhauseinweisungen.
Veröffentlicht:Gemünd. Im Kreis Euskirchen können Hausärztinnen und Hausärzte ihre Patienten im Pflegeheim versorgen, ohne die Praxis verlassen zu müssen. Per Online-Visite können sie sich bei gesundheitlichen Problemen einen Überblick darüber verschaffen, wie es den Bewohnern geht, und gemeinsam mit den Pflegekräften entscheiden, welche Maßnahmen erforderlich sind. Ziel ist es, den älteren Menschen unnötige Krankenhauseinweisungen zu ersparen.
Grundlage ist der Selektivvertrag „VisitOn“ der AOK Rheinland/Hamburg, der am Dienstag unterzeichnet wurde. Er regelt die Vergütung für den Einsatz und Betrieb der notwendigen Technik in den Pflegeheimen.
„Es geht darum, die telemedizinischen Möglichkeiten menschengerecht zu nutzen“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der AOK Rheinland/Hamburg Matthias Mohrmann bei einem Pressegespräch. Die Telemedizin verbinde die pflegerische Kompetenz der Fachkräfte in den Heimen mit der medizinischen Kompetenz des Arztes in der Praxis. „Man entscheidet gemeinsam auf Augenhöhe über die angemessene Verfahrensweise“, skizzierte er den Ansatz.
Einsatz der Teledocs senkt die Zahl der Klinikeinweisungen
In den teilnehmenden Pflegeheimen kommen mobile Rollständer des Unternehmens Docs in Clouds zum Einsatz. Die rollbaren Geräte sind mit Bildschirm und Tastatur versehen, enthalten ein elektronisches Stethoskop, einen Patientenmonitor mit EKG, Messung von Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Atem- und Herzfrequenz sowie Temperatur, eine steuerbare Raumkamera sowie eine Ende-zu-Ende verschlüsselte sichere Kommunikationstechnik. Das System arbeitet mit offenen Schnittstellen und kann später an die Telematikinfrastruktur angeschlossen werden. Die Teledocs werden auch in dem Innovationsfonds-Projekt Optimal@NRW eingesetzt.
Die Erprobung des Geräte-Einsatzes in einigen Pflegeheimen über zwei Jahre hatte dort zu einer Reduktion der Krankenhauseinweisungen um 40 Prozent geführt. „Das ist ein Gewinn für die Bewohner“, betonte Mohrmann. Gleichzeitig profitierten die teilnehmenden Hausärzte, weil sie die Visite von ihren Praxen aus machen können. Der Einsatz der Teledocs stärke zudem die Pflegekräfte, weil er ihre Kompetenzen und Aufgabenbereiche erweitere. „Zudem vermeiden wir die Bindung von Rettungsmitteln für unnütze Transporte.“
„Wir haben gute Multiplikatoren unter den Hausärzten“
Zurzeit nehmen elf Pflegeheime mit knapp 1.000 Bewohnern und zehn Hausärzte im Kreis Euskirchen an „VisitOn“ teil, die bei Bedarf auch weiter in die Heime kommen. Auf beiden Seiten sollen es deutlich mehr werden, auch Fachärzte sollen hinzukommen. „Wir haben gute Multiplikatoren unter den Hausärzten“, berichtete Markus Ramers, SPD-Landrat des Kreises Euskirchen. Der Kreis beteiligt sich an der Finanzierung des Projekts.
Angesichts der großen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung sei es für den Kreis selbstverständlich, sich aktiv zu beteiligen, statt sich auf eine Zuschauerrolle zu beschränken, sagte Ramers. Der Kreis Euskirchen ist flächenmäßig einer der größten in Nordrhein-Westfalen, von der Einwohnerzahl her aber einer der kleinsten. „Es ist schwer, mit einem Netz von Hausärzten und Fachärzten die medizinische Versorgung sicherzustellen.“
Er begrüßte, dass das Projekt über den Selektivvertrag vom Projektstatus in den Versorgungsalltag gelangt. Ramers ermutigte weitere Heime und Kassen, der Vereinbarung beizutreten. „Es ist eine Erfolgsgeschichte, die wir gern weiterschreiben wollen.“
Zentral ist das Miteinander der Beteiligten
Verdient hätte sie es auf jeden Fall, findet die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Claudia Moll (SPD). „Ich stehe zu 200 Prozent hinter dem Vertrag“, betonte die ausgebildete Pflegefachkraft. Sowohl von den Pflegekräften als auch den Bewohner werde Druck und Angst genommen, wenn sie nicht mehr auf den Arztbesuch oder gegebenenfalls den Rettungsdienst warten müssen. „Wir müssen anfangen, Pflege neu zu denken“, forderte Moll. Wichtig sei dafür die Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Genau sie sei bei „VisitOn“ gegeben und mache das Projekt zu etwas ganz Besonderen, sagte Malte Duisberg, Geschäftsführer der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim Gemünd, der den Selektivvertrag unterzeichnet hat. „Es sind Partner beteiligt, die sonst oft nebeneinander und nicht miteinander gearbeitet haben.“
Die AOK Rheinland/Hamburg führt nach Angaben von Mohrmann bereits Gespräche mit anderen Kassen über eine Teilnahme. Ziel sei es, die gesamte GKV ins Boot zu holen. „VisitOn“ soll möglichst nicht auf die Region oder das Rheinland begrenzt bleiben. „Wir möchten ein Beispiel liefern, das auf der Bundesebene eine gewisse Wirkung hat.“