Kammer Berlin

Hilfe zur Selbsttötung nicht strikt verboten

Wie sollen Ärzte sich im Angesicht des Todes verhalten? Über diese Frage wird immer wieder gestritten. Jetzt antwortet die Ärztekammer Berlin darauf deutlich anders als die Bundesärztekammer - und sie ist nicht die erste.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Das explizite Verbot der Hilfe zur Selbsttötung in der Musterberufsordnung haben nicht alle Landesärztekammern übernommen.

Das explizite Verbot der Hilfe zur Selbsttötung in der Musterberufsordnung haben nicht alle Landesärztekammern übernommen.

© Arnulf Illing

BERLIN. Es sind nur drei Sätze. Doch sie bergen Zündstoff. Die Ärztekammer Berlin will den Ärzten möglichst wenig Vorschriften für das Verhalten im Umgang mit Sterbenden oder mit lebensmüden Menschen machen.

Sie hat die in der Musterberufsordnung (MBO) der Bundesärztekammer vorgesehenen Regelungen zum Umgang mit Sterbenden (Paragraf 16) nur zum Teil übernommen.

In Paragraf 16 der Berliner Berufsordnung steht nur ein Satz: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen." Es fehlt: "Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Das ist die Formulierung in der aktuellen MBO, um die der Ärztetag 2011 lange gerungen hat.

Berlin setzt auf Soll-Regelung

Das explizite, doppelte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung im Berufsrecht der Ärzte hat sich nicht in allen Kammern durchgesetzt. Bayern hat in Paragraf 16 der Berufsordnung komplett darauf verzichtet. Westfalen-Lippe hat es mit einer Soll-Regelung abgeschwächt.

Berlin setzt jetzt ebenfalls auf eine Soll-Regelung. Als allgemeinen Grundsatz hält die Hauptstadt-Kammer in Paragraf 1 ihrer Berufsordnung fest: "Die Mitwirkung bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe. Ärztinnen und Ärzte sollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Strafrechtlich ist Suizidbeihilfe nicht verboten. Der Ärztetag ging mit der MBO darüber hinaus.

Die Kammern in Westfalen-Lippe und Berlin begründen ihre Abweichung von der MBO unter anderem mit Verweis auf das Strafrecht. "Unsere Regelung ist gerichtsfest", sagte der Berliner Kammerpräsident Dr. Günther Jonitz der "Ärzte Zeitung".

Die Kammer Berlin unterlag letztes Jahr vor Gericht gegen einen Berliner Urologen, der 2007 einer Patientin aus Bayern Medikamente in tödlicher Dosis überlassen wollte.

Das Verwaltungsgericht Berlin hielt das Verbot der Kammer für verfassungswidrig. Begründung: Es lasse dem Arzt nicht den nötigen Ermessensspielraum.

Einstimmiger Beschluss

"Es muss in sehr begründeten Ausnahmefällen möglich sein, dem Sterbewunsch eines Patienten zu entsprechen, der in einer aussichtslosen Situation ist, aber noch nicht am Sterben", sagte Jonitz zum aktuellen Berliner Kammerbeschluss.

Die Regelung ist einstimmig von der Delegiertenversammlung verabschiedet worden. Sie ist das Ergebnis einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe der Berliner Kammer.

"Eine breitere Basis kann man sich bei diesem Thema in der Berliner Ärzteschaft nicht vorstellen", so Jonitz.

Er legt zudem Wert darauf, dass die Berliner Regelung zwischen Sterbehilfe (Paragraf 16) und Beihilfe zur Selbsttötung (Paragraf 1) klar trennt, indem sie ihre Bestimmungen zwei verschiedenen Paragrafen der Berufsordnung zuordnet. Diese Trennung ist auch der Bayrischen Ärztekammer wichtig.

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Kommentare
Lutz Barth 05.07.201308:08 Uhr

Es geht nicht (!) um "Tötung auf Verlangen"!

Der Kommentar von Herrn Schätzler bedarf insoweit einer „Replik“, als dass hierdurch der Eindruck entstehen könnte, als gehe es bei der Kritik an § 16 Ä-MBO zugleich auch um eine Debatte über § 216 StGB.

Dem ist mitnichten so, mal ganz davon abgesehen, dass Satz 1 des § 16 Ä-MBO den Kerngedanken des allgemein gültigen Strafrechts „nur“ wiederholt und selbstverständlich auch die Ärzteschaft hieran gebunden ist.

Auch die Ärztekammern sind nicht dazu legitimiert, aufgrund ihrer eingeräumten Satzungsautonomie übergeordnetes Recht außer Kraft zu setzen.

Es geht vielmehr in der Tat um das Verbot der ärztlichen Suizidassistenz, welches einem „ethischen Zwangsdiktat“ gleichkommt.

Hier besteht durchaus ein Regelungsspielraum, der allerdings mit Augenmaß seitens der BÄK hätte wahrgenommen werden müssen, zumal diese mit ihrem Initiativantrag die Debatte innerhalb der eigenen Profession selbst angeheizt hat. Satz 2 des § 16 Ä-MBO erweist gerade mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte als eine Art „lex Montgomery, Henke und Windhorst“, auch wenn insoweit der 112. Deutsche Ärztetag hierzu sein „Segen“ erteilt hat.

Allein hierüber wird derzeit heftig diskutiert und da muss es zum weiteren Nachdenken anregen, wenn einige Landesärztekammern die strikte Regelung aus der Musterberufsordnung nicht (!) übernommen haben.

Mit Verlaub: Nicht die Befürworter einer Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts machen es sich „einfach“, sondern die Apologeten einer „Sterbekultur“, die einerseits erhebliche Probleme haben, dass Selbstbestimmungsrecht der schwersterkrankten und sterbenden Patienten zu respektieren und andererseits sich dazu aufschwingen, das bedeutsame Grundrecht der ärztlichen Gewissensfreiheit zu versenken, mal ganz davon abgesehen, dass auch namhafte Ethiker die „Zwangsethisierung“ und damit die beabsichtigte „Gleichschaltung aller ärztlichen Gewissen“ rügen und als höchst „unwissenschaftlich“ bezeichnen. Hierbei handelt es sich beileibe nicht „nur“ um die allseits bekannten Ethiker, die ohnehin kritisch mit ihren Positionen beäugt werden, sondern um Personen, an deren Reputation kein ernstlicher Zweifel besteht (vgl. etwa die Mitglieder bei der Zentralen Ethikkommission der BÄK).

Abermals mit Verlaub: Es muss mehr als nachdenklich stimmen, warum gerade diesen Damen und Herren aus der Zunft der Ethik jedenfalls kein ausreichendes Gehör geschenkt wird. Vielleicht deshalb, weil diese den ethischen Kurs der BÄK nicht mittragen können?

Die ärztliche Ethik ist nicht eine solche der Ärztefunktionäre, die da meinen, ihre höchst individuellen Gewissensentscheidungen zur allgemeinen Richtschnur für alle Kolleginnen und Kollegen deklarieren zu können. Hier bestehen offensichtlich erhebliche Defizite bei der Beurteilung verfassungsrechtlicher Grundfragen, die nun auch nicht ohne weiteres von den Ärztefunktionären mangels profunder dogmatischer Kenntnisse erwartet werden können.

Weil dem so ist, wird es entscheidend darauf ankommen, interprofessionellen aber auch externen Sachverstand einzubinden, da berufsrechtliche Normen zugleich auch verfassungsfest sein sollten, und zwar jenseits des vermeintlich verbindlichen „Grundgesetzes ärztlicher Sittlichkeit“, welches nun so „sittlich“ auch nicht sein dürfte, wenn hiermit ethischer Zwang auf die eigene Kollegenschaft ausgeübt wird!

Dr. Thomas Georg Schätzler 04.07.201323:04 Uhr

So sieht es doch aus!

Wenn in Paragraf 16 der Berliner Berufsordnung nur e i n Satz steht: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen." Und der 2. Satz fehlt: "Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten", der sich in § 16 der Musterberufsordnung (MBO) der Bundesärztekammer (BÄK) findet, ist dies a l l e i n eigentlich gar k e i n Widerspruch.

Denn in der Fassung vom 13.11.1998 gilt der Paragraf 216 Strafgesetzbuch (StGB) "Tötung auf Verlangen" unverändert und uneingeschränkt weiter (Berücksichtigter Stand der Gesetzgebung: 1.7.2013). Der Text lautet:

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Das Strafrecht und der StGB stehen über jeglichem Berufsrecht, so dass die Verbotsnorm des "Töten auf Verlangen" für alle Bürgerinnen und Bürger verbindliches Recht darstellt.

Der fast schon perseverierend beschriebene "ethischen Zugzwang", unter dem Assessor jur. Lutz Barth die BÄK sieht, bezieht sich einzig und alleine auf den Satz "Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten." in § 16 der MBO. Was also das Grundsatzverbot des "Töten auf Verlangen" anbetrifft, kann die Bundesärztekammer gar nicht der Adressat von verärgerter bis polemischer Kritik sein, sondern das P a r l a m e n t als gesetzgebende Versammlung und somit der Deutsche Bundestag. Eine fiktive M e h r h e i t der Abgeordneten müsste ggf. die Abschaffung des im Übrigen semantisch völlig verunglückten § 216 beschließen und mit Zustimmung des Bundesrates und des Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkünden.

Aber genau dazu wird es nie kommen: Denn dann könnten "Hinz und Kunz" jede(n) straffrei töten, der/die auch nur vermeintlich einen Sterbewunsch äußert. Sei es nach einer Sauftour, bei einem Unfall, Gichtanfall, Gallen-, Nierensteinkolik, aber auch beim akuten Herz- oder Schlaganfall und seelisch bedingter Dekompensation. Wie oft habe ich schon von wirklich verzweifelten Patienten gehört: "Ich kann nicht mehr", "ich will nicht mehr", "ich will lieber tot sein", "machen Sie ein Ende, Doktor!" oder "ich will einfach nur sterben". Soll ich dann etwa sagen "Stirb doch, du Opfer!" ??? Und aus meiner Arzttasche oder meinem Medikamentenvorrat in der Praxis, die eigentlich ganz anderen professionellen Arbeitsinhalten, Zwecken und Idealen dienen, einen "Todbringer" hervorkramen??

Sie, verehrte Kommentatoren, machen sich das zu einfach. Hausärzte und Hausärztinnen, die wir uns am häufigsten mit solchen Grenzsituationen konfrontiert sehen, wollen gar nicht "Herr über Leben und Tod" sein. Wir sind schon froh, wenn wir die täglichen Anforderungen von Anamnese, Untersuchung, Beratung, Diagnose, Therapie, Heilung, Linderung, Palliation stemmen, die Bürokratie, Pauschalierung, Regressierung und Drangsalierung aushalten, um uns wenigstens die Funken von Empathie, Zuwendung und Verständnis zu bewahren, die das Feuer der Begeisterung, des Engagements, der Neugier, der Forschung und der Menschenliebe in der Medizin immer wieder anfachen. So sieht es doch aus!

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund


Lutz Barth 04.07.201310:21 Uhr

BÄK gerät mehr denn je unter "ethischen Zugzwang"!

Ähnlich wie andere Landesärztekammern hat die ÄK in Berlin ein vernünftiges Augenmaß bei der Neuregelung der „Sterbehilfe-Problematik“ walten lassen, auch wenn es hierzu gewissermaßen „Anregungen“ durch eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung bedurfte.

Es ist nachhaltig zu begrüßen, dass die ÄK Berlin sich mit ihrer Neuregelung im ärztlichen Landesberufsrecht deutlich von der strikten Verbotsregelung in der ärztlichen Musterberufsordnung distanziert, sicherlich wissend darum, dass ethische „Zwangsdiktate“ mit Blick auf die verfasste Ärzteschaft den Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch den Patienten und damit einer jeweils gebotenen Einzelbetrachtung nicht gerecht wird.

Mit dieser Regelung ist es der ÄK Berlin gelungen, sich deutlich zu der Freiheit zur Gewissensentscheidung ihrer Berufskolleginnen und Kollegen zu bekennen und vermeidet so einen grundlegenden ethischen und moralischen Widerspruch, der seit der Verbotsregelung der ärztlichen Suizidbeihilfe in § 16 Ä-MBO in der Musterberufsordnung zwangsläufig zu Irritationen führen muss.

Insbesondere der Präsident der BÄK irrt mit seiner Auffassung, wenn er meint, „Ärzte seien keine Mechaniker des Todes“, wie sich unschwer aus einem Seitenblick zum Schwangerschaftsabbruch ergibt.

Auch diesbezüglich ist es in die freie und verantwortungsvolle Gewissensentscheidung der Ärzteschaft gestellt, ggf. hieran mitzuwirken resp. denselben durchzuführen.

Mit der vorliegenden Fassung hat die ÄK Berlin eine zeitgemäße Regelung verabschiedet, die dazu betragen wird, dass die Ärzteschaft in die Freiheit ihrer Gewissensentscheidung entlassen wird, ohne dass ein „staatliches Obergericht“ zur Entscheidung berufen wird, wie es erkennbar expressis verbis der Präsident der BÄK einfordert.

Die ÄK Berlin hat ihre prinzipiell eingeräumte Satzungsautonomie sachgerecht und kompetent ausgeübt und sich so von einem rechtsethisch gebotenen Standard leiten lassen, der sich nicht zuletzt aus dem Grundgesetz und den dort verbürgten Grundfreiheiten auch für die Ärzteschaft ergibt.

Es bleibt zu hoffen, dass die BÄK demnächst die Möglichkeit nutzen wird, ihren ethischen Irrweg zu verlassen. Es steht eben einer Kammer nicht gut zu Gesichte, über Gebühr in die freie Gewissensentscheidung ihrer Kolleginnen und Kollegen einzugreifen, so dass in letzter Konsequenz der Eindruck entstehen könnte, als seien einige Ärztinnen und Ärzte (immerhin wohl ein Drittel) arztethisch und moralisch verroht, da diese ggf. beabsichtigen, ein „ja vielleicht schmutziges Geschäft“ (O-Ton Montgomery) zu betreiben.

War es nicht der ehemalige Präsident der BÄK, der da mit gehöriger Sensibilität anmahnte: "Wenn Ärzte mit sich selbst im Reinen sind, dann brechen wir nicht den Stab über sie".

Den individuellen „Moralvorstellungen“ – besser freilich Gewissensentscheidungen – sollten erkennbar mehr Raum gegeben werden, auch wenn sich im Nachgang dienstbeflissen die Ärztefunktionäre anschickten, die scheinbaren Irritationen schnellstens wieder aufzulösen und darauf hinzuweisen, dass ein Paradigmenwechsel speziell mit Blick auf die Sterbebegleitung durch die Ärzteschaft nicht eingetreten noch gewollt sei.

Vollmundig und zuweilen mit markigen Sprüchen wurde gebetsmühlenartig aus dem Elfenbeinturm der Arbeitsgemeinschaft der ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften darauf hingewiesen:
„Ärzte sind Heiler und Helfer und keine Mechaniker des Todes“.
Nun haben sich offensichtlich einige Landesärztekammern besonnen und sich der weisen Worte des ehemaligen Präsidenten der BÄK erinnert, mit denen unausgesprochen hochrangige Grundrechte erinnert wurde.

Die BÄK wäre gut beraten, ihren „ethischen und moralischen Widerstand“ gegen eine Liberalisierung des Berufsrechts aufzugeben, denn „nur“ so ließe es sich sicherstellen, dass individuelle Gewissensentscheidungen nicht zum Spielball von Machtkämpfen oder gar „Machtgelüsten“ innerhalb der Ärzteschaft werden.

Hierz

Dr. Karlheinz Bayer 04.07.201307:39 Uhr

Berlin tut gut


Es ist an der Zeit, daß die Bundesärztekammer ebenso der Praxiswirklichkeit folgt, und der Rechtsprechung sowieso, wie die Berliner Kammer.
Man kann nicht festhalten an einem weltfernen Weltbild.
Das Thema ist keineswegs einfach oder schwarz-weiß.
Es ist die Bundesärztekammer.
Deswegen tut Berlin (mal wieder) gut.

Dr.Bayer, Bad Peterstal

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