Gericht kippt Sterbehilfe-Verbot

Das generelle Verbot für dem ärztlich assistierten Suizid steht auf der Kippe: Jetzt hat das Berliner Verwaltungsgericht die einschlägige Regelung als verfassungswidrig eingestuft. Juristen sprechen von einem Durchbruch.

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Berufsordnung für Ärzte: Paragraf 16 im Visier der Richter.

Berufsordnung für Ärzte: Paragraf 16 im Visier der Richter.

© Illian

BERLIN (nös). Das absolute Verbot für den ärztlich assistierten Suizid droht zu kippen: In einem Musterprozess hat das Verwaltungsgericht Berlin am Freitag das Sterbehilfeverbot in Paragraf 16 der Berufsordnung als verfassungswidrig verworfen.

Die Entscheidung könnte ein Schlaglicht auf die ärztlichen Standesregeln zur Sterbebegleitung werfen. Denn erst vor einem Jahr hatte der 114. Ärztetag das Verbot in der Musterberufsordnung präzisiert.

Die jetzige Entscheidung geht auf eine Klage der Ärztekammer Berlin gegen den Berliner Urologen Uwe A. zurück. Er wollte 2007 einer Patientin aus Bayern Medikamente in tödlicher Dosis überlassen.

Damals hatte er sich in dem Verein dignitate engagiert, einem Ableger der Schweizer Sterbehilfe-Vereinigung dignitas.

Die Kammer untersagte ihm die Überlassung der Medikamente am 29. November 2011 und drohte ihm bei Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 50.000 Euro an.

Kammerpräsident Dr. Günther Jonitz bezeichnete das Vorgehen damals als "Kommerzialisierung des Suizides", was er strikt ablehne.

Uwe A. legte gegen den Bescheid der Kammer Widerspruch ein. Kurze Zeit später landete der Fall vor Gericht. In der Zwischenzeit verstarb die Patientin von A. im Pflegeheim.

Am Freitag nun verwarfen die Richter den damaligen Bescheid als unzulässig. Die Regelung in der Berufsordnung lasse dem Arzt nicht den nötigen Ermessensspielraum, so die Begründung.

Konkret sahen die Richter nach Angaben des Verteidigers, Dieter Graefer, Artikel 2 des Grundgesetzes ("Die Freiheit der Person ist unverletzlich.") und Artikel 12 ("Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden.") verletzt.

Die genaue Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Graefe erwartet sie innerhalb der nächsten Tage.

Keine Entscheidung zwischen Tür und Angel

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" verwies er allerdings auf den für ihn wesentlichen Urteilsspruch: "Im Übrigen wird der Bescheid der Ärztekammer Berlin aufgehoben."

Für Graefe steht damit die gesamte Regelung zur Sterbehilfe in der Berufsordnung der Kammer Berlin in Frage. Dort heißt es in Paragraf 16: "Der Arzt darf das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen".

Graefe geht sogar noch weiter und sieht implizite Folgen für die jüngst vom 114. Ärztetag geänderte Musterberufsordnung.

Dort heißt es seit Kiel: "Es ist ihnen (Ärzten, Anm.) verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Die Berufsordnung der Kammer Berlin folgt im Paragrafen 16 bislang noch dem Wortlaut der alten Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (BÄK).

Graefe bezeichnet das Urteil dennoch als Durchbruch, auch auf Bundesebene. Das Urteil sei keine "Entscheidung zwischen Tür und Angel" gewesen.

Graefe: "Alles wurde sehr ausführlich und überzeugend begründet". Das Gericht hat die Berufung dennoch wegen der grundsätzlichen Bedeutung zugelassen.

Graefe sieht das Urteil auch in einer Reihe mit dem höchstrichterlichen Spruch des Bundesgerichtshof aus dem Juni 2010.

Damals hatte der BGH "Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung" als gerechtfertig definiert, wenn es dem Patientenwillen entspreche (Az.: 2 StR 454/09).

Fachjuristen vermuten derweil, dass die Kammer in Berlin nicht in Berufung gegen das Urteil gehen wird. Von Seiten der Ärztekammer war am Wochenende keine Stellungnahme zu erhalten.

Welche Auswirkung das Urteil auf die Musterberufsordnung der BÄK hat? Graefe vermutet: "Gar keine." Die BÄK habe gar keine Regelungskompetenz, schließlich mache sie mit der MBO nur "Vorschläge". Auch seitens der BÄK war am Wochenende keine Stellungnahme zu erhalten.

Az.: VG 9 K 63/09

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Kommentare
Lutz Barth 02.04.201208:51 Uhr

Ärzte haben ein Gewissen!

Das Urteil des VG Berlin wird in der Tat die aktuelle Diskussion um die ärztliche Suizidassistenz beleben, wenngleich es entscheidend darauf ankommt, welcher konkrete Sachverhalt den derzeit noch nicht bekannten Entscheidungsgründen zugrunde gelegen hat.

Auffällig ist, dass in dem obigen Bericht der Ärzte Zeitung offensichtlich auf zwei Vorgänge Bezug genommen wird: einerseits aus 2007 und andererseits aus 2011.

Ungeachtet dessen dürfen wir alle auf die Entscheidung gespannt sein. Möglicherweise ist es dem Berliner Verwaltungsgericht gelungen, deutliche Worte zum Schutz der Grundrechte der in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft verkammerten Ärzteschaft zu finden, so dass auch Grundrechte der Ärztinnen und Ärzte nicht beliebig eingeschränkt werden können. Dies wäre allemal zu begrüßen, da derzeit nicht wenige Ärzte in arge Gewissensnöte gestürzt werden und es wenig sinnvoll erscheint, ein in der Diskussion befindliches Arzt- bzw. Standesethos zwangsweise über eine berufsrechtliche Regelung (§ 16 MBO-Ä) absichern zu wollen.

Auch wenn die Musterberufsordnung nicht verbindlich ist, so gehen doch von ihr regelmäßig Signale aus, die überwiegend von den entsprechenden Landesärztekammern in ihren Berufsordnungen übernommen werden. Vorliegend allerdings zeichnet sich bereits gegenwärtig ab, dass es in Deutschland kein „einheitliches Berufsrecht der Ärzteschaft“ in einer scheinbar zentralen Frage geben wird: Das Arzt- und Standesethos erfährt in den Berufsgesetzen der Länder jeweils eine unterschiedliche Bewertung und es steht zu vermuten an, dass dies gerade mit Blick auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit erfolgt. Einige Ärztekammern (z.B. Bayern, Westfalen-Lippe) haben sich im Gegensatz zu der Musterberufsordnung zu einer moderaten Regelung durchgerungen und dies ist nachhaltig zu begrüßen. Es gereicht einem hoch stehenden Berufsstand nicht zur Ehre, wenn Kolleginnen und Kollegen sich exklusiv dazu berufen fühlen, über ein ethisches Zwangsdiktat die Gewissensentscheidung ihrer ärztlichen Kolleginnen und Kollegen beugen zu wollen.

Mit Verlaub: Die Kammern sollen ihre Kolleginnen und Kollegen in die Freiheit der Gewissensentscheidung entlassen und damit ein deutliches Signal setzen: Ärztinnen und Ärzte sind hierzulande nicht „ethisch“ oder moralisch verroht und sie bedürfen keiner ethischen Erziehung durch eine Kollegenschaft, denen – wie soll es auch anders sein – selbstverständlich auch das Recht der individuellen Gewissensentscheidung eingeräumt ist. Dies gebietet zuvörderst der verbürgte ethische Grundstandard unseres Grundgesetzes und wie es scheint, sind die Ärztekammern, aber vornehmlich die BÄK, daran zu erinnern, dass das Standesethos keinesfalls dazu taugt, ein ohne Gesetzesvorbehalt gewährtes individuelles Freiheitsrecht einzuschränken bzw. seines Wesenskerns überhaupt zu „berauben“. Ein mehrheitliches Votum der Ärzteschaft in den Ärzteparlamenten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grundrechte in erster Linie individuelle Freiheitsrechte sind und gerade die Ärzteschaft dazu berufen ist, Toleranz in einer ethisch höchst umstrittenen Frage zu üben, zumal einzig die individuelle Arzt-Patienten-Beziehung der Ort ist, wo die höchst sensiblen Fragen abzuklären sind.

Manche Mitdiskutanten frohlocken schon, dass der Präsident der BÄK eine „wohlverdiente herbe Niederlage“ erlitten habe. Mit Verlaub: Darum geht es nun wahrlich nicht, denn selbstverständlich bleibt es dem Präsidenten der BÄK anheimgestellt, an seinen individuellen Überzeugungen festzuhalten. Entscheidend ist und bleibt allenfalls der wünschenswerte Erkenntniszuwachs, dass Ärztinnen und Ärzte „nur“ dann ihrer Verantwortung gegenüber den Patienten gerecht werden können, wenn sie frei von standesethischen Proklamationen von nur vorübergehendem Wert in einen Dialog mit ihrer Patientenschaft eintreten können, um eine u.a. am Willen des Patienten orientierte Entscheidung am Ende des Lebens treffen zu können und zwar an

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