Organspende-Skandal
Immer mehr Verdachtsfälle
Erst Göttingen, jetzt Regensburg: Der Organspende-Skandal zieht weitere Kreise. Jetzt muss der Direktor der chirurgischen Klinik in Regensburg vorläufig seinen Hut nehmen. Immer mehr stellt sich die Frage: Wie tief ist der Sumpf noch?
Veröffentlicht:GÖTTINGEN/MÜNCHEN. Im Transplantationsskandal gerät jetzt immer mehr auch das Uni Regensburg ins Visier der Ermittler. Dort hatte der unter Bestechlichkeitsverdacht stehende frühere Leiter der Göttinger Transplantationschirurgie in den Jahren 2003 bis 2008 als Oberarzt gearbeitet.
Nach Angaben des bayerischen Wissenschaftsministeriums besteht der Verdacht, dass auch in Regensburg im Zusammenhang mit Lebertransplantationen Krankendaten manipuliert wurden.
Bei neuen Untersuchungen der Klinikleitung sei man auf insgesamt 23 Verdachtsfälle in den Jahren 2004 bis 2006 gestoßen. Der Fall sei bereits der Staatsanwaltschaft übergeben worden.
Die neuen Erkenntnisse werfen vor allem eine Frage auf: Warum hat man in Regensburg die Manipulationen erst jetzt entdeckt?
Schließlich war der Transplantationschirurg dort bereits 2005 aufgefallen. Damals hatte der Chirurg, bei dem es sich um einen palästinensischen Israeli handeln soll, nach Angaben der Uniklinik eine Leber nach Jordanien geschafft und dort einer Patientin implantiert.
Um den unzulässigen Organtransfer zu vertuschen, gab er fälschlicherweise gegenüber Eurotransplant an, dass sich die Patientin in Regensburg befinde, so die Klinik.
Außerdem wurden mehrere jordanische Patienten auf die Eurotransplant-Warteliste für postmortale Organspenden gesetzt. Damit dies nicht auffiel, wurde als Wohnort die Adresse des Regensburger Uni-Klinikums angegeben.
Ein Bericht ohne Konsequenzen
Die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer (StäKO) hatte den Fall damals untersucht und ihren Bericht der Staatsanwaltschaft, drei bayerischen Ministerien, dem Klinik-Aufsichtsrat und der Ärztekammer übermittelt.
Zum Erstaunen der Prüfer zog der Bericht keine Konsequenzen nach sich. Einzige Folge war, dass die Regensburger Klinik Richtlinien für Organtransplantationen mit Auslandsbezug erließ.
Publik wurden die Vorfälle erst im Zuge der Ermittlungen in Göttingen. Auf erste Anfragen zu dem Fall gab die Pressesprecherin der Regensburger Klinikums noch Ende Juni die knappe Antwort, dass es zu keinem Zeitpunkt staatsanwaltliche Ermittlungen gegen den Oberarzt gegeben habe.
Das Klinikum überprüfe "regelmäßig und ständig" im Rahmen seines Risikomanagement-Systems alle Bereiche. Über Interna gebe man jedoch keine Auskunft.
Diese Strategie des "Unter-den-Teppich-Kehrens" lässt sich nun kaum mehr aufrechterhalten. Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft damals den Fall geprüft, aber kein strafrechtlich relevantes Verhalten festgestellt.
Verstöße gegen die Richtlinien des Transplantationsgesetzes werden in der Regel nicht strafrechtlich geahndet - es sei denn, dass mit Organen gehandelt wurde oder ein anderer Patient, der durch die Manipulationen benachteiligt wurde, infolge eines ausgebliebenen Spenderorgans verstorben ist.
Ob ein solcher Nachweis zu führen ist, prüft jetzt die Staatsanwaltschaft Göttingen. Sie ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 23 Fällen.
Der Regensburger Chirurg konnte unbehelligt weiterarbeiten und sogar Karriere machen. 2008 bewarb er sich auf die neu zu besetzende Stelle des Leiters der Transplantationschirurgie in Göttingen und setzte sich gegen mehrere Bewerber durch.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, stellte kürzlich die Frage, ob bei der Auswahl von Führungspersonal für die Transplantationsmedizin gewissenhaft gearbeitet werde.
Lilie: "In Göttingen wird nichts vertuscht
Dass in Göttingen von den Regensburger Vorfällen überhaupt nichts bekannt gewesen sei, sei "schon ein starkes Stück". Der Fall sei schließlich "dokumentiert gewesen".
Nicht nur in Göttingen fragen viele, was Montgomery da geritten hat. Die Ärztekammer hat den Prüfbericht nie veröffentlicht, auf die Frage, wer ihn zu lesen bekommen hat, war bei deren Pressestelle bislang keine Antwort zu erhalten.
Der Fall sei "in der Transplantationsszene bekannt gewesen", heißt es. Zu dieser "Szene" gehört auch der Transplantationskoordinator der Göttinger Universitätsmedizin, Ralf Werner. Bei den jährlichen Eurotransplant-Treffen seien die Regensburger Vorfälle nie angesprochen worden, sagt er.
Neben der Berufungskommission hatten auch drei Gutachter die Bewerber für die Stelle in Göttingen geprüft - allesamt renommierte Transplantationschirurgen, sagt Klinikvorstand Professor Martin Siess. Auch diese hätten keine Bedenken gehabt, sondern unisono den Kandidaten aus Regensburg empfohlen.
Das Göttinger Klinikum hat nach Bekanntwerden des ersten Verdachts sofort personelle Konsequenzen gezogen. Einen Tag nach einem Hinweis der BÄK im November 2011 wurde der Chirurg beurlaubt. Nachdem sich der Verdacht erhärtet hatte, trennte sich die Universitätsmedizin zum Jahresende von dem Arzt.
Auch bei dem Leiter der Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie wurde nicht lange gefackelt. Als man darauf stieß, dass in seiner Abteilung Laborwerte von Transplantationspatienten manipuliert wurden, wurde er vergangene Woche sofort vom Dienst frei gestellt.
Der Leiter der StäKO, Professor Hans Lilie, ist voll des Lobes: "In Göttingen wird nichts vertuscht, sondern schonungslos und ohne Rücksicht auf Verluste aufgeklärt."
Auch in Regensburg gibt es jetzt erstmals personelle Konsequenzen: Am Donnerstag wurde der Direktor der Chirurgischen Klinik, Professor Hans Schlitt, beurlaubt. Schlitt habe möglicherweise seine Aufsichtspflicht verletzt, teilte Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch mit.
Unterdessen haben die ermittelnden Staatsanwaltschaften am Donnerstag mitgeteilt, dass sie ihre Ermittlungen eng koordinieren wollen. So hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig bereits Akten aus Regensburg angefordert.
Auch die Staatsanwaltschaft in Regensburg ermittelt derweil parallel zu Braunschweig gegen den ehemaligen Göttinger Transplantationsmediziner, der zuvor in Regensburg tätig war.
Berichte des bayerischen Wissenschaftsministeriums, wonach sich der ehemalige Oberarzt ins Ausland abgesetzt haben soll, wies die Sprecherin der Braunschweiger Staatsanwaltschaft, Serena Stamer, am Donnerstag zurück.
"Nach unseren Erkenntnissen steht er für die Ermittlungsbehörden zur Verfügung." Allerdings sei der Arzt ein freier Mann und könne sich auch ins Ausland begeben.
Mitarbeit nös