Verordnungsreport

Innovationen kommen teuer

Neue Arzneien als Kostentreiber? Die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports 2016 brandmarken erneut die Kostenwirkung von Innovationen. Die Kritik richtet sich vor allem gegen die Politik.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Helmut LaschetHelmut Laschet Veröffentlicht:
Arzneimittelverordnungen: Innovationen kommen oft teuer.

Arzneimittelverordnungen: Innovationen kommen oft teuer.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN. Der Markt für patentgeschützte Arzneimittel in Deutschland ist im europäischen Vergleich teuer. Zu diesem Ergebnis kommen die Herausgeber des aktuellen Arzneiverordnungs-Reports (AVR) aus dem Springer Verlag. Die Arzneien mit Unterlagenschutz hätten auch 2015 die Preise getrieben, sagte der Heidelberger Pharmakologe, Professor Ulrich Schwabe, bei der Vorstellung des Reports am Montag in Berlin.

Insgesamt habe die Politik die Pharmaindustrie seit 2012 mit sechs Milliarden Euro "still subventioniert", sagte Schwabe.

Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung sind 2015 laut Report um 1,5 Milliarden Euro und damit 4,3 Prozent auf 36,9 Milliarden Euro gestiegen. Allein der Patentmarkt habe mit 1,3 Milliarden Euro zu dem Anstieg beigetragen (siehe Grafik). Er ist damit auf 14,9 Milliarden Euro gestiegen.

Von 132 auf 369 Euro

Als Hauptursache für die Ausgabendynamik werden die steigenden Preise für patentgeschützte Arzneimittel genannt. Blieb der Apothekenverkaufspreis je Packung im Generikamarkt zwischen 2006 und 2015 mit zuletzt 29 Euro nahezu konstant, stieg der Preis für patentgeschützte Arzneimittel im gleichen Zeitraum von 132 auf 369 Euro - ein Zuwachs von 180 Prozent.

In anderen europäischen Ländern liegen die Preisniveaus für die 250 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel zwischen zehn und 31 Prozent unter dem deutschen.

Widerspruch kam umgehend aus der Industrie: Die Rechnung der AVR-Herausgeber kehre unter den Tisch, dass der Anteil der Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel seit dem Jahr 2001 mit um die 45 Prozent nahezu konstant geblieben sei, meldete sich der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) zu Wort.

Hecken sieht wenig Chancen für Bestandsmarkt

Ein Ziel des 2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) war es, rund zwei Milliarden Euro im Jahr einzusparen. Diese Entwicklung laufe derzeit diametral entgegengesetzt, sagte Schwabe. Grund sei die Aufweichung des AMNOG, vor allem durch den Verzicht auf eine Nutzenbewertung des Bestandsmarktes. Allein der hätte den Löwenanteil der anvisierten Einsparsumme garantieren können.

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Professor Josef Hecken, sieht wenig Chancen, den Bestandsmarkt noch unter die Lupe zu nehmen. Man laufe Gefahr, unter Umständen Vergleichstherapien aus der Frühzeit des AMNOG ad absurdum zu führen, hatte Hecken bei einer Veranstaltung von RS Medical Consult wenige Tage zuvor in Berlin gesagt.

Der Gesundheitsweise Professor Wolfgang Greiner hatte bei der Gelegenheit darauf verwiesen, dass er die durch das AMNOG bisher erreichte finanzielle Entlastung für die GKV nicht als enttäuschend ansehe.

AMNOG-Novelle als "multiple Demontage"

Schwabe sieht die Absichten des AMNOG dagegen aktuell völlig unterhöhlt. Die geplante AMNOG-Novelle sei eine "multiple Demontage". Die Änderungen würden die Verbraucher in ganz Europa belasten. Hintergrund ist die geplante Vertraulichkeit der verhandelten Arzneimittelpreise.

Bereits im Vorfeld der Präsentation des AVR hatte der BPI eine ergänzte Berechnung der Einsparungen durch die frühe Nutzenbewertung vorgelegt. Danach beträgt der Spareffekt aufgrund der Vereinbarung von Erstattungsbeträgen, die unterhalb der Einführungspreise liegen im Jahr 2015 rund 800 Millionen Euro - ein Betrag, der jährlich dynamisch wächst. Hinzugerechnet werden müssen nach Auffassung des BPI die Einsparungen, die dadurch zustande kommen, dass 28 neu zugelassene Arzneimittel auf dem deutschen Markt nicht eingeführt worden sind - Spareffekt 829 Millionen Euro - und weitere 18 Arzneimittel als Folge der Nutzenbewertung aus dem Vertrieb genommen worden sind mit einem Spareffekt von 533 Millionen Euro. In der Summe seien dies 2,16 Milliarden Euro.

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