Gesetzentwurf
Bundeskabinett gibt grünes Licht für Pflegereförmchen
Höhere Beiträge für die Pflegeversicherung, höhere Zuschüsse bei ambulanter und stationärer Pflege: Das Bundeskabinett hat die Pflegepläne von Gesundheitsminister Lauterbach durchgewunken. Kassen, Sozialverbände und Arbeitgeber sind nicht begeistert.
Veröffentlicht:Berlin. Begleitet von massiver Kritik von Kassen, Sozialverbänden und Arbeitgebern hat das Bundeskabinett am Mittwoch den Gesetzentwurf zur Reform der sozialen Pflegeversicherung auf den Weg gebracht.
Die Pläne sehen eine Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes um 0,35 Prozentpunkte zum 1. Juli 2023 vor. Dies soll der Pflegeversicherung Mehreinnahmen in Höhe von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr bescheren. Vier Milliarden Euro sollen in Leistungsverbesserungen fließen – mit dem Rest soll ein strukturelles Defizit von 2,6 Milliarden Euro aufgefangen werden. Höhere Steuerzuschüsse sind nicht vorgesehen.
Die Bundesregierung soll den Plänen zufolge zudem ermächtigt werden, den Beitragssatz künftig per Rechtsverordnung festzulegen. Damit soll auf kurzfristigen Finanzierungsbedarf reagiert werden.
Kabinett winkt Lieferengpassgesetz durch
Antibiotika und Kinderarzneien sollen speziell gefördert werden
Entlastung kinderreicher Familien geplant
Kinderreiche Familien sollen beim Beitragssatz entlastet werden – greifen sollen die Regelungen ab dem ersten Kind. Ab zwei Kindern wird der Beitrag bis zum 25. Lebensjahr um 0,25 Beitragssatzpunkte je Kind bis zum fünften Kind weiter abgesenkt. Die Ampel kommt damit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nach.
Nach der jeweiligen Erziehungsphase entfällt der Abschlag wieder. Eltern sollen generell 0,6 Beitragssatzpunkte weniger einzahlen als Kinderlose. Bei Letzteren würde der Beitragssatz bei vier Prozent liegen. Der Arbeitgeberanteil soll immer bei 1,7 Prozent liegen.
Die Reform enthält auch Leistungsverbesserungen. Um die häusliche Pflege zu stärken, soll das Pflegegeld ab 2024 um fünf Prozent angehoben werden. Dasselbe gilt für ambulante Sachleistungsbeträge.
Das Pflegeunterstützungsgeld soll von Angehörigen pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person in Anspruch genommen werden können und soll nicht mehr beschränkt sein auf einmalig zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person.
Höhere Zuschläge für Heimbewohnende
Angehoben werden sollen auch die Zuschläge, die die Pflegekassen an die Bewohner von Altenheimen zahlen. Die Zuzahlungen richten sich nach der Verweildauer der Pflegebedürftigen – bei einem Heimaufenthalt von über einem Jahr etwa steigen die Sätze von derzeit 25 auf 35 Prozent.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach im Anschluss an die Kabinettsitzung am Mittwoch von einem „schwierigen Gesetz“. Die Koalition habe auf mehrere Herausforderungen in der Langzeitpflege zu reagieren. Dazu gehörten höhere Gehälter, die Inflation sowie eine steigende Zahl von Pflegebedürftigen, die überdies länger gepflegt würden.
Insgesamt sei das Ausgabenvolumen der Pflegeversicherung stark gestiegen. 2017 hätten die Ausgaben noch bei rund 35 Milliarden Euro gelegen, inzwischen gäben die Pflegekassen jährlich 60 Milliarden Euro aus.
Heikle Finanzlage in der Pflegeversicherung
Dicke Sparstrümpfe für die Pflege
Starke Dynamik bei den Ausgaben
Lauterbach betonte, auf Dauer ließe sich die „Dynamik“ bei den Ausgaben im „bestehenden System“ nicht durchhalten. Eine Kommission aus Vertretern mehrerer Ministerien soll nun bis Ende Mai 2024 Empfehlungen zur dauerhaften Finanzierung vorlegen.
Dabei sei auch über die Umwandlung der Pflegeversicherung in eine „Vollkaskoversicherung“ nachzudenken, sagte Lauterbach. Er persönlich halte dies für „richtig“. Bislang deckt die Pflegeversicherung nur einen Teil der Pflegekosten ab.
Vertreter der Kassen kritisierten die Reformpläne als zu kurz gedacht. Die vorgesehene Beitragssatzerhöhung schaffe lediglich bis zum Jahr 2025 „Ruhe, die erforderliche nachhaltige Lösung wird weiter aufgeschoben“, sagte die Vorstandschefin beim AOK-Bundesverband, Dr. Carola Reimann.
Kassen vermissen den großen Wurf
Der Geschäftsführer des IKK e.V., Jürgen Hohnl, rechnete vor, dass die steuerliche Gegenfinanzierung der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Rückerstattung pandemiebedingter Zusatzkosten zusammen mehr als neun Milliarden Euro für die Pflegeversicherung bringen würden.
Die Vorstandsvorsitzende des Verbands der Ersatzkassen, Ulrike Elsner, sagte, die Ampel verspiele die Chance, „die Pflege jetzt zukunftsorientiert aufzustellen“.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, rief die Ampel auf, Schluss zu machen mit „Stückwerk“. „Was es braucht, ist ein langfristiger Plan und eine Reform, die die Pflegeversicherung vom Kopf wieder auf die Füße stellt.“
Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) erklärte, die Pläne belasteten die junge Generation massiv. Nötig seien mehr Vorsorge und gezielte Hilfen statt „Geldvergabe mit der Gießkanne“, sagte Dr. Florian Reuther.
Arbeitgeber wiederum mahnten die Einrichtung einer Stelle an, bei der sich die für den Beitragssatz maßgebliche Kinderzahl digital abrufen lasse. „Erst wenn dies der Fall sei, dürfe die kinderzahlabhängige Beitragsstaffelung starten, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter. (hom)