Kassen-Sparschwein weiter im Visier

Die Politik lässt nicht locker bei den Milliarden-Überschüssen im Gesundheitsfonds. Finanzminister Schäuble hat sich offen für Kürzungen ausgesprochen. Die Bundesärztekammer findet die ganze Debatte absurd, die Industrie vermutet sich im Tollhaus.

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Die arme Sau.

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NEU-ISENBURG (nös). Der Druck auf die Krankenkassen wächst trotz aller Abwehrversuche weiter. Nun hat sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zwar indirekt aber offen für eine Kürzung der Steuerzuschüsse für den Gesundheitsfonds ausgesprochen.

"Der Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung hat sich in den vergangenen Jahren in einem Maße entwickelt, der ordnungspolitisch schwer zu vertreten ist", sagte Schäuble den "Lübecker Nachrichten".

In der Koalition bestehe Konsens, den Staatsanteil am Fonds zumindest nicht weiter zu erhöhen, sagte der Minister.

Schäuble zeigte sich zuversichtlich, dass der neue Haushaltsentwurf der "ökonomischen Vertretbarkeit von Zuschüssen" entsprechen werde.

Zuvor wurde lediglich unter Berufung auf Regierungskreise berichtet, dass Schäuble den Zuschuss stutzen wolle. Die Rede war von einer Kürzung zwischen zwei und vier Milliarden Euro im Jahr 2013.

Derzeit beträgt der Zuschuss 14 Milliarden Euro. Finanziert werden damit beitragsfrei Versicherte und versicherungsfremde Leistungen der Krankenkassen.

Erst einmal die Versorgung sicherstellen

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Frank Ulrich Montgomery, bezeichnet die Diskussion um Beitragsrückerstattungen und Kürzungen der Zuschüsse unterdessen als "absurd".

"Wir wissen alle, dass Beitragssenkungen oder Boni schnell verfrühstückt und vergessen sind", sagte der BÄK-Präsident am Dienstag in Berlin.

Montgomery warnte, dass spätestens bei einem konjunkturellen Einbruch der Gesundheitsfonds wieder unter Druck geraten werde. Dann würde der Staat "jeden Euro, den er an den Fonds überweist, mehrfach drehen und wenden".

Montgomery: "Für die Zukunft unseres Gesundheitswesens ist es aber brandgefährlich, wenn die Finanzierung der Patientenversorgung in Deutschland an fiskalpolitische Erwägungen geknüpft wird."

Bevor etwa Kassenbeiträge gesenkt würden, müsse die Regierung zunächst dafür sorgen, dass eine angemessene Finanzierung der Versorgung sichergestellt ist, forderte er.

Das Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) sorgte trotz der Kritik für neue Nahrung in der Kontroverse. In einer Berechnung für das "Handelsblatt" kommen die Ökonomen zu dem Schluss, dass die Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung auch weiter steigen werden.

Arbeitgeber wollen geringere Beiträge

Für dieses Jahr erwarten die Forscher ein Plus von 5,7 Milliarden Euro, 2013 könnten dem Bericht zufolge weitere 1,8 Milliarden Euro hinzukommen.

Im vergangenen Jahr wird der Gesundheitsfonds nach Schätzungen des GKV-Schätzerkreises einen Überschuss von 4,4 Milliarden Euro erzielt haben. Hinzu kommt noch die Liquiditätsreserve von insgesamt 8,6 Milliarden Euro.

Große Teile davon sind, anders als oft dargestellt, allerdings gebunden: etwa die Mindestreserve in Höhe von 20 Prozent einer durchschnittlichen Monatsausgabe, sowie weitere zwei Milliarden Euro für den Sozialausgleich und die Finanzierung der Zusatzbeiträge von ALG-2-Empfängern.

Dennoch würde nach den Zahlen des IfW der Gesamtüberschuss bis 2013 auf gut 20,5 Milliarden Euro steigen - rund zehn Prozent der GKV-Gesamteinnahmen in einem Jahr.

Für die Wirtschaft Zahlenmaterial genug, um Beitragssenkungen zu fordern. "Die gute finanzielle Situation der Kassen sollte sich auch in Entlastungen für Betriebe und ihre Beschäftigten widerspiegeln", forderte der Vizechef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Achim Dercks, laut "Handelsblatt".

Dem schloss sich IfW-Steuerexperte Dr. Alfred Boss an: Eine Beitragssenkung auf 15 Prozent "wäre durchaus möglich". Ergebnis wäre eine Einnahmenreduzierung von etwa 5,5 Milliarden Euro entlasten.

Angesichts dieser Forderungen und der Vorschläge aus der Politik, sehen sich nun auch die forschen Pharmaunternehmen zur Wortmeldung gezwungen. "Der Vorgang sieht aus wie ein Stück aus dem Tollhaus", monierte die vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer am Mittwoch in Berlin.

Fischer spielte damit auf den nach ihren Worten "rechtlich umstrittenen" Herstellerabschlag an. Wenn es Geld zu verteilen gebe, müsste die Regierung letztlich auch den Abschlag überdenken, so Fischers Argument.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 15.02.201213:44 Uhr

GKV-Entlastung finanzierbar!

Könnte sich der gelernte Wirtschaftsjurist und Bundesfinanzminister Dr. jur. Wolfgang Schäuble nicht erst mal gesundheitspolitisch sachkundig machen, bevor er seine Streitaxt an den steuerfinanzierten Bundeszuschuss zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anlegt und in der Öffentlichkeit hanebüchenen Unsinn verbreitet?

Der GKV-Bundeszuschuss dient rechtsverbindlich der "Mitfinanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben" wie dem Sozialausgleich bei GKV-Beitragsfreiheit für bis 18-Jährige, nichtarbeitende Ehefrauen, geringfügige GKV-Beiträge bei prekären Arbeitsverhältnissen, Minijobs, geringen Renten und ALG I+II-Beziehern. Er bildet Befreiungen von Praxis- und Verordnungsgebühren bzw. Zuzahlungen ab. Die GKV bedient zusätzlich die Finanzierung sämtlicher Krankheitsfolgen von Alkohol, Tabak und Verkehrsunfällen, ohne einen Cent aus dem dazu gehörigen Steueraufkommen refinanziert zu bekommen. Das gilt übrigens auch für a l l e Attentatsopfer und durch Straftaten Verletzte, wenn sie nicht durch Beihilfe und Private Krankenversicherung privilegiert sind.

14 Mrd. €, übrigens von a l l e n Steuerpflichtigen eingebracht, sind bei 180 Mrd. € GKV-Gesamtumsatz gerade 7,8 Prozent. Das reicht hinten und vorne nicht für die per GKV-Gesundheitsfonds als Vorleistung erbrachten Solidar-, Transfer- und Subsidiärleistungen.

Es ist geradezu wohltuend, wenn der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Frank Ulrich Montgomery, die Debatte als "absurd" kennzeichnet. Und was muss eigentlich noch passieren, dass in der Bundesregierung die offenkundige Begriffsstutzigkeit bei der Bewältigung von Krankheitsfolgen und -risiken aufhört?

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht den GKV-Fonds-
Gesamtüberschuss bis 2013 auf gut 20,5 Milliarden Euro anschwellen. Ihr Steuerexperte Dr. Alfred Boss empfiehlt, den GKV-Beitrag von 15,5 auf 15,0 % zu reduzieren. Das Kieler Institut für Mikrodatenanalyse sprach früher schon von einer gewaltigen "staatlichen Fehlallokation". Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) schrieb vom "Gesundheitsfonds, der" ..."bis Jahresende gut 8,6 Milliarden Euro Rücklagen hat." Zum Verbleib der seit 2009 jährlich aufgelaufenen Rückstellungsreserven des Gesundheitsfonds gibt es keine offene Bilanzierung.

Verbreiterung der GKV-Einnahmebasis durch deutliche Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, Berücksichtigung aller Einkunftsarten bei stetig sinkender Lohnquote, effektive Verringerung der Krankheits- an den Arbeitskosten sind für die schwarz-gelbe Koalition, aber auch für die SPD-Mehrheitsmeinung ein offensichtlicher "NO-GO"-Bereich. Aber für Kranke und Gesunde, Behinderte und Nichtbehinderte, für Politik, Medien und Öffentlichkeit durchaus ernsthaft diskutierbar.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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