Kassen halten jede zweite Klinikrechnung für falsch

Nicht korrekte Kodierung oder Patient zu lange behandelt: Fast jede zweite Klinikabrechnung ist falsch, sagen die Kassen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Medizinischen Dienste der Kassen finden in den Abrechnungen der Kliniken viele Fehler.

Die Medizinischen Dienste der Kassen finden in den Abrechnungen der Kliniken viele Fehler.

© Christopher Meder / fotolia.com

BERLIN. Die Zahl klingt gewaltig. "45,6 Prozent aller geprüften Krankenhausabrechnungen sind falsch", meldet der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen. Dadurch sei den gesetzlichen Krankenkassen ein Schaden von 1,5 Milliarden Euro entstanden.

Der von den Medizinischen Diensten der Krankenkassen (MDK) ermittelte Wert ist nach Angaben des Verbandes der höchste jemals festgestellte. 2009 hatte demnach die Fehlerquote bei den Abrechnungen noch bei 43 Prozent gelegen.

Angeschaut hätten sich die Medizinischen Dienste 11,6 Prozent der Abrechnungen. Diese Quote könne sich noch ändern, sagte ein GKV-Sprecher der "Ärzte Zeitung".

Fast 57 Prozent "Schwarze Schafe"

Für das Allzeithoch der Fehlerentdeckung sei entweder eine Verbesserung der Prüfqualität der Medizinischen Dienste oder eine Verschlechterung des Rechnungswesens in den Krankenhäusern verantwortlich, sagte Johann-Magnus von Stackelberg, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands.

Nicht alle Krankenhäuser stehen gleichermaßen am Pranger. Die Medizinischen Dienste gehen gezielt gegen "schwarze Schafe" vor. Dadurch hätten sich Spitzenwerte von bis zu 57 Prozent fehlerhafter Rechnungen ergeben.

Das ist denn auch der Kritikpunkt der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Deren Hauptgeschäftsführer Georg Baum entgegnete: "Bei den beanstandeten Rechnungen handelt es sich in der überwiegenden Zahl um medizinische Streitfälle. Das effektive Rückzahlungsvolumen liegt unter einem Prozent."

Baum rechnet vor: "96 Prozent aller abgerechneten Fälle werden selbst nach intensiver Prüfung nicht beanstandet." Es sei zudem im "höchsten Maße unseriös", die von den Kassen genannten 1,5 Milliarden Euro mit "Falschabrechnungen" gleichzusetzen.

Doch nicht nur die Kodierungen in den Kliniken stehen auf dem Prüfstand. Stets steht auch die Frage im Raum, ob die Voraussetzungen für eine vollstationäre Aufnahme und für die tatsächliche Dauer des Aufenthaltes überhaupt vorgelegen haben. Ein weiterer Prüfgrund ist, ob eine Leistung nicht vielleicht auch ambulant hätte erbracht werden können.

Politik muss dafür sorgen, dass richtig abgerechnet wird

"Die Politik muss baldmöglichst dafür sorgen, dass die Krankenhäuser endlich einen echten Anreiz haben, korrekt abzurechnen", forderte von Stackelberg am Donnerstag. Die Kassen sind sauer, dass sie den Krankenhäusern für jede geprüfte, aber für richtig befundene Rechnung eine Aufwandspauschale von 300 Euro bezahlen müssen.

Umgekehrt muss ein bei einem Abrechnungsfehler erwischtes Krankenhaus lediglich das zuviel erhaltene Geld zurückzahlen. In diesem Punkt eine gerechtere Lösung zu finden, hat das Bundessozialgericht dem Gesetzgeber im Juni 2010 ans Herz gelegt (B 1 KR 29/09 R).

Dies deckt sich mit der Haltung des Bundesrechnungshofes, der im Frühjahr auf zahlreiche fehlerhafte Krankenhausabrechnungen hingewiesen hatte.

Der Schaden wird überschätzt

Umstritten ist die Schadenssumme. Die Bundesregierung hält den Schaden nicht für dramatisch hoch. Er werde überschätzt, antwortete die Regierung vor kurzem auf eine dementsprechende Anfrage aus der Fraktion Die Linke.

Es kursierten Zahlen von 600 bis 1,5 Milliarden Euro, die auf linearen Hochrechnungen beruhten. Die Regierung machte in ihrer Antwort darauf aufmerksam, dass Fehler zu Gunsten der Kassen in der Gesamtrechnung nicht berücksichtigt würden.

Rund 58 Milliarden Euro haben die Kassen im Jahr 2010 für die Behandlungen ihrer Versicherten in Krankenhäusern ausgegeben.

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Kommentare
Dr. Christoph Schuster 19.08.201113:12 Uhr

Milchmädchenrechnung und Falschinformation durch die Krankenkassen

Dass die Krankenkassen nicht dort prüfen, wo sie nichts gewinnen können oder eventuell sogar noch draufzahlen müssten, ist klar. Deshalb werden ja auch "nur" 11,6% der Rechnungen geprüft. Selbst wenn 45,6% dieser Rechnungen "falsch" wären, dann wären das nach Adam-Riese 5,29% aller Rechungen – also weit von der als Schlagwort verwendeten Hälfte entfernt.
Aber auch der Begriff „falsch“ ist polemisierend. Dass es trotz vieler Regeln und Vorschriften im DRG-System zahlreiche Grauzonen gibt und dass man bei der für die Berechnung der Fallpauschalen erforderlichen Kodierung oft trefflich über die eine oder andere Diagnose oder über den einen oder anderen Prozedurenkode streiten kann, dürfte hinlänglich bekannt sein. Wäre es hier nicht angebracht, besser von umstrittenen Abrechnungen zu sprechen. Denn auch das, was der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) oftmals von sich gibt, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Selbst wenn der MDK sich gerne bei der Prüfung auf seine Fahnen eine Unabhängigkeit vom finanziellen Druck der Krankenkassen schreibt, so verfahren doch viele MDK-Prüfer nach dem Grundsatz „wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing“. Nur so lassen sich die manchmal grotesk anmutenden MDK-„Gutachten“ erklären. Da werden munter Verweildauertage mit medizinisch erforderlicher Behandlung gestrichen um die untere Grenzverweildauer der Fallpauschale zu unterschreiten (wodurch sich dann Abschläge von der Fallpauschale ergeben) oder medizinisch dringend notwendige „off-label“-Medikamente, die über ein Zusatzentgelt abgerechnet werden könnten, retrospektiv als unnötig gebrandmarkt. Da „googelt“ der MDK-Mitarbeiter, dass es für die Behandlung des vorliegenden seltenen Krankheitsbildes ja eine andere zugelassene Therapie gibt – auch wenn diese nach Konsens der Fachkreise seit Jahren obsolet ist. Und dass der behandelnde Arzt zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Dauer des Krankenhausaufenthaltes oder über die Verabreichung der Medikation dies ganz anders sehen musste, berührt die Kassenvertreter nur wenig.
Leider bleibt den Kliniken oft nur der langwierige Klageweg beim Sozialgericht.
Wie dem auch sei - hier statt von strittigen Abrechungen von „Falsch-“Abrechnungen zu reden ist tatsächlich äußerst unseriös.
Dass diese Streichung von Leistungen mit den geforderten kurzen Verweildauern und dem Nicht-Bezahlen von teueren aber unter Umständen lebenswichtigen Medikamenten im Endeffekt zu Lasten der Versicherten geht, müsste auch jedem klar sein.
Es ist nun Aufgabe der Politik dem Treiben der Krankenkassen Einhalt zu gebieten!

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