Prävention
Kassen knausern ein bisschen
Volkskrankheiten kosten jedes Jahr Milliarden Euro. Dagegen helfen sollen Präventionsprogramme. Doch dafür gibt die GKV immer weniger Geld aus. Das will die Große Koalition ändern.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Krankenkassen haben im Jahr 2012 nur noch 238 Millionen Euro für Krankheitsvorbeugung und Gesundheitsförderung ausgegeben und damit mehr als 100 Millionen Euro weniger als noch vor fünf Jahren.
Das geht aus dem aktuellen Präventionsbericht von GKV-Spitzenverband und Medizinischem Dienst des Spitzenverbands (MDS) hervor. Beide betonten, dass der gesetzlich vorgeschriebene Wert von 2,94 Euro mit durchschnittlich 3,41 Euro je Versichertem deutlich überschritten wurde.
Die große Koalition in Gründung plant, bereits 2014 ein Präventionsgesetz zu verabschieden. Ab 2015 sollen die Kassen je Versichertem zunächst sieben Euro im Jahr für die Prävention ausgeben, um nach jährlichen Anpassungen 2018 einen Richtwert von zehn Euro zu erreichen. So steht es im aktuellen Entwurf des Koalitionsvertrages, der allerdings noch endgültig konsentiert werden muss.
Kommt die neue Regelung, müssten die Kassen in wenigen Jahren für ihre mehr als 69 Millionen Versicherten knapp 700 Millionen Euro im Jahr für Prävention ausgeben, fast eine Verdreifachung der am Montag gemeldeten Zahlen.
80 Prozent dieses Geldes soll zweckgebunden für die Prävention in Betrieben, Schulen und Kindergärten ausgegeben werden. Die Rentenversicherung sowie die private Assekuranz wollen Union und SPD dafür ebenfalls in die Pflicht nehmen, wie aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags hervorgeht.
Die Ankündigung haben die Krankenkassen positiv aufgenommen. "Wenn die nächste Bundesregierung das Thema Präventionsgesetz wieder auf die Agenda setzt, muss sie deutlicher als bisher alle beteiligten Akteure in die finanzielle Pflicht nehmen", forderte Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes.
Die schwarz-gelbe Koalition war im September mit ihrem Entwurf eines Präventionsgesetzes im Bundesrat gescheitert.
Kassen engagierten sich in Betrieben
Die von der Politik seit Jahren angestrebte Schwerpunktsetzung spiegelt sich in den Präventionsausgaben der Kassen schon heute wider.
Mit mehr als 46 Millionen Euro unterstützte die gesetzliche Krankenversicherung im vergangenen Jahr die betriebliche Gesundheitsförderung in mehr als 8000 Betrieben. Ein Jahr zuvor hatte dieser Wert noch bei 42 Millionen Euro gelegen.
Nach Einschätzung von Spitzenverband und MDS haben von den Förderungen rund 1,3 Millionen Arbeitnehmer profitiert - zum Beispiel von der Verringerung körperlicher Belastungen, von Stressmanagement und gesundheitsgerechter Mitarbeiterführung.
Dieses Engagement soll weiter ausgebaut werden: "Angesichts des demografischen Wandels und der steigenden Zahl älterer Arbeitnehmer beschäftigen sich immer mehr Unternehmen und Krankenkassen mit der Frage, wie die Gesundheit von Arbeitnehmern erhalten werden kann", sagte Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS am Montag.
Mehr als die Hälfte ihrer Präventionsprojekte für Kinder und Jugendliche haben die Kassen und der MDS ausweislich des Berichts in Kindertagesstätten angeboten, ein Drittel davon in sozialen Brennpunkten. Dafür nahmen sie 28 Millionen Euro in die Hand, 21 Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Flächendeckend sind die Angebote der Kassen jedoch längst noch nicht. 2012 erreichten sie insgesamt nur rund ein Drittel aller Realschulen und Gymnasien, knapp ein Drittel der Kitas und Grundschulen und nur knapp ein Fünftel der Haupt- und Förderschulen.
Allein Diabetes kostet 35 Milliarden Euro im Jahr
Eingeschränkt haben die Kassen ihre Kursangebote für einzelne Versicherte, um sie für mehr Bewegung zu begeistern, ihnen das Rauchen abzugewöhnen oder ihnen Antistress-Strategien zu vermitteln. 164 Millionen Euro gaben die Kassen dafür aus, rund ein Fünftel weniger als im Vorjahr.
Die von der großen Koalition geplanten Investitionen in die Krankheitsvorbeugung sollen sich in der Zukunft rechnen. Sie zielen in erster Linie auf die Volkskrankheiten ab.
Ein noch unveröffentlichter Report, der der "Ärzte Zeitung" in Auszügen vorliegt, addiert die volkswirtschaftlichen Kosten der Diabetes auf annähernd 35 Milliarden Euro im Jahr. Dazu zählen auch die Kosten für Folgekrankheiten sowie die dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeitszeiten und Frühverrentungen.
Die Einzelkassen können diese Zusammenhänge aus ihren Daten deutlich herauslesen: Die Barmer GEK verzeichnete 2011 unter ihren Versicherten nur rund 1200 Klinikeinweisungen wegen Fettleibigkeit, aber mehr als 100.000 Einweisungen wegen der Begleitdiagnosen von starkem Übergewicht.
Weitere Risikofaktoren sind übermäßiges Alkoholtrinken und Rauchen. Etwa zehn Prozent der Menschen in Deutschland trinken laut dem aktuellen Drogenreport riskant viel Alkohol. Mehr als 30 Prozent der Männer und mehr als 20 Prozent der Frauen rauchen.