Heilkunde-Übertragung
Koalition bringt Arztvorbehalt ins Wanken
Union und SPD wollen die Substitution ärztlicher Aufgaben straffer regeln. Das könnte sich auch auf die Diabetesversorgung auswirken.
Veröffentlicht:Berlin. Union und SPD kratzen am Arztvorbehalt. So sollen die Krankenkassen in allen 16 Bundesländern mindestens ein Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten an Pflegekräfte aufsetzen. Das geht aus einem Änderungsantrag der Koalition zum Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetz hervor.
Noch hat der Bundestag kein grünes Licht für das Gesetz gegeben. Die zweite und dritte Lesung wurde kürzlich verschoben. Grund dafür dürfte aber nicht der Passus zur Heilkunde-Übertragung sein. Anhaltenden Streit in der Koalition gibt es vielmehr über die Frage, wie sich flächendeckende Tariflöhne in der Altenpflege realisieren lassen.
Bei der Übertragung ärztlicher Aufgaben machen derweil auch die kirchlichen Sozialverbände Caritas und Diakonie Druck. Aktuell dürften Pflegekräfte in Deutschland weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen europäischen Ländern. „Nicht, weil sie dazu nicht fähig sind, sondern weil sie es nicht dürfen“, sagt Caritas-Präsident Peter Neher. „Die Kompetenzerweiterung für Pflegekräfte ist also überfällig.“
Was darf übertragen werden?
Details zu den Projekten der Heilkunde-Übertragung sollen GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam in einem Rahmenvertrag festzurren. In den Vorgaben soll auch festgelegt sein, welche ärztlichen Tätigkeiten sich für eine Übertragung an Pflegefachkräfte eignen.
Im Änderungsantrag der Koalition wird explizit der „Bereich der Wundversorgung“ genannt – aber auch Aufgaben innerhalb der Diabetesversorgung oder Diabetesprävention vor allem im häuslichen Setting sind denkbar. Starten sollen die Projekte spätestens am 1. Januar 2023.
Können sich Kassenvertreter und Vertragsärzte nicht auf Inhalte eines Rahmenvertrags verständigen, soll dies eine Schiedsperson übernehmen. Diese soll von den Vertragspartnern oder vom Bundesgesundheitsministerium berufen werden.
Fernziel: Regelversorgung
Um bei den Modellvorhaben zügig zu Ergebnissen zu kommen, sollen die Projekte auf vier Jahre begrenzt sein. Um die Modelle zu verstetigen, sollen Inhalte in Verträge zur „Besonderen Versorgung“ nach Paragraf 140a Sozialgesetzbuch V gegossen werden können.
Kritik der Ärzteverbände an den Plänen wird bestehen bleiben. Pflegeorganisationen hingegen dürften das Vorhaben grundsätzlich begrüßen. Im Änderungsantrag der Koalition heißt es: Da die auf Freiwilligkeit fußende Regelung zur Heilkunde-Übertragung an Pflegekräfte nach Paragraf 63 Absatz 3c Sozialgesetzbuch V bislang „kaum“ gefruchtet habe, bedürfe es nunmehr einer verpflichtenden gesetzlichen Regelung. (hom)