Interview zur Liposuktion
Lipödem – noch immer erfolgt die Diagnose viel zu spät
Der Leidensweg von Frauen mit Lipödem ist oft ein sehr langer. Die noch junge Lipödemgesellschaft will sich daher für ein integriertes Versorgungskonzept einsetzen. Dermatologe und Phlebologe Dr. Stefan Rapprich erläutert, warum dabei Hausärzte so wichtig sind.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Das Krankheitsbild Lipödem hat unter Ärztinnen und Ärzten, in den Medien sowie der Politik in der Vergangenheit viel Aufmerksamkeit erfahren, doch immer noch dauert es oft lange, bis es bei Patienten auch diagnostiziert wird. Woran liegt das?
Dr. Stefan Rapprich: Das Krankheitsbild ist bereits seit 1944 bekannt. Es lag allerdings über Jahrzehnte in Vergessenheit, auch weil es keine Therapie gab. Seit 20 Jahren gibt es allerdings die Möglichkeit der Liposuktion. Und seit 15 Jahren auch die erste Leitlinie, die das Krankheitsbild bekannter gemacht hat. Seit dem wird ein Lipödem auch häufiger diagnostiziert.
Warum ist das Lipödem so schwierig zu erkennen?
Früher haben Ärzte ein Lipödem oft als Befindlichkeitsstörung abgetan. Zudem konzentrieren sich Ärzte oft einfach auf das, was sie gerade therapieren und wollen nicht die dicken Beine einer Patientin ansprechen, aus Sorge, dass könnte die Sprechstunde sprengen. Doch eigentlich müssten Hausärzte oder auch Gynäkologen, die die Frauen ja häufig sehen, nicht viel Zeit investieren. Es reicht schon, wenn der Hausarzt die Säulenbeine erkennt und sagt, das könnte ein Lipödem sein, gehen sie mal zu einem Phlebologen. Der Hausarzt muss sich also überhaupt nicht auskennen, sondern das Erkennen an sich ist ein erster Schritt. Und die Patientinnen sind dafür oft unheimlich dankbar. Denn die Krankheit ist mit vielen Schuldgefühlen verbunden, dass man beispielsweise zu viel isst. Eine Diagnose nimmt die Last.
Was berichten Patientinnen von ihrem Leidensweg?
In Unkenntnis des Krankheitsbildes hören Patientinnen häufig von Ärzten: Bewege dich mehr und iss weniger. Doch das hilft leider nicht. Deshalb machen sich die betroffenen Frauen auch häufig Vorwürfe, haben Essstörungen und Depressionen, es ist ein Teufelskreis.
Wie häufig kommt das Lipödem überhaupt vor?
Genaue Daten gibt es leider nicht. Geschätzt leidet etwa jede zehnte Frau an einem Lipödem. Es handelt sich also um ungefähr zwei Millionen Betroffene.
Sie haben an den Leitlinien mitgearbeitet, wie lässt sich ein Lipödem diagnostizieren?
Das Lipödem ist eine krankhafte Vermehrung des Unterhaut-Fettgewebes in den Beinen, manchmal auch in den Armen. Das Fettgewebe schmerzt, sowohl bei Ruhe als auch bei Druck und die Betroffenen neigen zu blauen Flecken. Die genaue Ursache ist leider noch nicht bekannt. Die Erkrankung betrifft ausschließlich Frauen und hängt häufig mit hormonellen Veränderungen zusammen, ein Lipödem bildet sich etwa in der Pubertät, der Schwangerschaft, mit der Einnahme der Pille oder den Wechseljahren.
Der Name Lipödem ist dabei nicht ganz glücklich gewählt, denn es ist nicht zwingend ein Ödem notwendig für die Diagnose.
Was hat sich an den Leitlinien in den letzten Jahren geändert?
Geändert haben sich die Kriterien, wann eine Liposuktion bewogen werden soll.
Die alten Leitlinien haben sich auf den BMI bezogen, es galten andere Körperindizes für die Therapie und die Indikation für eine Liposuktion. Auch befindet sich eine Abgrenzung zur Adipositas in den Leitlinien.
Warum ist es so schwer, ein Lipödem von Adipositas zu unterscheiden?
Die Unterscheidung bereitet oft Schwierigkeiten, weil bei 70 Prozent der Patientinnen mit Lipödem auch eine Adipositas dazu kommt. Die neuen Körperindizes sollen helfen, hier zu unterscheiden und dem Arzt diagnostische Kriterien an die Hand zu geben.
Wie sieht aktuell die Therapie aus? Werden alle Kosten übernommen?
In den alten Leitlinien steht als Therapie erst Kompressionen und Lymphdrainage, danach gibt es erst die Möglichkeit für eine Operation. Doch eine Kompressionstherapie oder Lymphdrainage hilft nur, wenn auch ein Ödem vorliegt, sonst nutzt diese Therapie nichts. Viele Patientinnen machen die Therapie trotzdem ein halbes Jahr lang für die Kassen, um dann die Operation zu bekommen. Aber die Therapie ist herausgeschmissenes Geld, wenn kein Ödem vorliegt.
Eine dauerhafte Verminderung des krankhaften Fettgewebes und der Beschwerden sind nur durch eine Liposuktion möglich. Diese Therapie, die in der aktuellen Leitlinie steht, gilt als wissenschaftlich anerkannt. Doch bedeutet das nicht automatisch, dass die Kosten von den Krankenkassen auch übernommen werden.
Warum ist das so schwierig? Was können Patientinnen machen, damit die Krankenkassen schon jetzt die Kosten übernehmen?
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) prüft derzeit im Rahmen einer groß angelegten Studie die Therapie mittels Liposuktion im Vergleich mit der konservativen Therapie. Die bisherigen Studien hatten nach Meinung des GBA nicht den für eine Entscheidung notwendigen Evidenzlevel.
Doch Patientinnen mit Lipödem Stadium 3 – das Lipödem ist in drei Schweregrade eingeteilt – bekommen die Liposuktion bereits jetzt bezahlt. Patientinnen mit Stadium 1 und 2 haben derzeit keinen Anspruch auf Kostenerstattung und müssen die Entscheidung des GBA abwarten. Deshalb sollten sich diese Patientinnen, wenn sie sich für eine Liposuktion entscheiden, immer eine Zweit- oder sogar Drittmeinung einholen, denn bei den Preisen für die Operation gibt es erhebliche Unterschiede.
Sie haben mit einigen anderen Ärzten jetzt die deutsche Lipödemgesellschaft gegründet. Wieso war das aus Ihrer Sicht notwendig?
Das Thema Lipödem hat in den letzten Jahren eine mediale und gesundheitspolitische Präsenz erfahren. Deshalb haben wir uns entschieden, mit der Deutschen Lipödemgesellschaft einen Interessenverband zu gründen in dem alle Berufsgruppen einbezogen und vertreten werden: Ärzte, Lymphologen, Therapeuten, Selbsthilfegruppen, Kompressionsversorger, Psychotherapeuten und Ernährungsberater.
Was sind die Ziele der Gesellschaft?
Wir wollen ein integriertes Versorgungskonzept schaffen mit einer leistungsgerechten Vergütung, eine qualitätsgesicherte Versorgung für die Betroffenen und unabhängige Aufklärung und gesicherte Informationen zu Verfügung stellen. Im Frühjahr werden wir damit an die Öffentlichkeit gehen.