Unterversorgung
Manchmal auch eine Frage der Perspektive
Eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover zeigt: Nicht überall, wo Bürgermeister einen Ärztemangel sehen, muss dieser nach einem Blick auf die nüchternen Zahlen auch existieren. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt.
Veröffentlicht:HANNOVER. Unterversorgung ist offenbar auch Ansichtssache: Trotz Vollversorgung wird die Versorgung durchaus auch mal als lückenhaft erlebt – und umgekehrt. Das zeigt eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover, die 292 Bürgermeister und Landräte in Niedersachsen befragte.
Demnach fanden 71 Prozent der Befragten die Versorgung mit Hausärzten ausreichend, obwohl die KV Niedersachsen (KVN) derzeit 340 offene Hausarztstellen zählt. Nur 38 Planungsbezirke von 99 haben derzeit eine Niederlassungsbeschränkung für Hausärzte.
Auch bei den Fachärzten stehen die Meinungen der Befragten im Gegensatz zur Bedarfsplanung der KVN: Nur 29 Prozent der Befragten finden die Versorgung mit Fachärzten derzeit ausreichend. Im Befragungsjahr 2015 waren aber zum Beispiel 36 von 44 Planungsbezirken wegen der Überversorgung mit Augenärzten gesperrt; bei den Kinderärzten waren es 39 von 44 Bezirken.
Veränderte Erwartungen?
"Offenbar haben sich die Erwartungen verändert", kommentiert Dr. Uwe Köster, Sprecher der KV Niedersachsen, das Ergebnis der Befragung. "Gerade bei Kinderärzten erwarten viele Eltern eine Praxis quasi vor der Tür – und finden sie dann nicht vor."
Die Unzufriedenheit trotz Voll- oder Überversorgung dürfte aber auch mit der ungleichen Verteilung der Ärzte in den Planungsbezirken zu tun haben, hieß es.
So waren die Bürgermeister kleinerer Gemeinden tendenziell unzufriedener mit der Versorgung als solche größerer Gemeinden. Auffällig zudem: 81 Prozent der befragten Bürgermeister erklärten, in "ländlichen" Gemeinden zu leben.
Nach den Kriterien des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumordnung liegen aber nur 58 Prozent der niedersächsischen Gemeinden auf dem Land. "Möglicherweise beeinflusst diese Selbstverortung auch die individuelle Wahrnehmung des medizinischen Versorgungsstandes", so die KVN. Mehr noch: Das Selbstverständnis als "ländlich" könnte sogar junge Ärzte abschrecken, meint die KV.
72 Prozent der Bürgermeister und Landräte sehen Hindernisse bei der kommunalen Niederlassungsförderung – in Form von Geldmangel (74 Prozent) oder wegen unklarer Zuständigkeiten (73 Prozent), wegen fehlendem Personal (32 Prozent) oder Unwissen (25 Prozent).
Kinderbetreuung eine große Unterstützung
Trotzdem sehen die Lokalpolitiker Ansätze, selber niederlassungswillige Ärzte zu fördern – am ehesten durch Hilfe bei der Kinderbetreuung: 96 Prozent schätzen dies als ganz oder teilweise machbar ein.
Oder durch Zuschüsse für die Praxisgründung: Dies konnten sich aber nur 46 Prozent vorstellen. Und nur 31 Prozent würden eine Niederlassung schon damit fördern wollen, dass sie Medizinstudierende finanziell unterstützen.
Tatsächlich erklärten 42 Prozent der Bürgermeister und 65 Prozent der Landräte, bereits die Niederlassung in ihren Gemeinden zu fördern – vor allem durch Geld und Beratung. Die Befragung zeigte zudem: Je größer das Problem vor Ort, um so größer die Bereitschaft zu unterstützen.
Mit einem MVZ als Eigeneinrichtung einer Gemeinde konnten sich hingegen die wenigsten Lokalpolitiker anfreunden. Es fehle dazu an Geld und Know-how. Nach wie vor sehen sich die Gemeinden nicht als erste Ansprechpartner, um für Niederlassungen zu sorgen, sondern sehen hier KVen, Kassen, Bund und Länder in der Pflicht. "Die Ergebnisse der Befragung sollen in einem Versorgungskongress der KV Niedersachsen aufgegriffen werden", kündigt KV-Sprecher Köster an.