Altenpflege
Nur jede dritte Pflegeeinrichtung zahlt nach Tarif
Ab Herbst soll die Tarifpflicht für Altenheime und Pflegedienste kommen. Eine Abfrage der Pflegekassen zeigt: Aktuell zahlt lediglich knapp ein Drittel der Pflegeeinrichtungen nach Tarif.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Zwei Drittel aller Pflegeeinrichtungen in Deutschland bezahlt nicht nach Tarif. Das geht aus Daten der Landesverbände der Pflegekassen zur tariflichen Bezahlung in der Langzeitpflege hervor, wie der AOK-Bundesverband am Montag mitteilte.
Hintergrund der Erhebung ist die umstrittene Regelung, wonach Altenheime und Pflegedienste Beschäftigten spätestens ab dem 1. September Löhne auf Basis mindestens eines im jeweiligen Bundesland angewandten Tarifvertrages zahlen müssen.
Alternativ können sie sich bei der Entlohnung an der regionalen durchschnittlichen Entlohnung für die jeweiligen Beschäftigtengruppen orientieren. Zu diesem Zweck mussten die Pflegeunternehmen, die bereits nach Tarif bezahlen, ihre Daten an die Pflegekassen übermitteln.
Angst vor Existenzverlust
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Schleswig-Holstein und NRW liegen vorne
Demnach liegt der durchschnittliche Stundenlohn über alle Beschäftigtengruppen hinweg – also Pflegebeschäftigte mit und ohne einjährige Ausbildung sowie examinierte Pflegekräfte – bundesweit bei 18,95 Euro. Es zeigen sich jedoch große Unterschiede zwischen Ost und West: Während die Entlohnung im Osten im Schnitt bei 17,98 Euro pro Stunde liegt, sind es im Westen 20,19 Euro (siehe nachfolgende Tabelle).
Spitzenreiter sind Schleswig-Holstein mit 20,77 Euro und NRW mit 20,59 Euro je Stunde. Die rote Laterne tragen Bremen/Bremerhaven, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die im Schnitt um die 16 beziehungsweise 17 Euro je Stunde zahlen.
Aus der Erhebung geht ferner hervor: 70 Prozent der Einrichtungen, die nach Tarif zahlen, unterliegen kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen. Die restlichen 30 Prozent sind an Haus- oder Flächentarifverträge gebunden.
„Noch viel Luft nach oben!“
AOK-Vorstandschefin Dr. Carola Reimann sagte, bei der Tarifbindung in der Altenpflege gebe es „noch viel Luft nach oben“. Die jetzt von den Pflegekassen vorgelegten Daten schafften erstmals bundesweite Transparenz über den Anteil der bereits nach Tarif oder nach einer kirchlichen Arbeitsrechtsregelung zahlenden Einrichtungen sowie die dortigen Gehaltshöhen.
Einen vollständigen Überblick der finanziellen Folgen der Tarifregelung werde es aber erst ab Herbst geben, so die AOK-Chefin. „Interessant ist ja vor allem die Frage, wie hoch heute die durchschnittliche Entlohnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den nicht-tarifgebundenen Einrichtungen ist.“ Dazu liefere die Erhebung noch keine Informationen.
Breitere und verlässliche Finanzierungsbasis
Mit Blick auf die zu erwartenden höheren Kosten in der Pflege bekräftigte Reimann die Forderung nach einer breiteren Finanzierungsbasis für die soziale Pflegeversicherung. „Bessere Löhne für die Beschäftigten der Langzeitpflege dürfen nicht dazu führen, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen weiter steigen.“ Zugleich dürfe der Beitragssatz zur Pflege nicht durch die Decke gehen.
Der von der Ampel-Koalition angekündigte Bundeszuschuss zur Finanzierung versicherungsfremder Leistungen in der Pflegeversicherung müsse daher „schnellstmöglich“ umgesetzt werden. Zudem sei der Zuschuss aus dem Steuersäckel „verlässlich“ zu finanzieren und „regelmäßig“ zu dynamisieren, so Reimann.
Diakonie-Präsident Ulrich Lilie rief derweil Pflegeanbieter ohne Tarifbindung dazu auf, „nachzuziehen“. Sie könnten so mithelfen, die Pflegeberufe attraktiver zu machen. „Das würde helfen, die Lücke von 100.000 Stellen zu schließen, die im Pflegebereich derzeit unbesetzt sind“, sagte Lilie am Montag. Bei der Diakonie liege die Tarifbindung der Beschäftigten im Pflegebereich bei über 90 Prozent, gab Lilie an. (hom)