Sterbehilfe in § 217 StGB

Paternalismus oder Patienten-Schutz?

Paragraf 217 Strafgesetzbuch steht beim Bundesverfassungsgericht auf dem Prüfstand: Was ist geschäftsmäßig bei der Sterbehilfe? Wie steht es um Leiden und Sterben Schwerkranker? Staatsrechtler sind überzeugt: Karlsruhe setzt sich ernsthaft mit der Realität des Sterbens auseinander.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
In einer zweitägigen Anhörung hat das Bundesverfassungsgericht sich Mitte April mit dem Paragrafen 217 auseinandergesetzt.

In einer zweitägigen Anhörung hat das Bundesverfassungsgericht sich Mitte April mit dem Paragrafen 217 auseinandergesetzt.

© Uli Deck / dpa / picture alliance

In einigen Monaten wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung verkünden, ob Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs, der die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter Strafe stellt, grundgesetzkonform ist oder, wie sechs Beschwerdeführer glauben, gegen Verfassungsnormen verstoßen.

In einem Punkt sind sich Rechtswissenschaftler, die sich seit Jahren professionell und intensiv mit dem Thema auseinandersetzen jetzt schon einig: Die Richter in Karlsruhe werden die Wirklichkeit von Sterbesituationen in Deutschland, die Möglichkeiten der Palliativmedizin und auch unsägliche Leidenssituationen sehr sorgsam erwägen, bevor sie zu einem Urteil kommen. Dass habe schon die zweitägige Verhandlung im April gezeigt, wie bei einem Symposion der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin deutlich wurde.

Keine Prognose für ein Urteil möglich

So viel ist sicher: Aus den absolut konträren Positionen von Rechtswissenschaftlern lässt sich keine Prognose für das Urteil ableiten. Stellvertretend für die Kritiker des Paragrafen 217 steht der emeritierte Mainzer Staatswissenschaftler Professor Friedhelm Hufen, bis 2018 Mitglied der zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer.

Er geht davon aus, dass sich die meisten Menschen wünschen, ohne Leiden selbstbestimmt zu sterben – was aber nicht in jedem Fall möglich ist. Angesichts der hoch tabuisierten Debatte mahnt er zur Nüchternheit.

Dazu gehöre der Konsens unter Juristen, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt, das sich aus den Artikeln 1 und 2 Absatz 2 Grundgesetz ableitet. In dieses Recht greife Paragraf 217 StGB indirekt ein, indem es die Handlungsfreiheit von Vereinen und Ärzten nach Artikel 9 Absatz 1 GG einschränke und unter Strafe stelle, wenn sie „geschäftsmäßig“ handeln.

Zwar wird traditionell der Begriff der Geschäftsmäßigkeit dem der Gewerbsmäßigkeit nahezu gleichgestellt – tatsächlich aber kommt es nicht darauf an, dass dies mit Gewinnerzielungsabsichten verbunden ist.

Vielmehr gilt jede organisierte, professionelle, auf Wiederholbarkeit angelegte Tätigkeit als geschäftsmäßig. Damit, so kritisiert Hufen, habe der Gesetzgeber eine „Tabula rasa“-Regelung geschaffen, die mit „glühendem Paternalismus“ in Bezug auf Anfang (Präimplantationsdiagnostik) und Ende des Lebens ohne jede Differenzierung eine Pflicht zum Leben postuliert, ohne Selbstbestimmungsrechte der Betroffenen zu berücksichtigen.

Dagegen warnt Professor Steffen Augsberg – der Gießener Jurist ist Mitglied des Deutschen Ethikrates und war Verfahrensbevollmächtigter des Bundestages bei der Verhandlung in Karlsruhe – vor einer „Fetischisierung des Rechts auf Selbstbestimmung“.

In Karlsruhe sei von Sachverständigen dargelegt worden, dass es um sehr differenzierte, hochvolatile Situationen am Lebensende gehe – mit einer ausgeprägten Vulnerabilität, aus der eine Gefährdungssituation durch Dritte, gemeint sind Ärzte oder Sterbehilfeorganisationen, entstehen könne.

Denn: Aus der Logik der Geschäftsmäßigkeit resultiere das Interesse an der Wiederholung und damit eine interessengeleitete Einwirkung auf die vulnerable Person. „Wir haben Angst davon, dass aus einer Selbstbestimmung eine Art Anschub entsteht, der pseudoaltruistische Suizide induziert“, so Augsberg.

Autonomie ist der Normalzustand

Die Behauptung von Volatilität und Vulnerabilität sei aber charakteristisch für Paternalismus und Bevormundung, kontert Hufen. Er hält Autonomie für den Normalzustand, und dazu gehöre auch die Freiheit der Wahl geeigneter Mittel für den selbstbestimmten Tod und die Möglichkeit, dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Praxis der Suizidassistenz etwa durch Dignitas in der Schweiz oder Sterbehilfe Deutschland sei generell von einem langen Prozess der Begleitung sterbender oder schwer leidender Menschen geprägt, nicht von unüberlegten, unter Druck erzeugten schnellen Entscheidungen, sagt der Bochumer Palliativmediziner Dr. Johann Spittler.

Die einzig gesetzeskonforme Option in Deutschland sei derzeit die Laien-Suizidhilfe. „Aber wer garantiert die Freiverantwortlichkeit in der Familie? Wie sollen die notwendigen Medikamente beschafft werden? Und was soll der Arzt auf dem Totenschein ausstellen?“, fragt Spittler.

Seine Hoffnung ist darauf gerichtet, dass auch in Deutschland Sterbehilfe mit Expertise möglich wird. Er wie auch viele Rechtswissenschaftler halten es für denkbar, dass das Bundesverfassungsgericht zumindest den gedehnten Begriff der Geschäftsmäßigkeit beanstanden und den Gesetzgeber zu mehr Präzision verpflichten wird.

Für Ärzte, die zwar einerseits Abtreibungen geschäftsmäßig vornehmen dürfen, aber andererseits gehindert sind, Menschen in extremen Leidenssituationen, in denen auch die Palliativmedizin am Ende ist, sollte es einen Ausweg aus der Kriminalisierung geben.

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