Ukraine-Krieg
Patiententransporte aus der Ukraine: Kleeblattkonzept greift bei Evakuierungen
Über das „sechste Kleeblatt“ des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wird die Evakuierung von Verletzten aus der Ukraine koordiniert. Es gibt jedoch auch Kritiker.
Veröffentlicht:Bonn. Kurz vor Weihnachten war in einer medizinischen Evakuierungsmission (MEDEVAC) der 600. Patient aus der Ukraine zur medizinischen Behandlung nach Deutschland geflogen worden. Zum Tragen kommt bei der Koordination von Patiententransporten aus der Ukraine in deutsche Krankenhäuser das so genannte Kleeblattkonzept. Entwickelt worden war es 2020 aus der Not heraus vom Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum (GMLZ) des Bundes und der Länder mit Sitz in Bonn: Die rasant steigende Zahl an Coronapatienten hatte vor bald drei Jahren dazu gezwungen, ein System zu entwickeln, das im Notfall rasche Patientenverlegungen ermöglicht. Angesiedelt ist das GMLZ beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
Nur ein einziges Flugzeug
Einblicke gab Dominik Lorenz, Leiter der BBK-Kleeblattzelle, beim Würzburger Forum Bevölkerungsschutz 2023. Allerdings wurde auch Kritik aus den Publikumsreihen laut, vor allem, weil keine anderen Organisationen in den Mechanismus aufgenommen würden und ein System mit einem einzigen Flugzeug zum Scheitern verurteilt sei. Deutschland kooperiert aktuell mit Norwegen, die MEDEVAC-Missionen werden mit einer norwegischen Boeing 737-700 durchgeführt.
Zunächst noch einmal ein Blick zurück. Als in der Pandemie überlastete Krankenhäuser Patientenverlegungen notwendig machten, hatte man die deutsche Landkarte in fünf Regionen aufgeteilt – die fünf Kleeblattregionen. Drei basieren auf einem Zusammenschluss mehrerer Bundesländer; Nordrhein-Westfalen sowie Bayern bilden jeweils ein eigenes Kleeblatt.
Während anfangs vorwiegend Verlegungen innerhalb der jeweiligen Kleeblätter vorgenommen wurden, waren ab November 2021 auch kleeblattübergreifende Maßnahmen nötig. Politik, Transport, Medizin und Behandlung mussten wie Puzzleteile ineinandergreifen. Um ein schnelles Reagieren im Notfall zu gewährleisten, wurde nach dem „Single Point of Contact“-Prinzip gearbeitet bei einer 24/7-Erreichbarkeit und -Einsatzfähigkeit sowie einem hohen Grad an Vernetzung.
Jedes Land kann bei EU um Hilfe ersuchen
Mit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine kam ein sechstes Kleeblatt dazu. Zum Tragen kommt dabei vor allem der Katastrophenschutzmechanismus der EU (UCPM). Jedes Land der Erde – aber auch die Vereinten Nationen oder andere internationale Organisationen – können bei der EU um Hilfe ersuchen, wenn das Ausmaß eines Notfalls die Fähigkeit übersteigt, allein darauf zu reagieren. Mit Hilfe des UCPM werden die Patienten aus der Ukraine unter den europäischen Mitgliedstaaten sowie weiteren sogenannten „Participating states“ verteilt.
In Deutschland laufen Informationen beim BBK zusammen, dann wird nach geeigneten Ressourcen gesucht – in Bezug auf Behandlung wie auch Transport. Einschränkungen mit Blick auf die Patienten gibt es keine, auch wird nicht zwischen Soldaten und Zivilisten unterschieden. Patienten müssen dann – in der Regel über einen bodengebundenen Transport - zunächst in sichere Anrainerstaaten der Ukraine gebracht werden. Dort übernimmt das BBK und lässt sie nach Deutschland fliegen. Verteilt werden sie in Deutschland zusammen mit den fünf Kleeblattpartnern.
Ein Jahr Krieg in der Ukraine
Hilfstransporte in die Ukraine: „Man braucht immer einen Plan B“
Auch zahlreiche andere Länder der europäischen Staatengemeinschaft haben Patienten aus der Ukraine aufgenommen, Deutschland ist mit 600 Patienten Spitzenreiter. Wohl nicht zuletzt, sagte Dominik Lorenz auf der Veranstaltung, weil die Kleeblattstruktur bereits entwickelt war.
Überwiegend wurden traumatologische Patienten übernommen, der Kleeblattzellen-Leiter spricht von 87 Prozent sowie verschiedensten, oft komplexen Verletzungsmustern und einem hohen Infektionsrisiko. Gedanken machen müsse man sich vor allem noch über den multidimensionalen strategischen Patiententransport und ein entsprechendes Schnittstellenmanagement, blickte Lorenz in die Zukunft – und bezeichnet das sechste Kleeblatt als Erfolgsmodell.
„Nicht möglich, mit Verantwortlichen Kontakt aufzunehmen“
Notfallsanitäter Marc Friedrich, der mit dem Team der deutschen Flugambulanz die „Luftbrücke Ukraine“ mit aufgebaut hat und auf einer der „fliegenden Intensivstationen“ arbeitet, übte indes Kritik, vor allem, weil andere Organisationen wie die „Luftbrücke“ nicht in den Kleeblattmechanismus aufgenommen würden. Diese habe inzwischen rund 40, zum großen Teil intensivpflichtige Kinder spendenfinanziert evakuiert.
„Dennoch ist es nicht möglich, mit verantwortlichen Personen, vor allem für den EU-Mechanismus, Kontakt aufzunehmen, man meldet sich einfach nicht zurück“, kritisierte Friedrich. Ähnliches äußerte ein in der Ukrainehilfe aktiver Arzt aus Unterfranken. Ein System mit einem einzigen Flugzeug sei zum Scheitern verurteilt, sagte Friedrich. Es gebe sehr viel mehr Anfragen – und oftmals stehe unter der Liste: „Kein geeignetes Transportmittel.“
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Die Ärzte Zeitung hakte beim BBK nach, dessen Pressesprecherin Marianne Suntrup sagte: Bisher habe keinerlei Mangel an Transportlösungen festgestellt werden können. Allen staatlichen Hilfeleistungsersuchen habe entsprochen werden können. Und alle Patienten hätten sicher und zum medizinischen Transportbedarf passgenau in ein Zielland evakuiert werden können. Für den Transport von Patienten stünden im UCPM registrierte und zertifizierte nationale Transportmittel im Pool des europäischen Katastrophenschutz-Systems wie auch direkte „rescEU“-Ressourcen zur Verfügung. Darunter falle unter anderem auch die aktuell genutzte norwegische Maschine.
Keine Kenntnis über Bedarfe innerhalb der Ukraine
Doch woher rühren die sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen? Marianne Suntrup führt dies auf die unterschiedlichen Ebenen zurück, auf denen sich die Hilfen abspielen. Das BBK als Behörde sei mit einer staatlichen Aufgabenwahrnehmung betraut. Der Auftrag: Die Bearbeitung von staatlichen Hilfeleistungsersuchen an die Europäische Union vor allem seitens der Ukraine direkt beziehungsweise ihrer Anrainerstaaten. Über die Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen NGOs und dem ukrainischen Staat habe das BBK dagegen keine Kenntnis, ebenso wenig über die unmittelbaren Bedingungen und Bedarfe innerhalb der Ukraine.