Kostenexplosion
Pflege-Ausgaben sprengen alle Prognosen
Die Koalition wird von der Ausgabendynamik in der Pflegeversicherung kalt erwischt – warum?
Veröffentlicht:BERLIN. Der Kassensturz im Bundesgesundheitsministerium hat die prekäre finanzielle Lage der sozialen Pflegeversicherung deutlich gemacht. Bei unveränderten Beitragssätzen wäre in den kommenden Jahren mit jährlichen Defiziten von teilweise mehr als fünf Milliarden Euro zu rechnen gewesen
Am Mittwoch hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Reißleine gezogen und für Anfang 2019 eine Beitragserhöhung um 0,3 Punkte angekündigt. Allein im ersten Quartal dieses Jahres schrieben die Pflegekassen rote Zahlen in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro pro Monat.
Zehn Milliarden Euro mehr
Aktuellen Prognosen zu Folge addieren sich die Ausgaben der Pflegeversicherung bis Ende des Jahres auf fast 41 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Anfang 2016 waren es noch 31 Milliarden Euro. Für die nicht vorhergesehene Ausgabenexplosion gibt es mehrere Erklärungsansätze – zwei Beispiele:
- Mehr Pflegebedürftige: Bis Ende des Jahres rechnet der GKV-Spitzenverband mit 3,5 Millionen Leistungsempfängern, fast 500.000 mehr als Ende 2016. Hinzukommt, dass Versicherten im Zuge des Umstiegs von Pflegestufen zu Pflegegraden häufiger als erwartet vom Medizinischen Dienst eine Pflegebedürftigkeit attestiert wird. Auch werden sie höher eingestuft als in der Vergangenheit. Allein dieser Faktor soll in diesem Jahr im Vergleich zu früheren Prognosen Mehrausgaben von 1,1 Milliarden Euro nach sich ziehen.
- Höhere Leistungen für pflegende Angehörige: Mit dem höheren Pflegegrad des ambulant zu Pflegenden steigen auch die Zahlungen der Pflegekassen an die Renten- und Arbeitslosenversicherung des pflegenden Angehörigen. Nach Berechnung der Kassen machen diese Zusatzausgaben 2018 einen hohen dreistelligen Millionenbetrag aus.
"Bundesregierung ohne Plan"
Die Schlussfolgerungen nach Spahns Ankündigung fallen unterschiedlich aus. Kordula Schulz- Asche, pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, sieht eine "dramatische Situation, auf die wir durch den demografischen Wandel zusteuern". Sie fordert, alle Einkommensarten zu erfassen – die Bürgerversicherung in der Pflege. Aus Sicht der Arbeitgeber verfährt die Regierung planlos.
"Sie muss endlich ein Gesamtkonzept vorlegen, wie die Sozialbeiträge bei maximal 40 Prozent gedeckelt werden können", forderte Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände. Das "Horten von Geld" wie etwa in der Arbeitslosenversicherung müsse beendet werden. (fst)
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