Praxisgebühr für jeden Arztbesuch

Praxisgebühr - ja oder nein: Die Milliarden-Überschüsse der Kassen haben diesen alten Streit wieder angeheizt. Jetzt haben Ökonomen ein neues Modell vorgeschlagen. Der Clou: Mit der neuen Praxisgebühr könnten Millionen Arztbesuche entfallen.

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Alltag in der Arztpraxis: Zehn Euro Praxisgebühr wechseln den Besitzer.

Alltag in der Arztpraxis: Zehn Euro Praxisgebühr wechseln den Besitzer.

© Mathias Ernert

BERLIN (af). Die brummende Konjunktur macht's möglich: Krankenkassen und der Gesundheitsfonds erzielen Überschüsse. Die haben zu einem Parteienstreit über Sinn und Unsinn der Praxisgebühr geführt.

FDP, SPD, Grüne und Linke sind für ihre Abschaffung, die Union will sie beibehalten, um Rücklagen für schlechtere Zeiten aufbauen zu können.

In diese Debatte mischen sich nun Gesundheitsökonomen ein. Fünf Euro sollen Patienten bei jedem Arztbesuch bezahlen, Zuzahlungen im Krankenhaus könnten entfallen, schlagen die Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie (DGGÖ) vor.

Ihre Annahme: Mehr als 50 Millionen Arztkontakte ließen sich so einsparen. Damit würde die Fünf-Euro-Gebühr eine Steuerungswirkung entfalten, die die aktuelle Praxisgebühr praktisch nur im Startjahr 2004 entwickelt hat.

Aber nach wie vor sind die Deutschen mit durchschnittlich 17 Arztkontakten international Spitze.

Weniger Aufwand in den Praxen

Zuzahlungen sollen primär das Verhalten der Versicherten in Richtung Sparsamkeit steuern, stellen die Vertreter der DGGÖ in einer Stellungnahme fest. Zuzahlungsbefreiungen und Belastungsgrenzen sollten aber weiter gelten.

Ihr Modell einer Praxisgebühr bei jedem Arztkontakt senke bei den Ärzten den Verwaltungsaufwand, vermutete der DGGÖ-Vorsitzende Professor Friedrich Breyer bei der Vorstellung des Konzeptes am Mittwoch in Berlin.

Die Praxis müsse nicht mehr überprüfen, ob die Praxisgebühr bereits entrichtet sei. Außerdem entfielen zahlreiche Überweisungen, die lediglich ausgestellt würden, um einem Patienten weitere Gebühren zu ersparen, ergänzte der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg, Essen.

Der Normenkontrollrat, der die Bundesregierung beim Abbau von Bürokratie berät, hat im März die Verwaltungskosten der Praxisgebühr mit rund 300 Millionen Euro beziffert und Vereinfachungen angemahnt.

Ein "unbürokratisches Erhebungsverfahren" ist auch das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel der Regierung.

Gegenwind von der Linken

Für Ärztepräsident Dr. Frank Ulrich Montgomery ist die Praxisgebühr untauglich. "Man sollte sie in den Orkus der Geschichte schmeißen", sagte er im März.

In einer ersten Reaktion wetterte Linken-Politiker Harald Weinberg am Mittwoch gegen den Vorschlag der Wissenschaftler. "Die Praxisgebühr müsse abgeschafft und nicht erweitert werden," teilte Weinberg mit.

Er warnte davor, dass Menschen, um die Gebühr zu sparen, Krankheiten verschleppen könnten. Dies könne teurer kommen als eine rechtzeitige Behandlung.

In der DGGÖ haben sich 2008 Ökonomen und Mediziner zusammengefunden. Vorsitzender ist der Konstanzer Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Breyer, designierter Vorsitzender Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen.

Der Verein zählt 660 Mitglieder. Er gehört der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften an.

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Kommentare
Dr. Winfried Koller 12.04.201207:44 Uhr

Steuerung mit Augenmaß

Quartalszahlung der Patienten von 10.-- Euro versus Praxisgebühr von 5.-- Euro für jeden Arztbesuch - so Karl-Georg Vaith, "beides kann man nur als Schwachsinn bezeichnen."
Leider haben wir Ärzte durch basisorientiertes Verhalten die Schlagkraft einer ehemals mächtigen KV zerstört. Heute kann jeder Depp irgendwas behaupten und sich in seinem Schwachsinn baden.Eine Steuerung durch Augenmaß, indem sich ein Gedanke durch Instanzen bewähren muß, um in die Tat umgesetzt zu werden: sprich repräsentative Demokratie - wurde Piraten zum Fraß vorgeworfen. Leidtragende sind wir alle, denen Patienten anvertraut sind.

Dr. Uwe Wolfgang Popert 11.04.201222:42 Uhr

Primärversorgung ohne Zuzahlung

Es ist immer wieder erschreckend zu lesen, wie wenig sogenannte Gesundheitsökonomen über die Realität wissen.
Man fragt sich unwillkürlich, ob man nicht als erstes diese einsparen sollte ...
Was macht die Praxisgebühr problematisch? Die 154 Möglichkeiten der Befreiung, die ewigen Diskussionen, und die Unmöglichkeit quartalsübergreifender Überweisungen.
Alles das entfiele bei Wegfall von Praxisgebühr für hausärztliche Versorgung und bei Vorlage einer Überweisung.
Das nennt man hausarztzentrierte Versorgung, und es funktioniert in Deutschlands Süden und in Skandinavien. Aber vielleicht ist das für Gesundheitsökonomen zu einfach und zu praktikabel...

Dr. Jürgen Sobtzick 11.04.201219:06 Uhr

Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch

Derartige Vorschläge können nur von Schreibtischwissenschaftlern kommen, die noch nie eine Praxis geführt und offenbar keine Vorstellungen haben, welche Arbeit das Kassieren der erweiterten Kassengebühr verursachen würde.
Zwar könnte die Zahl der Arztbesuch zurückgehen, doch wenn die Patienten schon den "Eintritt in die Praxis" bezahlt haben, dann werden sie alles haben wollen, was nur möglich ist. Wir werden das "Hamstern" von Medikamenten abwehren und bei verschleppten Erkrankungen mit weniger Honorar noch mehr arbeiten müssen.Die Kassengebühr egal in welcher Form muss abgeschafft werden ! Dr.Jürgen Sobtzick ,Euerdorf

Dr. Albrecht Siegel 11.04.201218:11 Uhr

Blödsinn !

Wunderbar, die Krankenkassen finanzieren uns ein Dehkreuz vor der Praxistür und schicken jeden Morgen einen Kassierer!

Es war schon ein Bärendienst, den Richter-Reichhelm den Ärzten damals erwies, als er im vorauseilenden Gehorsam und diskussionslos anbot, die Kassengebühr durch die Ärzte einsammeln zu lassen. Man kann nur hoffen, dass sich gegen den hier geplanten Humbug eine geschlossene Front bildet und kein KV-Funktionär umfällt. Der Wunsch nach Steuerungswirkung mag ja bestehen, aber mir ist nicht klar, warum (immer noch und nun noch exzessiver) die Praxen das erbringen sollten.
Die "VERMUTUNG" eines Ökonomen, der auf die Idee kommt, uns weismachen zu wollen, JEDESMAL 5 € zu kassieren bzw. zu überprüfen, ob eine Befreiung vorliegt und die Verwaltung dieser Klimperbeträge (abendliches Münzenzählen und -rollen) stelle eine Senkung des Verwaltungsaufwands dar, ist eine Verhöhnung unserer Intelligenz. Man stelle sich die MFA´s vor, die sich nun noch häufiger die Hände desinfizieren und waschen müssen! Es wird ein Feilschen entstehen, ob ein Verbandswechsel 5 € kostet (oder nur wenn der Arzt draufschaut?), ob ein Wiederholungsrezept jedesmal 5 € kostet etc...).

Karl-Georg Vaith 11.04.201217:15 Uhr

Quartalszahlung der Patienten von 10.-- Euro versus Praxisgebühr von 5.-- Euro für jeden Arztbesuch

Beides kann man nur als Schwachsinn bezeichnen.

Eine Steuerung von Patientenbesuchen beim Arzt ist damit nicht möglich !

Ein zusätzliches Kapital durch die jetzige Praxisgebühr pro Quartal
(2,5 Milliarden per anno)einzufordern ist möglich, diese Summe wurde bisher vom Patienten erbracht. Also sollte sie auch dem Pat. zugute kommen. Was nicht der Fall ist.
Aber so ist das oder haben sie schon mal erlebt, dass auf eine Zusatzgebühr oder Steuer verzichtet wird ?
Die Kosten trägt der Arzt, somit wird Brutto nicht zum Netto.

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