DAK-Gesundheitsreport

Rätselhafter Rücken

Hoher Krankenstand, Fehlsteuerung in der Versorgung, unwirksame Prävention – Rückenleiden geben Gesundheitsexperten Rätsel auf. Ein Hamburger Sportmediziner denkt, dass Gesundheitskompetenz die Volkskrankheit zurückdrängen könnte.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Rückenschmerz: ein Volksleiden. Jeder Versicherte hat im Durchschnitt 3,24 Fehltage deswegen.

Rückenschmerz: ein Volksleiden. Jeder Versicherte hat im Durchschnitt 3,24 Fehltage deswegen.

© Lars Zahner / stock.adobe.com

BERLIN. Mit 324 Fehltagen je 100 Versicherten sind Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems die wichtigste Ursache von registrierter Arbeitsunfähigkeit – noch vor psychischen Erkrankungen. Das geht aus dem am Donnerstag anlässlich des Tags des Rückenleidens veröffentlichten DAK-Gesundheitsreport "Rätsel Rücken" hervor, den das IGES-Institut erstellt hat.

Nach einer Umfrage unter 5224 Beschäftigten im Jahr 2017 litten 27 Prozent unter Rückenschmerzen, in den zurückliegenden zwölf Monaten waren es sogar drei Viertel der Befragten. Bei knapp 15 Prozent war der Rückenschmerz chronifiziert. Ein großer Teil der Betroffenen lässt sich allerdings nicht vom Arzt krankschreiben.

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Risikofaktoren für Rückenschmerz-bedingte Arbeitsunfähigkeit sind Chronifizierung, Übergewicht/Adipositas, Beamtenstatus, Arbeit in unbequemer Haltung sowie häufige Arbeitsüberlastung.

6 von 10 mit Physiotherapie

Wer ärztliche Behandlung in Anspruch nimmt, erhält zu 60 Prozent eine Physiotherapie, zu 42 Prozent Schmerzmittel. Jeder Dritte wird krank geschrieben, gut 31 Prozent erhalten Schmerzspritzen. Nur 20 Prozent werden beraten, wie sie mit dem Schmerz umgehen und ihn mildern können. Ein Gespräch zum Thema "Stress und Rückenschmerz" fand nur bei fünf Prozent der Patienten statt.

Um 80 Prozent ist die Zahl der Krankenhausfälle mit der Diagnose Rückenschmerz seit 2007 gestiegen. 46 Prozent der Betroffenen wurden dabei als Notfälle aufgenommen, zu großen Teilen werktags zwischen 8 und 11 Uhr, wenn auch die Praxen niedergelassener Ärzte geöffnet haben.

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Dieter Nolting vom IGES-Institut sieht darin eine erhebliche Fehlsteuerung, denn viele Klinikpatienten erhalten eine interventionelle Schmerztherapie, die auch ambulant verfügbar wäre, 54 Prozent "sonstige Prozeduren", die eher unspezifisch seien.

Bei der Selbsthilfe der von Rückenschmerz Betroffenen setzen die meisten auf Ruhe: Wärmeanwendung (61 Prozent), Schmerzmittel (35 Prozent), Abwarten (34 Prozent). Immerhin 42 Prozent bewegen sich, etwa bei einem Spaziergang.

Mangelnde Kompetenz führt zu Schmerzen?

Zum besseren aktiven Umgang mit Rückenschmerzen bietet die DAK neuerdings das Online-Programm Rücken@Fit an, einen Dialog-Coach, der entsprechend der nationalen Versorgungsleitlinie für unspezifische Rückenschmerzen erstellt worden ist.

Eine wesentliche Ursache für die Häufigkeit von Rückenschmerzen sieht der Hamburger Sportmediziner Professor Ingo Froböse in mangelnder Gesundheitskompetenz. 80 Prozent der Schmerzen seien muskulär, bedingt. Präventiv — und, wenn es bereits schmerzt – helfe wechselnde Bewegung, die schon in Kita und Schule gelernt werden müsse. (HL)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Rätsel Rückenleiden

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Kommentare
Dr. Helmut Ulrich 18.03.201808:01 Uhr

Elektrophsiolgische Behandlung

Es gibt heute elektrophysiologische Methoden, die schnell und nebenwirkungsfrei auch älteren Patienten helfen. Hoher Blutdruck, Niereninsuffizienz oder KHK spielen dabei keine Rolle. Mit Softlaser und Hochtontherapie mache ich jährlich viele 100 Behandlungen. An der BWS , die beim Hausarzt im Vordergrund steht (Beklemmungen, Dyskardien, Osteoporose und so weiter) ist die Softlasertherapie ganz wichtig . Nur wenige Behandlungen erforderlich.
Wir sind im 21. Jahrhundert.

Werner Schmidtke 17.03.201802:24 Uhr

Herr Kollege Güster...

sie haben vollkommen recht. Aber Lern-/ Änderungseffekte sind mitunter ziemlich änderungs-restistent.

Franz-Josef Güster 16.03.201810:39 Uhr

Wieso ein Rätsel?

Im Report der DAK habe ich nicht ein Mal den Hinweis auf die Möglichkeit bestehender Somatisierungsstörungen und Komorbidität mit affektiven Störungen gesehen. Es ist doch kein Rätsel mehr, dass die depressive Störunge eine der häufigsten Erkrankungen überhaupt ist und oft mit Somatisierung einhergehen kann. Gerade im Kontext zur AU-Bescheinigung gegenüber dem Arbeitgeber werden vom Patienten depressive Störungen beim attestierenden Arzt ausgeklammert bzw. von diesen selbst als ursächliches Krankheitsbild einer Depression abgewehrt. Die Häufigkeitsstatistik zeigt zudem, dass Männer deutlich mehr betroffen sind. Das ist ein kongruentes Phänomen zur Abwehr eigener psychischer Störungen, da die Depression, oder psychische Störungen überhaupt, immer noch mit Stigmatisierung und zu befürchtenden beruflichen Nachteilen verbunden ist. Was ist also von diesem Report zu halten? Eigentlich nichts.

Dr. Frank Horlbeck 16.03.201809:11 Uhr

Des Rätsels Lösung

Alle Jahre wieder zum Tag der Rückengesundheit kommt das große Lamento der Krankenkassen. Aber von den Betroffenen mal abgesehen sind Rückenprobleme doch ein tolles Geschäft für Pharma, „Physios“, „Psychos“ im Rahmen multimodaler Behandlungsansätze, Operateure und Kliniken und allen, die hier Lösungen anbieten. Der nüchterne Blick auf die Statistik zeigt dann aber, es wird so gar nichts gelöst. Wir haben das tägliche Zähneputzen als Hygienemaßnahme akzeptiert, doch was ist mit konkreter Rückenhygiene? Es grenzt nahezu an Realitätsverweigerung, ob in der NVL Kreuzschmerz oder den Präventionsrichtlinien der Kassen selbst, dass die fundamentale Rolle einer stabilen Rumpf- und Rückenmuskulatur ausgeblendet wird. Da ist Training eben mehr als nur Bewegung oder 10 Einheiten Rückenschule. Dabei gibt es seit Jahrzehnten exzellente Angebote im Markt. So habe ich ärztlich in nunmehr 20 Jahren fast 10.000 Beratungen an Betroffenen durchgeführt, die ein spezifisches Training bei einem auf „starke Rücken“ spezialisierten Fitnessanbieter aufnahmen. Keine fünf Prozent der Aktiven kamen auf kollegiale Empfehlung oder erhielten gar finanzielle Unterstützung von ihrer Krankenkasse. Das eigentliche Rätsel ist doch, warum nicht?

Dr. Vassilios Rachaniotis 16.03.201808:35 Uhr

Mehr Edukation statt MRT...

...ich bin sogar der Meinung, daß über 90% der Rückenschmerzen muskulär mit bedingt sind und eine insuffiziente Aufklärung der Patienten, über die meistens gute Prognose, zu einem Circulus vitiosus aus oft übertriebener Diagnostik (hier sind die bildgebende Verfahren an erster Stelle zu erwähnen) und nicht adäquaten Therapieformen führen. Mehr Edukation wäre hier oft die bessere Alternative.

Dr. V. Rachaniotis
Leiter der Schmerzklinik-Augsburg

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