International

Rettungsdienst in der Ukraine: Junge Struktur, erwachsene Sorgen

Die Lage in der Ukraine bleibt angespannt: Schon die COVID-Pandemie forderte das Land enorm, nun droht ein Krieg mit dem Nachbarn im Osten. Der erst im Aufbau befindliche Rettungsdienst der Malteser spürt steigende Nachfrage nach Erste-Hilfe-Kursen – auch von Ärzten.

Margarethe UrbanekVon Margarethe Urbanek Veröffentlicht:
Der Malteser Hilfsdienst engagiert sich in der Ukraine, um die Zivilbevölkerung, darunter auch Ärzte, in Erster Hilfe zu schulen und – hier im Bild – um traumatisierte Personen zu unterstützen.

Der Malteser Hilfsdienst engagiert sich in der Ukraine, um die Zivilbevölkerung, darunter auch Ärzte, in Erster Hilfe zu schulen und – hier im Bild – um traumatisierte Personen zu unterstützen.

© Stanislav Krupar/Malteser Intern

Köln/Kyiv. Die politischen Bemühungen, einen Krieg in der Ukraine zu vermeiden, laufen auf Hochtouren: zahllose Telefonate, diplomatische Treffen hochrangiger Politiker unterschiedlicher Nationen, Beratungen ohne Unterlass. Und dennoch bleibt die Lage in der Ukraine weiterhin angespannt. „In Europa droht wieder ein Krieg“, so Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. „Die medizinische Versorgung im Osten der Ukraine könnte zusammenbrechen, sollte sich der Konflikt mit Russland weiter zuspitzen“, warnt die humanitäre Organisation „Ärzte der Welt“ nun in einer Mitteilung.

Rund die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen im Osten der Ukraine seien schon jetzt als Folge der seit acht Jahren andauernden bewaffneten Auseinandersetzung beschädigt oder nicht mehr voll betriebsfähig. Wegen des massiven Fachkräftemangels sei das verbliebene Gesundheitspersonal stark überlastet. Die Corona-Pandemie habe die Lage zusätzlich verschärft.

Kriegsangst dominiert Corona-Sorge

Die Anzahl der täglichen Corona-Neuinfektionen in der Ukraine liegt offiziellen Zahlen zufolge aktuell bei 35 .227. Im Durchschnitt der letzten sieben Tage wurden 32 .532 Neuinfektionen pro Tag erfasst, die Inzidenz beträgt 523,9 (Stand 18.02.). Rund 35 Prozent der Bevölkerung gelten als vollständig geimpft, eine Auffrischungsimpfung haben 1,5 Prozent der Bevölkerung erhalten (Stand 16.02.). In den separatistischen Regionen Donezk und Luhansk liegt die Impfquote laut „Ärzte der Welt“ deutlich niedriger (12-14 Prozent).

Auch wenn die Pandemie, die der Bevölkerung auch wirtschaftlich zu schaffen macht, weiter andauert, werden die Sorgen derzeit von etwas anderem dominiert. „Die Kriegsangst verdrängt die akute Sorge vor COVID-19“, weiß Pavlo Titko, Vorstandsvorsitzender der Malteser in der Ukraine, der die Auswirkungen in der täglichen Arbeit seiner Organisation spürt und eine „deutliche Zuspitzung“ der Lage ausmacht. „An Normalität ist schon lange nicht zu denken“, sagt Titko, „gefühlt ist jeder krank.“ Das wirke sich auf die Psyche der Menschen aus, mache mürbe und lasse die Bedarfe nach psychologischer und psychosozialer Unterstützung weiter steigen.

Nachfrage an Erste-Hilfe-Kursen steigt

Bereits kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion hat – u.a. unterstützt vom Malteser Hilfsdienst aus Deutschland – der Aufbau der Malteser Ukraine begonnen. Seit 1993 führt die Hilfsorganisation Erste-Hilfe-Kurse durch und engagiert sich in vielfacher Hinsicht für hilfsbedürftige Menschen im Land. Die angespannte Situation im Osten des Landes hat nun zu einer verstärkten Nachfrage nach Erste-Hilfe-Kursen geführt, wie Titko berichtet: „Seit 2014 (Jahr der Euromaidan-Proteste und der Annexion der Krim, Anm. d. Red.) ist die Nachfrage nach Kursen immer mehr gewachsen, aber seit einem Monat ging sie über in einen Andrang.“

Seit Ende Januar würden täglich bis zu fünf Erste-Hilfe-Kurse angeboten, auch an den Wochenenden. Interesse an den Kursen hätten unter anderem Ärzte, Medizinstudenten oder Mitarbeiter aus Sozialdiensten, Kirchen oder Nicht-Regierungsorganisationen. „Die Warteschlange ist groß, die Kapazitäten, Menschen und Materialien für eine solche Nachfrage aber nicht ausgelegt“, gibt Titko zu Bedenken.

Ehrenamtlicher Rettungsdienst noch im Aufbau

Seit 2014 befinden sich die Malteser Ukraine außerdem im Aufbau eines landesweiten Rettungsdienstes mit ehrenamtlichem, nicht-ärztlichem Rettungspersonal. In zwölf Städten der Ukraine seien mittlerweile entsprechende Strukturen mit Rettungskräften entstanden. Mit der Finanzierung durch Renovabis, Malteser Deutschland und ukrainische Geber wurde außerdem in Ivano-Frankivsk ein Logistikzentrum für Rettungsdienste eingerichtet. Ivano-Frankivsk ist eine Stadt im Westen der Ukraine, unweit der polnischen Landesgrenze. Pavlo Titko: „Es ist ein Beispiel, wie das Rettungswesen in der Ukraine sinnvoll gestärkt werden kann. Aber es ist bisher nur an einem Ort gut aufgestellt. Wir brauchen noch mehr davon.“

Sollte sich der Konflikt weiter verschärfen, droht ein Kollaps der medizinischen Versorgung.

François De Keersmaeker, Direktor von „Ärzte der Welt“ in Deutschland

Insgesamt seien die Rettungsdienststrukturen noch sehr jung, heißt es auch von Malteser-Engagierten aus der Ukraine. Da es keine staatliche Unterstützung gebe, fehlten finanzielle Mittel, aber auch Materialien wie medizinische Hilfsgüter, chirurgische Materialien, Verbandsmaterialien, Infusionen oder Beatmungsbeutel. Auch infrastrukturell seien einige Einheiten nur schlecht aufgestellt. So würden etwa Rettungs- und Krankentransportwagen gebraucht.

Im Ernstfall, so die Befürchtung der Malteser in der Ukraine, könnte es deshalb zu Versorgungsengpässen kommen. Eine Einschätzung, die auch „Ärzte der Welt“ teilt: „Sollte sich der Konflikt weiter verschärfen, droht ein Kollaps der medizinischen Versorgung“, warnt François De Keersmaeker, Direktor der Organisation in Deutschland.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Zentrale EU-Zulassung

EMA-Ausschuss spricht sieben positive Empfehlungen aus

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Belastungsfähigkeit verbessern

Regelmäßig in die Sauna – hilft das bei Herzinsuffizienz?

Lesetipps
Bald nicht nur im Test oder in Showpraxen: Auf einem Bildschirm in der E-Health-Showpraxis der KV Berlin ist eine ePA dargestellt (Archivbild). Nun soll sie bald überall zu sehen sein auf den Bildschirmen in Praxen in ganz Deutschland.

© Jens Kalaene / picture alliance / dpa

Leitartikel

Bundesweiter ePA-Roll-out: Reif für die E-Patientenakte für alle

Betritt unbekanntes Terrain: CDU-Politikerin und designierte Bundesministerin für Gesundheit Nina Warken.

© Bernd Weißbrod/dpa

Update

Überraschende Personalie

Eine Juristin wird Gesundheitsministerin: Das ist Nina Warken