Notfallreform
Rettungsdienst könnte Spaltpilz sein
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und die Krankenkassen wollen die Rettungsdienste in Deutschland „GBA-fähig“ machen. Doch die Länder rebellieren dagegen. Nicht ohne Grund.
Veröffentlicht:Berlin. Wulf-Dietrich Leber gehört zu den „alten Hasen“ im Gesundheitsbetrieb. Seit über 30 Jahren mischt er dort mit. Seit 2008 ist er Klinik-Experte Nr. 1 beim GKV-Spitzenverband. Als „Abteilungsleiter Krankenhäuser“ hat Leber auch an den Vorschlägen des Verbands für die Notfallreform mitgewirkt. Kürzlich wurden die Ideen vorgestellt.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dürfte Teile davon wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Nah beieinander liegen er und die Kassen etwa bei der Idee, den Ländern, respektive den Kommunen, die Verantwortung für die Rettungsdienste von Feuerwehr & Co. zu entziehen.
In der Obhut der Innenminister
Bislang unterstehen die Dienste als Teil der Gefahrenabwehr den Landesinnenministerien. Sie tragen in jedem der 16 Länder mit jeweils einem eigenen Hilfeleistungsgesetz die Verantwortung für die Rettung und den Notruf. Vor Ort organisiert wird beides von Kommunen oder Landkreisen, wahlweise auch in „Zweckverbünden“. Die Kassen sind weitgehend außen vor. Bisher jedenfalls.
Denn geht es nach GKV-Experte Leber, muss sich das Rettungswesen schon aus Qualitätsgründen schleunigst verändert werden. So sollte die Notfallversorgung über den Rettungsdienst künftig als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung gelten und von den Kassen „in jedem Fall“ vergütet werden, schlagen die Kassen vor.
Bislang ist der Rettungsdienst rechtlich betrachtet nicht mehr als Personenbeförderung. AOK, TK & Co zahlen die Rettungsfahrten erst, wenn sich daran eine stationäre Behandlung anschließt. Das führt nach Kassenlesart zu Fehlanreizen.
Denn die Folge ist, dass die Rettungswagen aus Wirtschaftlichkeitserwägungen nahezu jeden Patienten ins Krankenhaus bringen – unabhängig davon, ob das geboten ist oder nicht. Wäre die Rettungsfahrt GKV-Leistung, bestünde kaum Anlass, Patienten mit vergleichsweise leichten Blessuren ins Krankenhaus zu transportieren, „nur damit der Einsatz des Rettungsdienstes bezahlt wird“, unterstreicht auch Stefanie Stoff-Ahnis, Mitglied im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes.
Ein Spiegelstrich im Grundgesetz
Freilich: Für den Rettungsdienst-Coup ist eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Letztlich, sagt Kassenmann Leber, laufe das aber auf das Einfügen nur eines einzigen Spiegelstrichs in Artikel 74 Absatz 1 Grundgesetz hinaus. Dort sind feinsäuberlich die „Gebiete der konkurrierenden Gesetzgebung“ durchnummeriert – Felder also, auf denen auch dem Bund Gesetzgebungsrecht zugewiesen wird. Als ergänzender Punkt wäre dort der Passus „die wirtschaftliche Sicherung des Rettungsdienstes“ aufzunehmen. „Eigentlich keine schwierige Aufgabe“, findet Leber.
Der Effekt aus Sicht der Kassen wäre enorm: „Dadurch würde das Rettungswesen GBA-fähig“, sagt Leber. Soll heißen: Der Gemeinsame Bundesausschuss könnte bundeseinheitliche Qualitätsindikatoren für den Rettungsdienst einführen und auch messen. Eine simple Frage wie die, ob Patienten in ein Krankenhaus gebracht werden, in dem sie anschließend auch behandelt werden konnten, ließe sich dann beantworten.
Auch eine regelmäßige flächendeckende Rettungsdienststatistik könnte der GBA erstmals möglich machen. Bislang versucht die Bundesanstalt für Straßenwesen, die Lücke zu füllen – alle zwei Jahre anhand von Fragebögen und Stichproben. Die nächste Hochrechnung wird in Kürze erwartet – mit Zahlen von 2016 und 2017.
Leitlinien sind sehr unterschiedlich
Wie dringlich die Neustrukturierung des Rettungswesens wäre, zeigt Leber auch am Beispiel der Rettungsleitstellen auf. Rund 250 davon gibt es. Kaum eine Leitstelle ist wie die andere – sei es Träger-, sei es Aufgabenstruktur. Verlässliche Angaben zu den Rettungsfahrten fehlen. In Zeiten der Digitalisierung unverständlich, meint GKV-Experte Leber. So lasse sich heute per Internet „der Standort jeder Dschunke auf den sieben Weltmeeren“ ausmachen. Wie viele Rettungswagen tagsüber oder in der Nacht unterwegs seien, dazu könne man in Deutschland nichts sagen.
Paradox, denn: „Es gibt auf dem Rechner alle Krankenhausfälle, alle ambulanten Behandlungsfälle, alle Arzneimittelverschreibungen, aber es gibt nicht einmal im Ansatz eine Datenbank aller Rettungsfahrten.“ Die geplante Notfall-Reform biete die Chance, den weißen Fleck auf der Gesundheitskarte zu beseitigen. „Egal, wie einheitlich die Leitstellen digitalisiert werden – in wenigen Jahren sollte eine solche Datenbank funktionsfähig sein“, sagt Leber.
116.117 oder 112: Anrufer landen in der gemeinsamen Notfallleitstelle
Richtig sei auch, dass Spahn die Notfallnummer 112 und die Nummer des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes 116 117 zusammenschalten will. Anrufer beider Telefonnummern sollen dann bei sogenannten Gemeinsamen Notfallleitstellen (GNL) landen, wo ihnen weitergeholfen wird.
Dass die Länder die Hoheit über den Rettungsdienst aufgeben, dürfte aber so gut wie ausgeschlossen sein. „Wir haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe unsere erheblichen Bedenken zu dem Vorschlag geäußert“, betont etwa Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann (SPD) gegenüber der „Ärzte Zeitung“.
Der Rettungsdienst sei „elementarer Bestandteil der Daseinsfürsorge“ und gehöre in die Verantwortung der Kommunen und kreisfreien Städte. Andere Landesminister dürften ähnlich argumentieren. Bislang befindet sich die Reform im Stadium eines Diskussionsentwurfs. Gut möglich, dass es noch zum politischen Handel zwischen Bund und Ländern kommt.