Rösler will GKV-Versicherte öfter in Vorkasse beim Arzt treten lassen

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) drängt auf ein "intelligentes Modell der Kostenerstattung" auch in der GKV. Kassen und Koalitionspartner CSU gehen auf Distanz zu den Plänen.

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Bargeld in der Arztpraxis? Nach dem Willen von Minister Philipp Rösler soll die Kostenerstattung in der GKV stärker zum Tragen kommen.

Bargeld in der Arztpraxis? Nach dem Willen von Minister Philipp Rösler soll die Kostenerstattung in der GKV stärker zum Tragen kommen.

© Emprechtinger / fotolia.com

BERLIN (hom/sun). Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler will gesetzlich Krankenversicherten künftig mehr Anreize bieten, beim Arzt in Vorkasse zu treten (wie bereits kurz berichtet). "Wir wollen ein intelligentes Modell der Kostenerstattung", erklärte der FDP-Politiker am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.

Viele gesetzliche Kassen bieten ihren Versicherten heute schon Wahltarife zur Kostenerstattung an. Schätzungen zufolge greifen derzeit etwa 0,2 Prozent der 72 Millionen GKV-Versicherten auf solche Angebote zurück. Dabei müssen die Versicherten eine Reihe von Nachteilen in Kauf nehmen.

So binden sie sich auf mehrere Jahre an den Tarif. Zudem werden ihnen nur 90 Prozent der Arztkosten erstattet. Diese Nachteile, die viele Versicherte abhielten, sich für die Kostenerstattung zu entscheiden, wolle die Koalition mit ihrer Gesundheitsreform beseitigen, so Rösler.

An diesem Donnerstag beginnen im Bundestag die Beratungen über die Reform. Das Kabinett hatte die Reformpläne bereits vergangene Woche auf den Weg gebracht.

Bei den gesetzlichen Kassen stieß der Vorstoß für mehr Kostenerstattung in der GKV auf Ablehnung. "Kostenerstattung ist für uns der verkehrte Weg", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, der "Ärzte Zeitung". Wenn kranke Menschen einen Arzt konsultierten, dann sollten sie sich nicht erst fragen müssen, ob ihr Geld dafür auch reiche.

Mit einer Vorkasse würden Ärzte "direkt ins Portemonnaies ihrer Patienten" greifen. Das Sachleistungsprinzip sei ein Eckpfeiler der sozialen Krankenversicherung und schütze Patienten davor, "für Leistungen zu bezahlen, die nicht notwendig sind". Auch der AOK-Bundesverband hatte sich zuletzt gegen eine Ausweitung der Kostenerstattung positioniert.

Rösler betonte, das Sachleistungsprinzip werde mit den Plänen nicht in Frage gestellt. Kein Versicherter werde zur Kostenerstattung gezwungen. Versicherte sollten freiwillig entscheiden. Kostenerstattung sei eine "Grundlage für mehr Eigenverantwortung" der Versicherten.

Sie trage möglicherweise auch dazu bei, dass Patienten einen Arzt nur dann aufsuchten, wenn dies wirklich nötig sei. In Deutschland kontaktierten Patienten ihren Arzt im Schnitt noch immer viel öfter als in anderen Ländern.

Voraussetzung für eine langfristige Ausweitung der Kostenerstattung in der GKV sei jedoch eine Honorarreform, die für mehr Transparenz in der Vergütung niedergelassener Ärzte sorge, sagte Rösler. "Ein wirkliches und intelligentes Modell der Kostenerstattung braucht aus meiner Sicht eine Honorarreform."

Die CSU ging unterdessen auf Distanz zu den Plänen des Gesundheitsministers. Die Kostenerstattung bringe nichts, sagte CSU-Gesundheitsexperte Max Straubinger der "Welt".

Die Unionsfraktion gab trotz Änderungswünschen der CSU derweil mit breiter Mehrheit grünes Licht für die Gesundheitsreform. Aus Fraktionskreisen hieß es, dass die Abgeordneten für das Kerngesetz der Reform stimmten. Das Kabinett hatte die Reformpläne bereits vergangene Woche auf den Weg gebracht.

CSU-Gesundheitspolitiker Johannes Singhammer betonte am Rande der Fraktionssitzung, die Gesundheitsreform sei ein "wichtiges Vorhaben". "Wer in Deutschland krank wird, wird auch künftig eine bessere Versorgung erhalten als in den Nachbarländern", so Singhammer.

Lesen Sie dazu auch den Vorabbericht: Rösler will Vorkasse auch in der GKV

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 02.10.201019:17 Uhr

Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland zum 3. 10. 2010

Lieber Herr Kollege Reiner Blessing,
ich bin seit 1975 ärztlich tätig. Schon damals haben alle sich wichtig tuenden Verbände uns einbleuen wollen, die beste Lösung wäre doch die Kostenerstattung! Es hat in 35 Jahren meiner Arbeit in der Medizin niemals geklappt.

Der heute politisch bedeutungslose Hartmannbund, der NAV/Virchowbund und zahlreiche Fachgruppen in der Ärzteschaft träumen immer noch herrlich weiter, während der Hausärzteverband und andere Arztgruppen konkrete Sachleistungsverhandlungen in der GKV führen. Der Marburger Bund führt z. T. sehr erfolgreiche Tarifverhandlungen.

Ich verstehe und respektiere, dass Sie stinksauer auf "die da Oben" sind. Aber Ihre individualisierten Bemerkungen bringen Sie überhaupt nicht weiter. Und von "Geschwurbel" kann eigentlich keine Rede sein, es sei denn, es schwurbelt bei Ihnen Etwas.

Fakten sind Acht klar umrissene, logische und rechtsverbindliche Punkte, die Sie und ich nicht aus der Welt dieser, unserer Bundesrepublik Deutschland schaffen können. Und am 20. Jahrestag der Wiedervereinigung können wir, das Volk, stolz und glücklich sein über ein sicheres, beständiges und weit über 100 Jahre altes Sozialversicherungssystem, um das uns andere Länder täglich beneiden.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen Ihr Dr. med. Th. G. Schätzler, FAfAM

Dr. Reiner Blessing 01.10.201021:36 Uhr

Kostenerstattung wird kommen- und die Verschwendungs-Sucht der Krankenkassen stoppen !

Wenn Patienten in größerer Zahl ihren Arzt bezahlen, und die Rechnung ihrer Kasse zur Erstattung vorlegen ändert sich unser auf gigantische Verschwendung angelegtes System entscheidend.
Denn dann ... entscheidet der Pat. was und wer bezahlt wird und ... ganz sicher .... das Geld wird wieder beim Arzt ankommen, nicht mehr in Schummel-MVZs ala Berlin und maroder Kassen-Bürokratie versickern.
Wenn der Patient entscheidet, gibt er sein Kassengeld für Therapie aus und nicht für die Industrieförderung ala unbrauchbarer GKV-Card - nicht für Kassenserver und DMP-Bürokratie bis zum Erbrechen. Er wird für Hausbesuch und ambulante OP bezahlen wollen, nicht für Krankenwagen und langen Klinikaufenthalt im Groß-Klinikum - das wird der reale Schrecken der Kassenbürokratie. Und da hilft auch alles Geschwurbel von angeblicher Inkompatibilität eines Dr. Schätzler nichts mehr- mündige Patienten wollen mitbestimmen. Und dies geht nur mit Kostenerstattung direkt vom Patient zum Arzt, dann Vorlage bei der Kasse. Aberwitzig finde ich das stete Lamento, der Pat. sei lebensunfähig - er kann zwar Fernreisen nach Asien oder Mittelamerika für tausende von Euro managen aber keinesfalls eine Arztrechnung über ca. 150 Euro bezahlen. Mit sowas ist der Yuppie / Ferntourist / Mallorca-Rentner / Party-Freak total überfordert - andere Europäer sagen dazu : die Deutschen Bürokraten sind völlig übergeschnappt.

Dr. Thomas Georg Schätzler 29.09.201018:36 Uhr

Kostenerstattung mit Vorkasse - Vorkasse mit Kostenerstattung? Rastloser Rösler ratlos oder ratloser R....!

Herr Kollege Dr. Philipp Rösler, das kann doch jetzt nicht wahr sein!
"V O R K A S S E" ist in Deutsch definiert als Vorauszahlung,
d a n a c h erfolgt erst die (Dienst)Leistung. Wenn Sie als Bundesgesundheitsminister für Ihre gesamte Legislaturperiode Ihre Monatsgehälter im Voraus bekämen, wäre das "Vorkasse", also bevor Sie irgendwas geleistet haben! Wenn Ärztinnen und Ärzte nach Ihrem abwegigen Modell der "intelligenten Kostenerstattung" eine Dienstleistung nach GOÄ oder EBM 2009 erbringen sollen und d a n a c h abrechnen, um irgendwann ein Honorar zu bekommen, ist das weder intelligent noch vorkassenmäßig, sondern strukturell völlig normal, wie beim Frisör erst nach dem Haare schneiden das Geld fließt.

Kostenerstattung und Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) geht nach der Rechtssystematik der Deutschen Sozialgesetzgebung gar nicht:
(vgl. Ihr Interview im DÄ 107, 37, S. A 1726 ff. vom 17.9.2010 und Financial Times Deutschland vom 28.9.2010 bzw. dpa am 29.9.2010 um 11:09 Uhr). Ihr leidiger Leitspruch: „Ein intelligentes System der Kostenerstattung“ ist eine klassische contradictio in adjecto, aus folgenden Gründen:
1. Unsere GKV-Versicherten sind als Patienten bereits in Vorleistung getreten: Die Behandlungskosten in Klinik und Praxis wurden durch Ihre GKV-Beiträge vorfinanziert (Sachleistungsprinzip).
2. Bei häufiger und krankheitsbedingt intensiver Inanspruchnahme, werden die Mehrkosten durch die Beiträge der gesunden GKV-Versicherten ausgeglichen (Solidaritätsprinzip).
3. Wenn bei Rentnern, Niedriglohngruppen, Sozialhilfe oder ALG-1 und 2 GKV-Beiträge nicht ausreichen bzw. bei Familienmitgliedern oder Zahlungsunfähigen ganz fehlen, springen Staat und Steuerzahler ein (Subsidiaritätsprinzip).
4. Wer seine GKV-Beiträge bisher bezahlt hat und dies weiter tun wird, genießt einen durch unsere Verfassung garantierten Bestandsschutz (Legalitätsprinzip).
5. Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert Steuerungen durch Praxis- und Verordnungsblattgebühren bzw. angemessene Selbstbeteiligung bei stationärer Vollversorgung (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
6. Arzthonorare für gleiche ärztliche Leistungen, über das Sachleistungsprinzip per KV bezahlt, dürfen sich im Grundsatz nicht vom Zahlungsumfang der Kostenerstattung unterscheiden (Gleichheitsprinzip).
7. Vorleistungen durch GKV-Beiträge u n d zusätzliche Arztrechnungen, auch wenn diese dann erstattet werden, führen bei den gesetzlichen Krankenkassen zu einer immensen Bürokratie u n d neuen Kosten. Für die Patienten bedeuten sie einen unvertretbaren Aufwand. Das bestehende Sozialgesetzbuch wird in verfassungswidriger Weise ausgehöhlt (Verfassungsmäßigkeitsprinzip).
8. Welcher Patient oder Patientin setzen sich nach Feierabend noch hin, sortieren, ver- und begleichen (hoffentlich fristgerecht) Arztrechnungen diverser Fachrichtungen auch für ihre minderjährigen Kinder und hoch betagten Eltern/Großeltern. Wie sollen Senioren und greise Patientinnen und Patienten, evtl. demenzkrank, teilerblindet oder orientierungsgemindert mit diesen Rechnungen und Kostenerstattungen fertig werden? (Menschlichkeitsprinzip).

Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM in Dortmund

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