Arndt Striegler bloogt
„Schicksalswoche“ für die Briten? May geht auf die letzte Meile
Die Autohersteller haben vorsichtshalber für Ende März Pausen für ihre Montagebänder eingeplant. Das ist im Gesundheitswesen schwieriger, meint unser Blogger Arndt Striegler. Er glaubt nicht an das Gerede von der „Schicksalswoche“. Der Brexit geht – vorläufig – in den Endspurt.
Veröffentlicht:LONDON. Falls Sie sich, liebe Leser des Brexit-Blogs, ein wenig wundern, warum Sie etwas länger nichts von mir von der Insel gelesen haben: Immer wieder dachte ich in den vergangenen Tagen, ich warte einfach noch etwas ab, bis dann morgen endgültige Entscheidungen in Sachen Brexit gefallen sind. Pustekuchen!
Tag um Tag wurden die Dinge verschoben. Oder das Londoner Unterhaus einigte sich darauf, dass man sich nicht einig ist. Für tagesaktuell arbeitende Journalisten mag ein derartiges Hickhack vielleicht gut für das Geschäft sein. Aber für Blogger wie mich, die a) nur wöchentlich publizieren und die b) trotzdem möglichst aktuell und dennoch nicht von den Ereignissen überrollt werden wollen, waren die vergangenen zwei Wochen „heavy going“, wie meine britischen Landsleute sagen.
Schicksalswoche – wieder einmal
Diese Woche wird im Königreich abermals von den Kommentatoren als „historisch“ und „entscheidend“ oder als „Schicksalswoche“ bezeichnet. Ich bin da skeptisch. Zu oft hat die Regierung unter der immer hilfloser und verlorener wirkenden Premierministerin Theresa May in den vergangenen Wochen und Monaten Rückzieher und ähnliche Sperenzchen aufs politische Parkett gelegt.
Weniger als zwei Wochen bleiben dem Vereinigten Königreich noch, um einen Brexit-Deal mit der EU in trockene Tücher zu bugsieren. Vielleicht ist es gerade dieser Zeitfaktor, der der Fast-schon-Bruchpilotin May helfen wird, wenn sie abermals versucht, ihr mühsam mit der EU ausgehandeltes Ausstiegsabkommen doch noch durchs Londoner Unterhaus zu boxen. Zweimal ist die Regierungschefin damit krachend gescheitert.
In britischen Arztpraxen, Kliniken und Gesundheitsverwaltungen blickt man ganz besonders interessiert (und besorgt!) in Richtung Westminster. Denn der staatliche britische Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) hängt mehr noch als viele andere Branchen davon ab, dass auch nach dem EU-Austritt qualifiziertes Personal – und auch Waren – weiterhin ohne große Probleme ins Land kommen können.
Licht aus ohne Personal aus der EU
Was besonders für die Krankenpflege in Kliniken gilt, wo ohne Fachpersonal aus anderen EU-Ländern schon lange die Lichter auf den Klinikfluren ausgegangen wären. Und auch die vielen tausend Ärzte vom EU-Festland verfolgen besorgt die Vorgänge in der Downing Street und in Brüssel. Nicht nur um ärztliche Karrieren geht es, sondern immer auch um persönliche Schicksale.
Eine „Schicksalswoche“ für Großbritannien in mehreren Hinsichten: Zunächst weitere wichtige Abstimmungen im Unterhaus. Dann ein wichtiger EU-Gipfel, bei dem über eine mögliche Verschiebung des Brexit entschieden werden könnte.
Was nicht wirklich eine Lösung des Problems wäre, denn aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Gerade wurde bekannt, dass zum Beispiel viele in Großbritannien ansässige Autohersteller wie BMW, Honda und Jaguar-Land Rover für April die zeitweise Stilllegung ihrer Montagebänder anberaumt haben.
Das böse Ende ist garantiert?
Das soll vor Zulieferproblemen im Falle eines EU-Austritts am 29. März schützen. Doch sollte der Brexit verschoben werden, wäre mit dem Stillstand in den Fabriken nichts gewonnen. Hinzu kommt: Kliniken und Praxen des NHS können, anders als Autohersteller, nicht mal eben ihre Montagebänder anhalten.
Wie sagte kürzlich der international bekannte Professor Martin Mc Kee von der London School of Hygiene and Tropical Medicine: „Man muss kein ewiger Pessimist sein, um vorherzusagen, dass der Brexit in jedem Fall ein böses Ende für Großbritannien nehmen wird.“ Anders hat dies der frühere Ex-Regierungschef John Major formuliert: „Der Sprung von der Klippe nimmt selten ein Happy End.“