Vor der Landtagswahl

Schwarz-Grün wackelt in Hessen

Am Sonntag wird in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Angesichts zahlreicher Eskapaden aus Berlin suchen die hiesigen Politiker verzweifelt, den Blick auf hessische Themen zu lenken. Die Gesundheitspolitik spielt dabei nur eine Nebenrolle.

Christoph BarkewitzVon Christoph Barkewitz Veröffentlicht:
Bouffier oder Schäfer-Gümbel? Beide wollen der nächsten Regierung in Hessen vorstehen. Eine wichtige Rolle als Mehrheitsbeschaffer könnte der FDP mit ihrem Spitzenkandidaten René Rock (Plakat rechts) zukommen.

Bouffier oder Schäfer-Gümbel? Beide wollen der nächsten Regierung in Hessen vorstehen. Eine wichtige Rolle als Mehrheitsbeschaffer könnte der FDP mit ihrem Spitzenkandidaten René Rock (Plakat rechts) zukommen.

© Barkewitz

WIESBADEN. In Hessen herrscht ein Paradoxon vor der Landtagswahl am 28. Oktober: Obwohl sich laut Umfragen bis zu 57 Prozent der Wähler mit der aus CDU und Grünen gebildeten Landesregierung zufrieden zeigen, obwohl Schwarz-Grün immer wieder als bevorzugte Koalition genannt wird, bringt das Regierungsbündnis in den sogenannten Sonntagsfragen keine Mehrheit mehr zustande.

Die CDU liegt laut den Umfragen inzwischen unter 30 Prozent, die SPD würde auf gut 20 Prozent der Stimmen kommen, die Grünen haben sich auf bis zu 20 Prozent hochgearbeitet. Eine ganz aktuelle Umfrage – gestützt auf Abfragen direkt nach der Bayern-Wahl – sah die Grünen mit 22 Prozent sogar vor der SPD mit 20 Prozent. In diesem Fall könnte der Grünen-Spitzenkandidat, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, sogar Ministerpräsident eines Bündnisses aus Grünen, SPD und Linken werden.

Die Linke kommt auf bis zu acht Prozent, die FDP pendelt zwischen sechs und neun Prozent. Ziemlich sicher dürfte der erstmalige Einzug der AfD in den Landtag sein: Die Partei erreicht in den Umfragen stets Werte zwischen 10 und 15 Prozent.

Bei der vorangegangen Wahl im Jahr 2013 scheiterte die AfD mit 4,1 Prozent noch knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, die FDP musste bis tief in die Nacht um den Wiedereinzug ins Parlament zittern, bis das denkbar knappste Ergebnis von 5,0 Prozent feststand. Die Linken erreichten 5,2 Prozent, die Grünen 11,1 Prozent, die SPD 30,7 Prozent und die CDU 38,3 Prozent. Damit war die zuvor regierende Koalition aus CDU und FDP erledigt.

Ungewöhnliches Bündnis

Zur Überraschung vieler Beobachter kam es schließlich zu einem schwarz-grünen Bündnis, obwohl sich CDU und Grüne zuvor jahrelang aufs Heftigste bekämpft hatten. Noch überraschender war dann, dass diese Koalition bis zum heutigen Tag sehr geräuschlos zusammengearbeitet hat.

Künftig bräuchte Schwarz-Grün aber wohl einen dritten Partner. Es sei denn, SPD-Herausforderer Thorsten Schäfer-Gümbel, der zum dritten Mal antritt, schafft es, eine Mehrheit in Form einer "Ampel"-Koalition oder eines rot-rot-grünen Bündnisses zu organisieren.

Zünglein an der Waage könnte die FDP werden. Deren Spitzenkandidat, der Fraktionsvorsitzende René Rock, ließ zwar zu Jahresbeginn aufhorchen, als er seine persönliche Sympathie für Schäfer-Gümbel betonte und erklärte, die CDU sei nicht mehr "natürlicher Partner" der Liberalen.

In den vergangenen Tagen jedoch wies Rock nun wieder auf größere Übereinstimmungen mit der Union hin und bekundete recht unverblümt seine Bereitschaft für eine Koalition mit CDU und Grünen. Aber egal, ob "Ampel" oder "Jamaika" – das Überwinden der Animositäten zwischen Grünen und FDP würde einige Anstrengung kosten.

Wahlkampf ohne Gesundheit

Die Gesundheitspolitik spielt im hessischen Wahlkampf eine sehr geringe Rolle. Die SPD konzentriert sich ganz auf die drei Themen Bildung, Mobilität und Wohnen, die Union setzt aufs Bewahren: "Damit Hessen stark bleibt", und protegiert Ministerpräsidenten Volker Bouffier in der Rolle des Landesvaters mit Ausrufezeichen: "Verlässlich regieren: Bouff!er".

Damit setzt die SPD genau auf die Schwerpunkte, die auch – neben der Flüchtlingsthematik – als "wichtigste politische Probleme in Hessen" in Umfragen genannt werden. Den Bereich "Gesundheit/Pflege" nennen beispielsweise lediglich sechs Prozent der Befragten im HR-"Hessentrend" als wichtigstes Problem.

Bei näherer Betrachtung sind die Konfliktlinien in den gesundheitspolitischen Positionen der eingangs genannten Parteien mit Chancen auf den Einzug in den Landtag auch nicht allzu groß. So findet sich in allen Programmen der Hinweis, dass die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum zu gewährleisten ist, die Arbeits- und Vergütungsbedingungen für Pflegekräfte zu verbessern sind und die Zahl der Medizinstudienplätze erhöht werden muss. Für eine sektorenübergreifende Versorgung sind alle Bewerber genauso zu haben wie für einen Einsatz oder wenigstens die Erprobung von Telemedizin.

Markante Unterschiede gibt es vor allem im Bereich der Krankenhäuser. Linke und AfD sprechen sich klar gegen eine Privatisierung kommunaler Kliniken aus, die SPD will gar versuchen das einst an den Rhön-Konzern veräußerte Universitätsklinikum Gießen und Marburg zurück in die öffentliche Hand zu holen.

Die Defizite der Kliniken sollen nach Ansicht der Privatisierungsgegner vom Staat getragen werden. CDU und FDP dagegen setzen auf weitere Klinikverbünde, um die Häuser wirtschaftlich zu betreiben.

Auch wenn alle das Problem der hausärztlichen Versorgung auf dem Land im Blick haben, gibt es vor allem zwischen CDU/Grünen und SPD Dissens über den Erfolg der entsprechenden Bemühungen. Erst vor wenigen Tagen warnten die Genossen vor einem drohenden Ärztemangel in Hessen und kündigten im Falle einer Regierungsübernahme ein "Sofortprogramm" zur Verbesserung der Versorgung im ländlichen Raum an.

Die Union verweist dagegen auf ihren "Hessischen Gesundheitspakt", der genau dieses Problem angeht: Anreize für Ärzte zur Ansiedlung im ländlichen Raum und zur Weiterbildung zum Allgemeinarzt sowie die Förderung von Hospitationen und Famulaturen in Landarztpraxen. Ausdrücklich spricht sich die CDU in ihrem Wahlprogramm – wie auch die FDP – für eine Landarztquote unter den Medizinstudenten aus.

Erfahrener Minister

Die Gesundheitspolitik verantwortet für die aktuelle Landesregierung Sozialminister Stefan Grüttner. Der CDU-Mann zählt zu den dienstältesten Ministern in diesem Themenfeld und ist Sprecher der CDU/CSU-geführten Länder auf Bundesebene. Im Falle eines Wahlsiegs der Union hat er sicher gute Chancen, seinen Ministerposten zu behalten. Sollte allerdings die SPD – in welcher Konstellation auch immer – in Regierungsverantwortung kommen, würde sie sicherlich das Sozialministerium für sich beanspruchen.

In seinem Schattenkabinett hat Schäfer-Gümbel dafür den sozialpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion, Gerhard Merz, nominiert. Der hat Expertise in Sachen Arbeit und frühkindliche Bildung – die Gesundheitspolitik ist dagegen nicht seine Stärke. Die könnte nach den Gedankenspielen der Genossen deshalb Dr. Daniela Sommer als dessen Staatssekretärin übernehmen. Sie ist momentan gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion – ihren Doktortitel hat sie aber nicht in der Medizin erworben, sondern in Sozialwissenschaften.

Einziger Arzt im hessischen Landtag ist derzeit der Frankfurter Dermatologe Dr. Ralf-Norbert Bartelt. Seine Chancen auf den Wiedereinzug ins Parlament sind hoch: In seinem Frankfurter Wahlkreis holte er mehrfach das Direktmandat, mit Listenplatz 23 ist er aber auch sonst gut abgesichert.

Landtagswahl in Hessen

  • 4,38 Millionen Wahlberechtigte sind zur Wahl am 28. Oktober aufgerufen. Gut 61.700 sind Erstwähler.
  • 52 Prozent der Stimmberechtigten sind Frauen.
  • 23 Parteien und Listen wurden eingereicht und auch alle zugelassen. Auf den Landeslisten kandidieren insgesamt 691 Bewerber, weniger als ein Drittel davon (212) sind Frauen.
  • 110 Abgeordnete hat der Hessische Landtag. 55 Abgeordnete werden in Wahlkreisen und 55 Abgeordnete aus Landeslisten gewählt. Es kann darüber hinaus zu Überhangmandaten sowie zu Ausgleichsmandaten für die anderen Parteien kommen.
  • 15 Gesetze zur Änderung der Hessischen Verfassung stehen gleichzeitig mit der Landtagswahl zur Abstimmung, die allerdings keine gesundheitspolitischen Inhalte haben. Markanteste Änderung ist die Streichung der Todesstrafe aus dem Paragrafenwerk.
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