Aachener Hospizgespräche
Schwerstkranke sollten Todeswünsche äußern dürfen
Das Empfinden schwerkranker Patienten ist oft ambivalent. Wichtig sei, nicht sofort fatale Schlüsse aus geäußerten Todeswünschen zu ziehen, warnt der Palliativmediziner Roman Rolke.
Veröffentlicht:Stolberg. Todeswünsche, die Schwerkranke mit einer sehr begrenzten restlichen Lebenszeit hegen, sollten als Thema stärker aus der Tabuzone herausgeholt werden, fordert Professor Roman Rolke, Direktor der Klinik für Palliativmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen. Aktuell werde im Gesundheitswesen – bei allen bisher erzielten Fortschritten – der Umgang mit Todeswünschen immer noch sehr stiefmütterlich behandelt, kritisierte Rolke beim 116. Aachener Hospizgespräch in Stolberg bei Aachen, bei dem er als ärztlicher Leiter fungiert.
Sprechen Patienten Todeswünsche aus, werde das immer noch oft in einer falschen Ecke verortet. „Da entstehen dann schnell falsche Impulse“, berichtete er. Nicht selten würden sie dann als suizidgefährdet in eine geschützte psychiatrische Einrichtung gebracht.
Spiritualität als wichtiges Element
Die bisher erzielten Fortschritte beim Umgang mit solchen Situationen bewertet Rolke positiv. „Wir haben schon viel mehr Verständnis dafür entwickelt, dass Menschen mit einer schweren Erkrankung, die auf eine begrenzte Restlebenszeit blicken und in der Regel Todeswünsche in sich tragen, ambivalent sind“, sagte er. Einerseits hätten sie das Bedürfnis, wieder so gesund zu sein und entsprechende Dinge noch einmal so erleben zu können wie früher. Andererseits trügen sie auch den Gedanken ‚wäre doch bloß schon alles vorbei‘ in sich.
Rolke sieht es als „etwas ganz Wertvolles“ an, wenn Betroffene merken, dass sie Todeswünsche äußern dürfen und man sie damit ernst nimmt – und wenn Menschen in ihrer Umgebung auch offen entsprechende Fragen dazu stellen können.
Auch wenn sich in solchen Situationen viel um körperliche Probleme und das Lindern von Schmerzen dreht, komme auch dem Thema Spiritualität eine große Bedeutung zu. „Spiritualität hilft dabei sehr weiter“, sagte der Neurologe. Spiritualität sei allerdings nichts, was beispielsweise nur von den Kirchen ausgeht, und auch kein rein esoterisches Thema.
Er verwies auf die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Spiritualität als eine der Dimensionen des Menschseins definiert hat, die auch im Gesundheitswesen eine Rolle spielen sollten. „Wir müssen diesen Aspekt im Krankenhauswesen und in den hausärztlichen Praxen noch einmal anders in den Mittelpunkt rücken“, sagte er. Spirituelle Begleitung sei wie psychologische und sozialarbeiterische Unterstützung Teil der Gesundheitsfürsorge.
Es herrscht seelsorgerischer Notstand
Aktuell herrsche in den Krankenhäusern in dieser Hinsicht ein Notstand. Es sei oft sehr schwer, Seelsorge überhaupt zu organisieren. „Wir müssen dafür viel mehr Geld in die Hand nehmen“, forderte Rolke. Es sei nicht damit getan, nur die Kirchen zu bitten, hier stärker tätig zu werden.
Lobende Worte fand er für die Arbeit des palliativen Netzwerks in der Städteregion Aachen während der Pandemie. Man habe beispielsweise sehr früh einen Notallplan in leichter Sprache speziell für Einrichtungen der Alten- und Eingliederungshilfe entwickelt, um Erkrankte etwa bei der Entscheidung zu unterstützen, ob sie in der Einrichtung bleiben oder doch noch einmal in die Klinik wollen. Es folgte ein zweiter Notfallkatalog zu psychosozialen und spirituellen Fragestellungen, beispielsweise zu der Frage, wer am Lebensende anwesend sein soll.
Wenn während der Pandemie Menschen in Kliniken und anderen Einrichtungen einsam und allein gestorben sind, sei das nicht nur ein Versagen der Gesundheitspolitik gewesen, sondern auch der Gesellschaft insgesamt, glaubt Rolke. In vielen Fällen habe er aber beobachtet, dass kreative Lösungen gefunden wurden, um Abschiednehmen von Sterbenden auch dann noch zu ermöglichen, als die Krankenhausregelungen eigentlich keinen Besuch mehr gestatteten. „Hut ab, da ist ganz viel mit Augenmaß gemacht worden.“