Europäische Umweltpolitik
Pharmafirmen sollen auch rückwirkend für Kläranlagen-Aufrüstung zahlen
Nach landläufiger Meinung sind die Taschen der Industrie nicht nur tief sondern auch unerschöpflich. Was die mittelständischen Arzneimittelhersteller dementieren: Immer weitere Belastungen im Kontext der europäischen Umweltpolitik seien inakzeptabel.
Veröffentlicht:Bonn. Der Industrieverband „Pharma Deutschland“ befürchtet neue, unvorhergesehene Kostenbelastungen für Arzneimittelhersteller. Abwasserbetriebe hätten jetzt gefordert, heißt es, für 52 bereits fertiggestellte und auch schon mit einer 4. Reinigungsstufe ausgerüstete Kläranlagen diese vierte Stufe rückwirkend durch Pharma- und Kosmetikproduzenten finanzieren zu lassen. Laut heutiger Mitteilung soll sich bei einer Fachtagung der EU-Kommission Ende Januar das Umweltbundesamt gleichlautend geäußert haben.
„Wir sind mit dem Versuch konfrontiert, bereits getätigte Investitionen in Kläranlagen auf der Grundlage einer Richtlinie, deren wesentliche Umsetzungsparameter noch völlig unklar sind, nachträglich zu refinanzieren“, so Verbandsgeschäftsführerin Dorothee Brakmann.
Zur Erläuterung: Anfang November war von der EU die novellierte kommunale Abwasserrichtlinie (91/271/EWG) verabschiedet worden. Die Richtlinie sieht vor, dass größere Kläranlagen eine weitere Reinigungsstufe erhalten, mit der sich auch Mikroschadstoffe aus dem Abwasser filtern lassen. Deren Bau und Betrieb sollen verursachende Hersteller finanzieren („erweiterte Herstellerverantwortung“).
Hauptsächlich sind davon Pharma- und Kosmetikunternehmen betroffen, die einer Prognose des Chemieverbands VCI zufolge mit jährlich zwei bis drei Milliarden Euro zur Kasse gebeten werden könnten.
Hoffen auf Regierungsdialog
Pharma Deutschland hatte anhand einer kürzlich veröffentlichten eigenen Auswertung der Baukosten mehrerer großer Kläranlagen den künftigen Investitionsbedarf für die 4. Reinigungsstufen mit über 10,5 Milliarden Euro veranschlagt.
Basierend auf diesen Zahlen, heißt es, drohten für 52 nachträglich zu finanzierende Projekte nochmals weitere Ausgaben „von potenziell einer Milliarde Euro.“
„Steigende Kosten vor dem Hintergrund gedeckelter Arzneimittelpreise belasten die ohnehin gestresste Versorgungssicherheit weiter“, warnt die Bonner Interessenvertretung. Wiederholt wurden bereits Rufe aus der Branche laut, die kommunale Abwasserrichtlinie insbesondere zugunsten einer gerechteren Lastenverteilung zu überarbeiten.
Was Brakmann bekräftigt: Man hoffe auf „einen umfassenden Dialog zwischen Industrie, Regierung und Umweltexperten, um eine faire, transparente und wissenschaftlich fundierte Lösung zu entwickeln, die alle Verursachenden von Mikroverunreinigungen angemessen berücksichtigt und mögliche Engpässe verhindert.“ (cw)