Notfallreformgesetz
So will Spahn den Notfall retten
Neues Jahr, neue Reform: Gesundheitsminister Spahn legt seine Pläne für den Umbau der Notfallversorgung vor. Vertragsärzte sprechen von „richtigen Schritten“, die Kliniklobby wittert einen „Affront“.
Veröffentlicht:Berlin. Wenn es um die Frage ging, welches Projekt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im neuen Jahr wohl als erstes angeht, wurde häufig die Reform der Notfallversorgung genannt. Tatsächlich hat der Minister die Gesetzesmaschinerie wieder angeworfen, kaum war das neue Jahrzehnt eine Woche alt. Und ja, die Reform der ambulanten Notfallstrukturen und des Rettungsdienstes steht oben auf der Agenda. Ziel ist eine „integrierte Notfallversorgung, die durch eine verbindliche Kooperation aller handelnden Akteure des Rettungsdienstes und der ambulanten und stationären Notfallversorgung“ erreicht werden soll.
Die ambulante Notfallversorgung soll damit den Patientenströmen folgen. Obwohl die ambulante Versorgung räumlich komplett an eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zu treffende Auswahl von Krankenhäusern verlagert werden soll, sollen die Vertragsärzte zuständig bleiben und den Sicherstellungsauftrag, wenn auch begrifflich leicht modifiziert, behalten. Aus einem der „Ärzte Zeitung“ vorliegenden Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums vom 8. Januar geht klar hervor: Die niedergelassenen Ärzte behalten den Hut auf.
Aber: Die Entscheidung für die Vertragsärzte als federführende Akteure der Notfallversorgung verlängert die mit Beginn der Reformdebatte aufgebrochenen Konfliktlinien des Reformprojekts in das Gesetzgebungsverfahren hinein: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hat in einer ersten Reaktion am Donnerstag die Pläne des Ministeriums als „Affront“ gegeißelt.
Wesentliche Gründe der Reform sind im sich verändernden Inanspruchnahmeverhalten von Patienten zu suchen. Rund zehn Millionen Bundesbürger haben 2018 die Notfallambulanzen der Krankenhäuser aufgesucht, oft nur, um Bagatellen behandeln zu lassen. Kosten in Milliardenhöhe pro Jahr mussten die KVen dafür den Krankenhäusern überweisen. Rund neun Millionen Patienten suchten die Bereitschaftsdienstpraxen der Vertragsärzte auf, von denen nach Angaben der KVen um die 700 in Krankenhäusern oder in deren unmittelbarer Umgebung angesiedelt sind.
Die geplante Reform gliedert sich in drei Kernbereiche: Aufbau Integrierter Notfallzentren (INZ), ein Gemeinsames Notfallleitsystem (GNL) und Anerkennung des Rettungsdienstes als eigenständigem GKV-Leistungsbereich.
Integrierte Notfallzentren
INZ sollen „zentrale, rund um die Uhr zugängliche Einrichtungen der medizinischen Notfallversorgung“ werden, heißt es im aktuellem Gesetzentwurf. Sie sollen „an dafür geeigneten Krankenhausstandorten“ eingerichtet und von den jeweiligen KVen gemeinsam mit den Krankenhäusern betrieben werden. Die aktuelle Reformvision sieht dabei eine „ fachliche Leitung“ durch die jeweilige KV vor.
In den INZ sollen der Notdienst der KVen und die Notfallambulanzen in den Krankenhäusern zusammengeführt werden. In dem von der KV „fachlich geleiteten“ INZ soll eine qualifizierte Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfes des Patienten nach dem Prinzip „ambulant vor stationär“ erfolgen. Von einem gemeinsamen Tresen von KV und Krankenhaus ist im aktuellen Entwurf nicht mehr die Rede.
Einen solchen vermisst die Vertretung der Krankenkassen im Entwurf. Einen gemeinsamen Tresen, „von dem aus die Patienten dann entweder in die Notaufnahme des Krankenhauses oder in eine vor Ort befindlich Arztpraxis weitergeleitet werden, sehen wir als näherliegende Lösung“, sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, am Donnerstag der „Ärzte Zeitung“.
In einem ersten Versuchsballon, den das Gesundheitsministerium im Sommer 2019 hatte steigen lassen, waren die Zuständigkeiten der Vertragsärzte noch stark beschnitten worden. Dort waren die INZ noch Einrichtungen, die gemeinsam von KVen und Krankenhäusern „errichtet und betrieben“ werden sollten. Der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung außerhalb der Sprechzeiten sollte an die Länder gehen. Die Ärzteseite hatte diese Beschneidung des Sicherstellungsauftrags kritisch gesehen. Als Auftragnehmer der Länder ambulante Notfallmedizin an Krankenhäusern zu erbringen, sei den Vertragsärzten nicht zuzumuten, wurde dieser Punkt etwa in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung diskutiert. Dem jetzt vorliegenden Referentenentwurf bescheinigt die KBV dagegen, dass dieser „viele richtige Schritte hin zu einer zukunftsfähigen Notfallversorgung“ enthalte. Dem Gesetzgeber sei die „wichtige Rolle“ des Bereitschaftsdienstes bewusst, die KVen hätten „gut funktionierende Strukturen aufgebaut“, erklärte der KBV-Vorstand am Donnerstag.
Auch in der Unionsfraktion kam die neue Formulierung gut an. Nur die KVen könnten niedergelassenen Ärzte zur Mitwirkung verpflichten, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß. Nachdenken solle man noch einmal darüber, ob INZ zu jeder Zeit erreichbar sein müssten.
In der Opposition wurde die Aufwertung der Stellung der Vertragsärzte im Notfallsystem kritisiert. Dass der Sicherstellungsauftrag nicht an die Länder gehe, sei nicht nachvollziehbar, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Kirsten Kappert-Gonther.
Was der GBA entscheidet
Nicht jede Portalpraxis im gegenwärtigen Netz dürfte automatisch zu einem INZ aufgewertet werden. Welche Einrichtung die Weihe enthält, soll der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) entscheiden. Das Gremium hat bereits Vorarbeiten geleistet und die Krankenhäuser nach ihren Fähigkeiten, an der Notfallversorgung teilzunehmen, vorsortiert. Das „gestufte System der Notfallstrukturen“, das 2018 vorgestellt wurde, sieht vor, dass 97 Krankenhäuser an der umfassenden Notfallversorgung teilnehmen können, 144 an einer erweiterten und 822 an der Basisnotfallversorgung.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) hat vor knapp zwei Jahren eine Marke von 300 bis 500 INZ vorgegeben. Dabei beruft sich das Institut der KBV auf Modellrechnungen des Gesundheitsökonomen Professor Reinhard Busse. Würden alle 1600 Krankenhäuser INZ aufbauen, müsste dem ZI zufolge jeder der rund 55 000 Hausärzte 21 Dienste im Jahr schieben.
Neues vom Sicherstellungsauftrag
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft moniert ein im Gesetzentwurf eingebautes Steuerungsinstrument als „Affront“ gegen die von den Kliniken erbrachten Leistungen für Hilfe suchende Menschen. Häuser ohne INZ, die gleichwohl Notfallpatienten versorgen, sollen Honorarabschläge von 50 Prozent hinnehmen. Für eine an diesem Haus betriebene Portalpraxis würde die Kürzung jedoch nicht gelten. Das sei eine „krankenhausdiskriminierende Logik“.
Der Sicherstellungsauftrag für Vertragsärzte wird mit dem Entwurf begrifflich modifiziert. Gefordert wird „eine vertragsärztliche Versorgung 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche in Fällen, in denen eine sofortige Behandlung aus medizinischen Gründen erforderlich ist“. So steht es im Gesetzentwurf. Das neue Stichwort lautet „ notdienstliche Versorgung“. Es soll eingeführt werden, um die Übergabe der Verantwortung für die INZ im Rahmen des vertragsärztlichen Sicherstellungsauftrags im Gesetz zu rechtfertigen. Auf die KVen komme eine „echte Herkulesaufgabe“ zu, bemerkte der Sprecher des Hartmannbunds, Michael Rauscher, dazu.
Das Gemeinsame Notfallleitsystem hat bereits erkennbare Strukturen mit der gemeinsamen Notfallnummer der KVen 116 117 und der 112 der Rettungsleitstellen. Geschaffen werden müssen noch die im Entwurf geforderten Lösungen für die Übertragung von Notfalldaten in Echtzeit.
Zeitplan und Kosten
Für alle Maßnahmen des Gesetzes soll der GBA entsprechende Vorgaben beschließen. Die Frist von 18 Monaten für die Umsetzung beginnt mit der Verkündung des Gesetzes. Danach haben die Landesausschüsse weitere sechs Monate Zeit, Zahl und Standorte für die INZ festzulegen. Mögliche Schlichtungsverfahren sollen die Umsetzung der Beschlüsse nicht hemmen dürfen. Das neue Notfallsystem wird also voraussichtlich frühestens im Laufe des Jahres 2022 greifen können.
Die Kostenrechnung bleibt vorerst vage. Das Ministerium geht von nicht „quantifizierbaren Mehrkosten“ für die Kassen aus, denen „nicht quantifizierbare Minderausgaben“ entgegenstehen dürften. (Mitarbeit: hom)