Ambulanter „Schutzwall“
Spahn lobt Einsatz von Ärzten in Corona-Pandemie
Dass Deutschland gut durch die Pandemie gekommen sei, habe viel mit der ambulanten Struktur zu tun, betonte Gesundheitsminister Spahn bei einer Online-Diskussion. Mit Blick auf Schutzausrüstung und Tests machten Ärzte ihm aber Handlungsbedarf klar.
Veröffentlicht:Berlin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Haus- und Fachärzte für ihren Einsatz in der Coronavirus-Pandemie gelobt. „Wir sind durch eine sehr herausfordernde Zeit gegangen“, sagte Spahn bei einer Online-Diskussion am Mittwochabend. Dass Deutschland bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sei, habe „viel mit unserer niedergelassenen Struktur zu tun“.
Es gebe nicht viele Länder auf der Welt, wo COVID-19-Patienten so viele Haus- und Fachärzte als erste Ansprechpartner zur Verfügung gestanden hätten wie in Deutschland, sagte Spahn. „In anderen Ländern sind auch die Patienten mit milden Symptomen in die Kliniken gegangen.“
Das habe das Infektionsgeschehen dort massiv erhöht und die Häuser teilweise überfordert. „Bei uns sind sechs von sieben COVID-19-Patienten ambulant behandelt worden.“ Das sei „eine der Stärken des Systems“.
„Pandemie ist noch nicht vorbei“
Niedergelassene Ärzte hätten sich als „erster Schutzwall“ auch in der Pandemie bewährt, unterstrich Spahn. Der Fokus der Bundesregierung liege daher nicht nur darauf, was die Krankenhäuser in der Krise getan hätten. „Ich weiß auch, was in den Praxen geleistet worden ist und bis heute geleistet wird.“ Die Pandemie sei noch nicht vorbei. „Das Trennen der Patientenströme kostet jeden Tag noch einmal besondere Aufmerksamkeit.“
Neben einer Prise Glück hätten Haus- und Fachärzte den Unterschied in der Corona-Krise gemacht, betonte auch der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen. „Der ambulante Schutzwall hat an der Stelle funktioniert.“
Deutschland habe es so geschafft, dass sein Gesundheitssystem weder im ambulanten noch im stationären Bereich „zu keinem Zeitpunkt grenzwertig gefordert“ gewesen sei, sagte Gassen. „Das ist nicht nur Glück, sondern auch ein Strukturvorteil, den es so zu erhalten gilt.“
Gassen: Schutzausrüstung ist unsere Achillesferse
Ob eine zweite Coronavirus-Welle komme, sei reine „Kaffeesatzleserei“, sagte der KBV-Chef. Einzelne Hotspots machten aber deutlich, dass das Thema noch nicht durch sei.
Es habe aber auch Probleme gegeben, kritisierte Gassen. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) etwa sei für eine Krise wie Corona personell nicht ausgerüstet gewesen. Das müsse besser werden. Auch Engpässe bei der persönlichen Schutzausrüstung in Arztpraxen seien noch nicht komplett beseitigt. „Das war eigentlich unsere Achillesferse in der ganzen Krise.“
Das sei eine der Lehren, die aus der Pandemie zu ziehen sei. „Insgesamt haben wir aber eine sehr gute Leistung abgeliefert“, so Gassen. Fehlende Schutzausrüstung für das Praxispersonal sei „tatsächlich ein großes Problem“ gewesen, pflichtete der Chef des Virchowbundes, Dr. Dirk Heinrich, bei. Mit Blick auf eine mögliche zweite Pandemie-Welle komme es darauf an, einen nationalen Vorrat an Schutzmaterialien und Desinfektionsmitteln zu sichern.
COVID-19-Versorgung und Normalbetrieb sicherstellen
Ziel müsse sein, sowohl die Versorgung von COVID-19-Patienten als auch die Regelversorgung chronisch kranker Menschen sicherzustellen, so Heinrich. „Wir stellen ja jetzt fest, dass einiges unterblieben ist.“ Viele Patienten seien nicht in die Praxen gekommen. Dies berge die Gefahr, dass Erkrankungen zu spät erkannt würden. „Das muss uns beim nächsten Mal besser gelingen.“
Sorge mache ihm auch, dass jetzt „alle möglichen Menschen“ auf SARS-CoV-2 getestet werden sollten, sagte Heinrich. „Es zeichnet sich schon ab, dass wir einen Wust an Formularen und unterschiedlichste Abrechnungswege bekommen.“ Politik und KBV hätten hier für „möglichst simple Lösungen“ zu sorgen, appellierte Heinrich. „‘Keep it simple‘ ist das Motto an der Stelle.“
Gesundheitsämter besser aufstellen
Spahn betonte, die knapp 400 Gesundheitsämter in Deutschland seien auf eine Krise wie Corona nicht ausgelegt gewesen. Schon in normalen Zeiten hätte dort Personal gefehlt. Bis zum Ende der Sommerpause wollten Bund und Länder darüber reden, wie die Gesundheitsämter personell und technisch besser auszustatten seien. „Wir arbeiten dran.“ Insgesamt gehe das besser.
Die Digitalisierung sei dabei ein wichtiger Hebel, machte Spahn deutlich. Mit dem in der vergangenen Woche verabschiedeten Patientendatenschutz-Gesetz (PDSG) sei ein erster Schritt in diese Richtung getan worden.
Corona als Turbo für digitale Anwendungen
Corona habe als Turbo für die Akzeptanz der Digitalisierung gewirkt, zeigte sich Spahn überzeugt. „Ich wünsche mir, dass wir die Digitalisierung gemeinsam vorantreiben.“ Digitale Anwendungen und auch Telemedizin machten einen Unterschied für eine bessere Versorgung. „Das haben wir in den letzten Wochen erlebt.“ Sein Eindruck sei, dass viele – auch Ärzte – bemerkt hätten, „es geht“.
Mit Blick auf fehlende Schutzausrüstung sagte Spahn, Ziel der Bundesregierung sei es, unabhängiger vom asiatischen Markt zu werden. Das Versprechen, dass sich bei einer möglichen zweiten Coronavirus-Welle alles in ausreichendem Maße bereitstellen lasse, könne er aber nicht geben. Gleichwohl sei er „optimistisch“, dass Deutschland gut durch den bevorstehenden Herbst und Winter komme.