Entmachtung der Länder
Spahn will volle Befugnisse für sein Ministerium
Der Infektionsschutz in Deutschland ist Ländersache. Das will Jens Spahn ändern. Er fordert deutlich mehr Macht für sein Ministerium. Die Änderungen wären gravierend.
Veröffentlicht:Berlin. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will deutlich mehr Befugnisse für sein Ministerium (BMG) im Falle von Epidemien wie dem jetzigen Ausbruch des neuen Coronavirus SARS-CoV-2. Das geht aus einem Entwurf für ein „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ hervor. Der Gesetzentwurf liegt der „Ärzte Zeitung“ vor.
Nach den Plänen für eine Reform des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) soll das BMG künftig befugt sein, allerhand Rechtsverordnungen sowie Richtlinien der gemeinsamen Selbstverwaltung zu ändern. Nichtärztlichen Heilberufen soll die Ausübung der Heilkunde erlaubt werden.
Per Anordnung könnte das BMG sogar Grundrechte einschränken. So könnten Verdachtspatienten verpflichtet werden, Auskunft über ihre Reiseroute zu geben, ein Impfattest vorzulegen oder sich ärztlich untersuchen zu lassen. Telefonanbieter könnten verpflichtet werden können, Handydaten von Verdachtspatienten herauszugeben. Das Gesundheitsministerium wäre sogar ermächtigt, den grenzüberschreitenden Reiseverkehr einzustellen.
Über die Plane hatte am Samstag zuerst die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (F.A.Z.) in ihrer Onlineausgabe berichtet. Das Bundeskabinett könnte den Entwurf schon diesen Montag in den Bundestag einbringen, der ihn noch in derselben Woche beschließen könnte. Im Bundesrat könnten die Länder das Gesetz in ihrer Sondersitzung am 27. März billigen.
Der Deutsche Landkreistag bezeichnete die Reformpläne am Sonntag als „zu weitgehend“. Landkreistagspräsident Reinhard Sager kritisierte die „pauschale Ermächtigung des Bundes“, die die Fähigkeit der Bundesländer und Kreise „stark einschränken“ werde, „bezogen auf die jeweilige örtliche Lage angemessen zu reagieren“. Die Befugnis des Bundes von Einzelweisungen gegenüber den Ländern sei ein „tiefgehender Eingriff“.
Zahlreiche Ermächtigungen geplant
Die Pläne der Fachleute aus Spahns Ministerium sehen insbesondere eine Neuformulierung des Paragrafen 5 IfSG vor. In seiner heutigen Fassung mit knapp 800 Zeichen regelt er ausschließlich eine „allgemeine Verwaltungsvorschrift ... zur gegenseitigen Information von Bund und Ländern“. Im Reformentwurf würde der Paragraf auf stolzen 12.600 Zeichen Gesetzestext zahlreiche Ermächtigungen für das Bundesgesundheitsministerium vorsehen.
Hintergrund ist die föderale Zuständigkeit: Obwohl der Infektionsschutz bundesweit geregelt ist, sind für die Umsetzung die Bundesländer und die Kommunen und Landkreise verantwortlich.
Verordnungsermächtigungen für das BMG kennt das IfSG auch heute schon, jedoch ist jeweils die Zustimmung der Länderkammer nötig. Echte Exekutivgewalt hat das BMG derzeit kaum. Selbst die Möglichkeiten dessen nachgeordneter Bundesoberbehörden wie etwa dem Robert Koch-Institut (RKI) sind begrenzt.
Die geplanten Neuregelungen im Detail:
Die Bundesregierung kann eine Epidemie feststellen, genauer: eine „ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit“. Diese soll vorliegen, wenn die WHO eine internationale Notlage (PHEIC) ausgerufen hat – wie Ende Januar geschehen – „und eine Einschleppung schwerwiegender übertragbarer Krankheiten“ droht, oder wenn „eine bundesländerübergreifende Ausbreitung“ einer solchen Krankheit droht.
Diese Maßgaben wären im Moment schon erfüllt. Nach dieser Feststellung durch die Regierung würde das BMG zahlreiche Befugnisse erhalten, für die die Bundesländer nicht zustimmen müssten. Die Ermächtigungen erlöschen allerdings, sobald die epidemische Lage beendet ist.
Das BMG könnte Ärzte, Gesundheitsberufe und Medizinstudenten verpflichten, „bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten mitzuwirken“. Auch könnte es „Gesundheitseinrichtungen“, wozu Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und Kliniken zählen, zur Vorhaltung bestimmter „Kapazitäten“ verpflichten.
Das BMG wäre ermächtigt, alle Regelungen der gemeinsamen Selbstverwaltung oder des Gemeinsamen Bundesausschuss zu (GBA) zu ändern oder auszusetzen. Davon betroffen wären auch der Bundesmantelvertrag - Ärzte (BMV-Ä) und die GBA-Richtlinien. Dasselbe gilt für die pflegerischen Vorgaben nach dem SGV XI. Auch die Approbationsordnung für Ärzte dürfte das BMG ändern.
Gesundheitsberufe sollen die Heilkunde ausüben dürfen während einer Notlage. Dazu zählen laut Entwurf Altenpflege-, Gesundheits-, Kranken und Kinderkrankenpflegekräfte, Notfallsanitäter und Pflegefachkräfte. Sie sollen die Heilkunde ausüben dürfen, wenn sie auf „Grundlage der in der jeweiligen Ausbildung erworbenen Kompetenzen und ihrer persönlichen Fähigkeiten in der Lage“ dazu sind und das Patientenwohl gewährleistet ist. Ihre Maßnahmen müssten sie „unverzüglich“ dem behandelnden Arzt mitteilen.
Im Arzneimittel-, Betäubungsmittel-, Medizinprodukte- und Apothekenrecht könnte das BMG Ausnahmen per Verordnung erlassen, wenn dadurch die Versorgung sichergestellt wird. So könnte das Ministerium Export- oder Verkaufsverbote etwa für Schutzausrüstung erlassen. Es könnte die Herstellungserlaubnis etwa von Desinfektionsmitteln lockern. Die Beschlagnahmung solcher Güter könnte das BMG anordnen, das Aussetzen von Patenten, ebenso wie die zentrale Beschaffung und Verteilung regeln oder die Schließung oder Errichtung von Produktionsstätten für diese Produkte. Außerdem könnte das BMG die Regeln zur „Preisbildung, Erstattung sowie Vergütung“ abändern.
Einreisende könnte das BMG verpflichten, so sie als Risiko für eine Infektionserkrankung gelten, ihre Identität, Reiseroute und Kontaktdaten zu nennen. Auch könnten von ihnen Impfbescheinigungen und ärztliche Atteste verlangt werden. Und das BMG könnte ärztliche Untersuchungen bei ihnen anordnen lassen.
Reiseunternehmen und -veranstalter könnte das BMG verpflichten, Reisen abzusagen, Passagierdaten zu speichern und Passagierlisten und Sitzpläne zu erstellen, krankheitsverdächtige Personen zu melden, erkrankte Personen etwa in Krankenhäuser zu transportieren.
Ausnahmen des IfSG dürfte das BMG durch eine eigene Rechtsverordnung erlassen. Auch dürfte das Ministerium weitere Entschädigungsregelungen anordnen, wobei der Bund dann die Kosten zu tragen hätte.
Handyortungen könnten zur Verfolgung von Kontaktpersonen eingesetzt werden. Telefonanbieter wären demnach verpflichtet, die nötigen Verkehrsdaten herauszugeben.
Das RKI soll besser ausgestattet und aufgewerter werden. Während einer epidemischen Lage soll das RKI die Arbeit der Landesbehörden koordinieren. Bis Ende März 2021 soll das Bundesgesundheitsministerium dem Bundestag über Erkenntnisse aus der SARS-CoV-2-Pandemie zusammen mit Vorschlägen zur „gesetzlichen, infrastrukturellen und personellen Stärkung des Robert Koch-Instituts sowie gegebenenfalls zusätzlicher Behörden“ vorlegen.