Gesetzesinitiative
Suizidassistenz: „Entscheidungsfähigkeit festzustellen ist nicht trivial“
Seit mehr als zwei Jahren ist die Suizidassistenz in Deutschland ungeregelt. Jetzt macht sich der Bundestag erneut auf den Weg, eine verfassungskonforme Kompromisslösung zu finden. Bis zu einer Entscheidung bleiben die Regelungslücken offen.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Außer der allgemeinen Impfpflicht behandelt der Bundestag derzeit ein weiteres Thema in fraktionsoffenen Gesetzentwürfen: die Suizidassistenz und die dafür notwendige Änderung des Betäubungsmittelgesetzes. In dieser Woche haben Abgeordnete von FDP, SPD, Grünen und Linke einen gemeinsamen Entwurf dazu vorgestellt. „Wir schlagen in einem umfassenden Suizidhilfegesetz einen für die Bürger verständlichen Rechtsrahmen vor“, kündigte Initiatorin Kathrin Helling-Plahr (FDP) bei einer Diskussionsveranstaltung an.
Der Entwurf stellt den „autonomen und freien Willen“ einer suizidwilligen Person in den Mittelpunkt. Nur sofern der vorliege, könne eine Person ein tödlich wirksames Medikament erhalten. Dem voraus solle eine „kostenfreie, umfassende und ergebnisoffene Beratung“ gehen. Die Medikamente verschreiben dürfen sollen wiederum nur Ärztinnen und Ärzte. Die Verordner sollen die Suizidwilligen in diesem Zusammenhang über die medizinischen Aspekte des Vorgangs einerseits, aber auch zu Alternativen aufklären.
Ärzte knüpfen Hilfe oft an infauste Prognose
Die Diskussion zeigte, dass es weiter offene Fragen gibt. „Die Entscheidungsfähigkeit festzustellen ist nicht trivial“, sagte der Internist und Ethiker Professor Jan Schildmann. Er problematisierte insbesondere die Situation, wenn Menschen an keiner lebenszeitbegrenzenden Krankheit litten. Für Ärzte sei eine infauste Prognose oft die Voraussetzung für eine mögliche Assistenz. Es sei eine Aufgabe der Ärzte, die Selbstbestimmungsfähigkeit zu prüfen, sagte Schildmann. Im klinischen Kontext könne sich das als schwierig darstellen.
Diplom-Psychologin Gita Neumann, Medizinethikerin beim Humanistischen Verband, gab zu bedenken, dass auch psychisch Erkrankte entscheidungsfähig seien. „Entgegen weit verbreiteter Laienmeinung etwa seien beispielsweise auch viele psychisch kranke Menschen durchaus entscheidungsfähig“, stellte sie klar.
Professor Helmut Frister, Jurist und Mitglied des Deutschen Ethikrates, kündigte an, dass die Frage der Entscheidungsfähigkeit ein Schwerpunkt der Stellungnahme des Ethikrates dazu sein werde, die im Herbst erscheinen solle. Seine persönliche Meinung sei, dass das Letztentscheidungsrecht des betroffenen Menschen respektiert werden solle.
Der Anwalt und Vorsitzende des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, Professor Christoph Knauer, verwies auf die doppelte Absicherung durch die Beratungsstellen einerseits und die verschreibenden Ärzte andererseits. Wenn ein Arzt einen Patienten nicht für fähig halte, alle Alternativen abzuwägen, werde er die tödlichen Medikamente nicht verschreiben.
Die regulierte Suizidhilfe diene zudem dem Zurückdrängen von „Brutalsuiziden“, zum Beispiel auf Eisenbahngleisen. Knauer attestierte dem Entwurf der Gruppe, bislang am nächsten bei den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zum assistierten Suizid zu liegen.
Ärztetag hat BVG-Urteil bereits in die MBO integriert
Am 26. Februar 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht die von der Großen Koalition eingeführte Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung abgeräumt und für nicht mit der Verfassung vereinbar erklärt. Es Betroffenen, und zwar nicht nur Menschen mit infauster Prognose, unmöglich zu machen, in Deutschland Medikamente zur Selbsttötung zu beziehen, sei mit dem Selbstbestimmungsrecht unvereinbar, so der Richterspruch. Gleichzeitig zeigte das Gericht dem Gesetzgeber einen Regelungsspielraum auf, zum Beispiel bei Beratungsangeboten.
Die Bundesärztekammer reagierte auf das Urteil beim Deutschen Ärztetag im Mai vergangenen Jahres. Die Delegierten änderten mit einer Mehrheit von 90 Prozent die Musterberufsordnung. Dass Ärzte keine Beihilfe zur Selbsttötung leisten dürfen, wurde aus dem Regelwerk gestrichen.
Bundestag nimmt neuen Anlauf zur Gesetzgebung
Bereits im Januar hatte eine Gruppe von Abgeordneten der SPD, CDU, FDP, Grünen und Linken einen Entwurf zur Suizidassistenz vorgelegt. Der lässt die vom Verfassungsgericht verworfene Strafbarkeit geschäftsmäßiger Suizidassistenz allerdings wieder aufleben. Die nun vorgelegten Entwürfe waren bereits in der vergangenen Legislaturperiode diskutiert worden. Insgesamt lagen vier Vorschläge auf dem Tisch.
Weil der Bundestag vor Ende der Wahlperiode keinen Beschluss dazu gefasst hatte, muss sich nun der neue Bundestag zu dem Thema verhalten. Die Abgeordneten können sich hinter den vorgestellten Entwürfen neu versammeln.