Bätzing-Lichtenthäler im Interview

"Telematik hat mit Big Brother nichts zu tun"

An einem Tag Bundestagsabgeordnete, am nächsten Ministerin in Rheinland-Pfalz und kurz darauf Vorsitzende der GMK: Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist flexibel. Das kann ihr bei den vielen gesundheitspolitischen Problemen in Bund und Land nur helfen.

Christiane BadenbergVon Christiane Badenberg Veröffentlicht:

Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD)

'Telematik hat mit Big Brother nichts zu tun'

© MSAGD

Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie seit dem 13. November 2014 in Rheinland-Pfalz.

Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferez seit dem 1. Januar 2015

Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen von September 2002 bis November 2014

Drogenbeauftragte der Bundesregierung von Dezember 2005 bis Oktober 2009

Die 40-Jährige lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Forst im Westerwald.

Ärzte Zeitung: Frau Bätzing-Lichtenthäler, Sie waren am 12. November 2014 noch Bundestagsabgeordnete in Berlin und einen Tag später bereits Gesundheits- und Sozialministerin in Mainz. Wie ist es, wenn man als fast Fachfremder plötzlich einem Haus vorsteht, in dem sich die geballte Fachkompetenz sammelt und man sofort auf alle Fragen eine Antwort haben soll?

Sabine Bätzing-Lichtenthäler: Ulla Schmidt wurde als Gesundheitsministerin immer vorgeworfen, dass sie keine Medizinerin sei. Macht irgendjemand einem Krimiautor den Vorwurf, dass er noch niemanden erschossen hat? Der kann doch trotzdem gute Krimis schreiben.

Aber im Ernst: Vom ersten Tag an habe ich hier im Haus vollen Rückhalt erfahren. Den Kolleginnen und Kollegen war klar, dass ich nicht gleich in allem fit sein konnte. Am Anfang lief es nach dem Motto "spring rein und schwimm."

Am 13. November startete mein erster offizieller Arbeitstag mit dem ersten rheinland-pfälzischen Demografiekongress. Das war super. Demografiepolitik hatte ich viereinhalb Jahre gemacht, da habe ich gedacht, so kann das beginnen. Und im Übrigen bedeutet Politik organisieren. Und das habe ich zwölf Jahre lang hauptamtlich gelernt.

Jetzt zu einem für das Flächenland Rheinland-Pfalz hochrelevanten Thema: Ärztemangel. 75 Prozent der Bewohner leben in Landkreisen, Sie selbst im Westerwald. Wie sieht Ihr Plan aus, die flächendeckende Versorgung dauerhaft sicherzustellen?

Bätzing-Lichtenthäler: In Rheinland-Pfalz haben wir bis jetzt keinen unterversorgten Bereich. Das ist erst einmal die positive Nachricht. Wenn wir uns aber das Durchschnittsalter vor allem der Hausärztinnen und Hausärzte anschauen, dann ist das ein Punkt, bei dem wir sagen: Hier muss etwas passieren. Beim Hausarztthema spielt der Bund natürlich eine ganz große Rolle. Das fängt an mit der Zulassung zum Studium und setzt sich fort mit PJ und Weiterbildung.

Als Land setzen wir bereits an verschiedenen Stellen an: Wir haben zum einen unser Zukunftsprogramm "Gesundheit und Pflege - 2020", bei dem die Hausärzteversorgung eine wichtige Rolle spielt. Wir fördern die Niederlassungen von Hausärzten in ländlichen Gebieten finanziell. Und wir fördern das PJ Allgemeinmedizin für Medizinstudentinnen und -studenten.

Mit unseren "Zukunftswerkstätten" gehen wir gezielt in die Kommunen und entwickeln gemeinsam mit den lokalen Akteuren des Gesundheitswesens und unter Mitwirkung der Kassenärztlichen Vereinigung geeignete Ideen, Maßnahmen und konkrete Umsetzungsschritte zur Sicherung der ärztlichen Grundversorgung zu entwickeln.

Wir wollen keine Blaupause über das Land legen. Das würde nicht funktionieren. Dafür sind wir viel zu heterogen. Aber gute Ansätze und Lösungen können anderen Regionen später vielleicht als Beispiel dienen.

Welche Rolle spielt bei der Suche nach Lösungen die Telematik?

Bätzing-Lichtenthäler: Das ist ein weiterer Punkt, den wir im Januar mit der Übernahme des GMK-Vorsitzes angegangen sind. Wir wollen den Einsatz telematischer Lösungen voranbringen. Nicht so sehr nach dem Motto: Entweder Arzt oder Telematik. Das wäre nicht gut, da spüre ich gerade im ländlichen Bereich oftmals große Zurückhaltung, wenn nicht sogar Angst.

Es geht uns vielmehr um eine Ergänzung des Angebots in der Versorgung, um eine Entlastung der Ärztinnen und Ärzte und der Patientinnen und Patienten.

Was heißt das konkret?

Bätzing-Lichtenthäler: Bei unserem Projekt E.H.e.R. ging es beispielsweise um eine flächendeckende, telemedizinisch unterstützte Versorgung für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. Da wurden täglich die Vitaldaten von Patienten mit diesen Krankheitsbildern abgefragt, via Internet an das beteiligte Klinikum gesandt und dort gecheckt. Nur bei einem Ausreißer nach oben oder unten, mussten die Patienten vorstellig werden.

Im Ergebnis bedeutet das für die Patientinnen und Patienten Entlastung, weil sie nicht jeden Tag in die Klinik fahren müssen, und es ist für die Ärzte eine Entlastung, weil sie nur mit dem Patienten arbeiten, wenn es medizinisch angezeigt ist. Ein weiterer Punkt, der sehr positiv war: Das Projekt hat sich gut auf die Krankheitsverläufe der Patienten ausgewirkt, denn es war eine tägliche Kontrolle gewährleistet.

Als ihr Vorgänger Alexander Schweitzer sein Amt angetreten hat, knirschte es erst einmal im Verhältnis zu den Ärzten im Land. Wie ist es jetzt um das Klima zwischen Ministerium Kammer und KV bestellt?

Bätzing-Lichtenthäler: Das Klima ist konstruktiv. Aber ich glaube, wir müssen uns noch mehr an einen Tisch setzen, wir haben ja schließlich das gleiche Ziel.

Die KV will die ärztliche Versorgung sicherstellen, was ja auch ihr originärer Auftrag ist. Im Grunde ist das gar nicht Auftrag der Politik. Aber als Landesregierung wollen wir uns auch darum kümmern, weil wir es selbstverständlich als Verpflichtung ansehen.

In Rheinland-Pfalz arbeiten immer mehr ausländische Ärzte. Tendenz steigend. Haben Sie ein Konzept, wie man diese Ärzte integrieren kann?

Bätzing-Lichtenthäler: Die Standorte, an denen jetzt mehr Ärzte mit Migrationshintergrund arbeiten, müssen immer mehr dazu übergehen, den Ärztinnen und Ärzten ein Komplettangebot zu machen. Wie jeder Ort, der unter Ärztemangel leidet.

Das bedeutet, dem Arzt zu sagen: Du kannst hier ein schönes Häuschen kaufen oder eine hübsche Wohnung bekommen. Hier können deine Kinder in die Kita gehen. Hier ist ein Verein.

Das gilt für die Ärztinnen und Ärzte, die hier studiert haben genauso wie für diejenigen mit ausländischem Hintergrund. Wenn ich es schaffen will, dass sie nicht nur zum Arbeiten ins Krankenhaus gehen, sondern sich auch im Gemeinwesen engagieren, dann muss ich ihnen was anbieten. Sie nur als Notstopfen zu nehmen, damit wir noch einen Arzt haben, das reicht nicht.

Ein Thema bei dem Rheinland-Pfalz führend ist, ist die Pflegekammer. Warum setzen Sie so auf die Aufwertung der Pflegeberufe?

Bätzing-Lichtenthäler: Wir waren ja auch nicht sofort dabei, wenn man sich die Historie anschaut. Aber ich finde, die jetzige Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist als meine Vorvorgängerin genau den richtigen Weg gegangen. Sie hat nicht gesagt: So, wir entscheiden das jetzt politisch - denn es gibt ja durchaus pro und contra.

Sie hat gesagt, wir fragen die Pflegenden, was sie wollen. Es gab einen großen Informationsprozess, bei denen die Skeptiker auch immer Gehör fanden. Dann hat man die Befragung durchgeführt und 75 Prozent der Teilnehmenden haben gesagt: Wir wollen die Kammer.

Rheinland-Pfalz setzt sehr auf die Stärkung der Pflegekräfte. Es gab Modellprojekte zur Übertragung ärztlicher Aufgaben. Ärzte sehen das oft sehr kritisch. Verstehen Sie das?

Bätzing-Lichtenthäler: Die Skepsis kann ich schon verstehen unter dem Aspekt: Nimmt man mir was weg? Aber ich glaube, die sogenannten "Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis", die wir auch als VERAHS bezeichnen, haben gezeigt, dass ihr Einsatz vor allem eine Entlastung für die Ärzte ist, die sich mehr auf andere Dinge konzentrieren können.

Das Modell ist ein Erfolg, jetzt hat es der Bund es mit den "Nichtärztlichen Praxisassistentinnen" (NäPas) übernommen. Und Ärzte haben durchaus gemerkt: Das bringt uns was. Manchmal muss man Dinge einfach ausprobieren um zu sehen, dass es funktioniert. Dann kommt auch die Akzeptanz.

Ein zentrales Thema in der Gesundheitspolitik ist die Zukunft der Krankenhäuser. Immer wieder wird den Ländern vorgeworfen, die Investitionskosten nicht in ausreichendem Maße zu tragen. In Rheinland-Pfalz stagnieren die Investitionen in diesem Jahr. Sehen Sie eine Chance, die Mittel wieder zu steigern?

Bätzing-Lichtenthäler: Wir sind erst einmal froh, dass wir unser Investitionsprogramm auch vor den finanziell engen Rahmenbedingungen in gleicher Höhe fortsetzen können. Das Land unternimmt große Anstrengungen, um die Krankenhäuser auf einem guten Stand zu halten. Wie das in Zukunft weitergehen soll? Da ist auch der Bund mit im Boot, beispielsweise mit dem 500 Millionen Euro Strukturfonds, der kommen wird.

Der hat zum Ziel, die zukünftige Ausrichtung festzulegen. Für Rheinland-Pfalz stehen da ungefähr 25 Millionen Euro zur Verfügung, die wir, wenn wir sie komplett verausgaben, auch in dieser Höhe kofinanzieren müssen.

Es ist eine Chance, den Krankenhäusern für die Strukturveränderungen etwas mit auf den Weg zu geben. Außerdem werden wir uns weiter darauf konzentrieren, Schwerpunkte zu bilden. Die Länder sind zuständig für die Pauschal- und die Einzelförderung von Krankenhäusern.

In diesem Jahr haben wir rund 60 Millionen Euro in die Einzelförderung gegeben und haben über diese Finanzierung die Möglichkeit der Steuerung. Wir haben zuletzt einen Schwerpunkt auf die Bettensituation, auf die OP-Abteilungen sowie auf die psychiatrischen Bereiche gelegt.

Wenn wir jetzt wieder zurückkehren würden zu einer monistischen Finanzierung, wie es sie vor 1972 gab, dann hätten wir als Länder keine Steuerungsmöglichkeit mehr. Was den so genannten Investitionsstau angeht, der mit extremen Summen beschrien wird: Diese Summen sind weder der Höhe noch dem Bedarf nach geprüft.

Sie lehnen also mehr Einfluss des Bundes und der Krankenkassen auf die Krankenhausplanung ab?

Bätzing-Lichtenthäler: Dazu sind die Länder zu heterogen. Wir haben eine bestimmte Krankenhauslandschaft in Rheinland-Pfalz, die wir zumindest von der Struktur her auch so erhalten möchten. Dazu müssen wir Steuerungsmöglichkeiten haben.

Bei der Klinikreform ist Qualität das große Thema. Rheinland-Pfalz hat gemeinsam mit Schleswig-Holstein kürzlich eine Bundesratsinitiative gestartet. Screening auf gefährliche Keime soll den Kliniken besser vergütet werden. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten für Ihren Vorstoß?

Bätzing-Lichtenthäler: Die Länder sind sich durchaus einig, dass wir eine Regelung zur Finanzierung treffen müssen. Dass Bundesgesundheitsminister Gröhe jetzt seinen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt hat, passt da gut in die Landschaft.

Wir sehen das Thema als so wichtig an, dass wir es auf die Tagesordnung für die GMK im Juli gesetzt haben. Wir haben im Moment eine Stimmung, in der es gut ist, dieses Thema bundesweit zu bearbeiten.

Rheinland-Pfalz führt in diesem Jahr den Vorsitz in der Gesundheitsministerkonferenz. Was sind für Sie Themenschwerpunkte über die bereits genannten hinaus?

Bätzing-Lichtenthäler: Das Versorgungsstärkungsgesetz, das Präventionsgesetz, das E-Health-Gesetz. Die Fachkräftesicherung ist ein weiterer großer Schwerpunkt. Da sind wir wieder beim Thema Hausärzte, Pflegefachkräfte und Öffentlicher Gesundheitsdienst. Das zweite große Thema im GMK-Vorsitz ist Telematik.

Da nutzen wir auch den Rückenwind, den wir von Bundesminister Gröhe über das E-Health-Gesetz bekommen. Ich sehe in telemedizinischen Angeboten noch erhebliches Potenzial. Auf der diesjährigen Cebit habe ich viele spannende Ansätze und Produkte gesehen und mich darüber gefreut, welche beispielhaften Ideen auch aus Rheinland-Pfalz kommen.

Können Sie ein Beispiel nennen, welche Art von Projekten Sie meinen?

Bätzing-Lichtenthäler: Da gibt es beispielsweise das Projekt SUSI TD. Das heißt "Sicherheit und Unterstützung von Senioren durch Integration von Technik und Dienstleitung".

Ziel war es, dass ältere Menschen solange wie möglich selbstbestimmt in der eigenen Wohnung leben können. Dazu wurde neue Sensor- und Kommunikationstechnik eingesetzt, verbunden mit einem vorbeugenden Beratungsangebot für ältere Menschen. Mit "Big Brother" hatte das natürlich nichts zu tun.

Es sind Sensoren, die zum Beispiel registrieren, dass ich regelmäßig koche. Mache ich das dann nicht mehr jeden Tag, ruft mich ein Mitarbeiter des Pflegestützpunktes an und fragt, Frau Bätzing, was ist denn bei ihnen los, geht es ihnen nicht gut. Dann sage ich: doch, aber ich war jetzt mal mit meiner Freundin mittags essen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Projekt haben fast geweint, als die Sensoren wieder abgebaut wurden. Sie konnten während der Modellphase nicht nur weiter in ihrer Wohnung bleiben, sondern hatten auch wieder mehr an Teilhabe.

Wir werten zurzeit den Abschlussbericht aus und entscheiden dann über mögliche weitere Schritte. Mich hat das Projekt sehr beeindruckt. So etwas geht eben auch auf dem Land und passt deshalb gut zu Rheinland-Pfalz.

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