Rolle als Mahner
Turbo-Spahn mal ganz nachdenklich
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn begründet auf dem DIVI-Kongress in Hamburg sein hohes Tempo bei Gesetzesvorhaben und wird dabei ganz grundsätzlich – und vor allem: gesellschaftskritisch.
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Man kennt ihn als Macher, aber neuerdings auch als nachdenklicher Gesellschaftskritiker?: Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister bei einer Pressekonferenz. (Archivbild)
© Britta Pedersen / dpa
Hamburg. Jeden Monat ein Gesetz: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) weiß, dass viele Akteure im Gesundheitswesen das von ihm vorgelegte Tempo bei Gesetzesänderungen skeptisch beobachten. Auf dem am Freitag zu Ende gehenden Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in Hamburg begründete Spahn die zahlreichen Gesetzesänderungen unter anderem mit gesellschaftlichen Entwicklungen – und zeigte sich dabei als nachdenklicher Beobachter mancher Strömung in Deutschland.
Spahn hatte in Hamburg wie berichtet angekündigt, dass sein Haus zusammen mit dem Justizministerium an verschärften Strafen für Übergriffe gegen Klinikbeschäftigte arbeitet. Damit will er zeigen, „dass wir das nicht akzeptieren“. Für diesen Part erhielt er von den Teilnehmern Zustimmung, die noch wuchs, als er das Thema mit der bloßen Ankündigung nicht abhakte, sondern fragte: „Haben wir als Gesellschaft nicht schon verloren, wenn wir das im Strafgesetzbuch abbilden müssen?“
Spahn nannte Beispiele aus Notaufnahmen, die ihn nachdenklich machen, etwa wenn Patienten mit harmlosen Erkrankungen nicht einsehen wollen, dass ein Herzinfarkt vorrangig behandelt werden muss. Seine Vermutung: „Das hat auch zu tun mit Polarisierung, mit einer zunehmenden Unfähigkeit zur Debatte.“ Eine andere Meinung zuzulassen, zu unterstellen, dass jemand anderes Recht haben könnte – diese Bereitschaft geht nach seiner Beobachtung zurück. Spahn vermisst sie in Gesellschaft wie auch in Politik und stellte klar: „Man kann einen guten Kompromiss und unterschiedliche Meinungen haben.“
Gegenargumente wertschätzen
Trotz Meinungsunterschieden miteinander zu sprechen, Zwischentöne zuzulassen, ein Gegenargument wertzuschätzen – diese Fähigkeit vermisst er an vielen Stellen. Eine Ursache dafür vermutet der Gesundheitsminister im Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik. Wenn grundlegende Bereiche wie die Gesundheitsversorgung nicht so funktionieren, wie sich die Bevölkerung dies wünscht, kann sich dieser Vertrauensverlust beschleunigen, befürchtet Spahn – und hat damit den Bogen geschlagen zu seinen zahlreichen Gesetzen. Er hofft, mit seinen Entscheidungen Vertrauen zurückzuerlangen.
Man kann einen guten Kompromiss und unterschiedliche Meinungen haben.
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister
Konkret in der Pflege: Hier glaubt Spahn, dass die Menschen den Mangel besonders spüren und appelliert an die Geduld. „Ich weiß, dass wir die Probleme nicht in drei bis sechs Monaten lösen können.“ Aber die ersten Schritte seien getan: Die Herauslösung der Pflegepersonalfinanzierung aus dem Fallpauschalensystem und die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland nannte er als Beispiele. Das allein wird nach seiner Ansicht nicht reichen. Unter Verweis auf den hohen Krankenstand in der Pflege nahm er das Management in den Krankenhäusern in die Pflicht, als er „Organisationsmodelle von 1990“ kritisierte: „Hoher Krankenstand ist auch eine Frage der Organisation.“
Auch die Digitalisierung diente ihm als Beispiel, bei dem er von den Akteuren mehr Engagement erwartet. „Das ist mir zu viel Last und zu wenig Lust“, fasste er seine Wahrnehmung über den Umgang der Gesundheitsakteure mit der Digitalisierung zusammen. Statt in der Diskussion zwischen Überwachungsstaat und Überwachungskapitalismus zu erstarren, forderte er, die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen in den Vordergrund zu stellen.
Zur Diskussion um die Fallpauschalen in den Krankenhäusern – insbesondere die Pädiatrie sieht sich hiermit wie berichtet nicht abgebildet – sagte Spahn: „Das Fallpauschalensystem ist nicht perfekt. Aber wer sie infrage stellt, muss Alternativen aufzeigen.“ Der bloße Verweis auf Daseinsvorsorge ist ihm zu wenig – das Motto „alles vorhalten und bezahlen“ sei nicht effizient.