Leitartikel zu Medizinfakultäten
Unruhe im Elfenbeinturm
Die 36 Medizinfakultäten sehen sich ständig mit neuen Forderungen aus der Politik konfrontiert - und dabei erhalten sie immer weniger finanzielle Förderung. Zum Fakultätentag werden die Dekane nun auch mit Studentenprotesten begrüßt.
Veröffentlicht:Spitzenmedizin, freie Forschung, einen Wissenschaftler auf Nobel-Preis-Niveau in den eigenen Reihen und nebenbei Nachwuchs-Mediziner ausbilden: Diese rosige Welt im Elfenbeinturm ist für viele Medizinfakultäten in Deutschland längst vorbei.
Wettbewerb um Drittmittel, Kämpfe um ein Kuchenstück aus den klammen Länderhaushalten und Vorwürfe über unzeitgemäße Medizinausbildung und schlechte Bedingungen - das sind die Themen, mit denen sich die 36 ehrwürdigen Fakultäten auseinander setzen müssen.
Ab Donnerstag (19. Juni) kommen die Dekane und Hochschullehrer zu ihrem 75. Medizinischen Fakultätentag in Frankfurt zusammen - und haben volles Diskussionprogramm.
Darüber hinaus werden die Professoren von einer Demonstration von Medizinstudenten empfangen, die, angeführt von den jungen Medizinern im Hartmannbund, für eine Aufwandsentschädigung im Praktischen Jahr und mehr Flexibilität im Studium protestieren wollen.
Kein Einfluss auf Entscheidung junger Menschen
Es ist unruhig im Elfenbeinturm der Wissenschaft mit der angeschlossenen Medizinerausbildung geworden. Die Fakultäten fühlen sich mit immer neuen Forderungen konfrontiert und sitzen bei allen Diskussionen zwischen den Stühlen: Bei jeder Landarzt-Diskussion richtet sich der Finger auch in ihre Richtung. Es werde am Bedarf vorbei ausgebildet, mehr Landärzte und weniger Neurochirurgen sollen ihr Studium abschließen.
Die künftigen Mediziner müssen im zarten Alter von 18 bis 20 Jahren intensiver auf ihre Eignung als Arzt getestet werden, die Eingangsprüfung muss natürlich transparent, nach den neuesten pädagogischen Forschungsstandards und dazu noch gerichtsfest sein.
Denn es zählt, was am Ende rauskommt: Mehr Ärzte, die sich fürs Arbeiten und Leben auf dem Land entscheiden. Die Medizinfakultäten müssen sich also an der individuellen Entscheidung von jungen Menschen messen lassen - worauf sie gar keinen Einfluss haben.
Mindestens einen Vorwurf müssen sich die Fakultäten aber gefallen lassen: Die meisten der 36 Standorte haben den Startschuss zur Einrichtung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin verpasst.
Sicherlich, ein ordentliches Berufungsverfahren für eine Professur mit entsprechenden Ausschreibungen und Gremiensitzungen dauert seine Zeit. Dennoch ist erstaunlich, wie viele weiterhin zögerlich agieren und lieber in das übliche Lamento über zu wenig Geld für die Hochschule verfallen.
Auf der Bremse standen die altehrwürdigen Fakultäten auch bei jeglicher Novellierung von Studienabschlüssen. Vor fünf Jahren wurde heiß diskutiert, wie das Medizinstudium in das Bachelor-Master-System integriert werden kann.
Die Fakultäten haben es geschafft, das Thema von der bildungspolitischen Agenda zu nehmen - gemeinsam mit der Jura- und Lehramtsausbildung bleibt für alle drei Fächer das Staatsexamen als Studienziel.
Doch die Arbeit der Funktionäre des Fakultätentages trug nur kurz Früchte: Denn durch die europaweite Anerkennung von Studienabschlüssen gibt es immer mehr Studiengänge an nicht-traditionellen Standorten von Medizinfakultäten, die in Kooperation mit einer ausländischen Universität ebenfalls eine Arztausbildung anbieten.
Wertschöpfungskraft stärker betonen
So kann nun auch in Kassel sowie in Nürnberg Medizin studiert werden - mit einem Bachelor- und Master-Abschluss. Dieses "Franchising" sorgt für Streit, gar ein Rechtsgutachten haben die Fakultäten in Auftrag gegeben.
Die beauftragten Gutachter bewerteten allerdings auch die "reguläre" Fakultät in Oldenburg, die mit der Universität Groningen zusammenarbeit, negativ. Das hat die Verantwortlichen der dortigen "European Medical School" auf die Palme gebracht. Auf eine Entschuldigung musten die Oldenburger lange warten.
Die Medizinfakultäten werden sich in Zeiten von klammen Länderhaushalten darauf einstellen müssen, Spielfiguren auf dem Schachbrett der Finanzpolitik zu werden. Die Fast-Schließung der Fakultät in Lübeck vor vier Jahren und die anhaltende unsichere Zukunft in Halle sollte das allen Fakultäten vor Augen geführt haben.
In der Diskussion mit Finanzpolitikern der Länder müssen sie ihr Pfund in die Waagschale werfen - und das ist nicht (nur) exzellente Forschung und Lehre, sondern die Wertschöpfungskraft der Fakultät für die Region. Entsprechende Studien gibt es bereits für Dresden, eine Analyse für Frankfurt am Main soll vorgestellt werden.
Unikliniken werden immer wieder ihre Position rechtfertigen müssen - und tun gut daran, ihren Wert für die Versorgung und die wirtschaftliche Entwicklung einer Region bereits zu artikulieren, bevor sie auf der Streichliste stehen.