Pilotprojekte gestartet
Versorgung von Menschen ohne Papiere
Die niedersächsische Landesregierung will in zwei Pilotprojekten in Göttingen und Hannover den anonymen Krankenschein für Menschen ohne Papiere erproben. Das soll vor allem die medizinische Versorgung von Flüchtlingen verbessern.
Veröffentlicht:HANNOVER. Funktioniert der anonyme Krankenschein ohne Papiere? Die niedersächsische Landesregierung hat zwei Pilotprojekte gestartet. Das Gesamtvolumen des Projektes von jährlich 500.000 Euro soll aus dem Haushalt des Gesundheitsministeriums gezahlt werden, bestätigte ein Sprecher des Ministeriums. Die KV Niedersachsen ist Projektpartnerin.
Die Angaben, wie viele untergetauchte Flüchtlinge ohne Papiere in Deutschland leben, schwanken sehr. Die niedersächsische Landesregierung geht von bundesweit 150.000 bis 415.000 Menschen aus. Zum Vergleich: Heidelberg hat etwa 150 000 Einwohner, Bochum 360 000.
"Die Zahl nicht gemeldeter Migrantinnen und Migranten dürfte in Niedersachsen also größer als 15.000 sein", sagt Uwe Hildebrandt, Sprecher der niedersächsischen Gesundheitsministerin Cornelia Rundt (SPD). Eine Faustregel besagt, dass Zahlenangaben aus Niedersachsen etwa ein Zehntel der Bundeszahlen darstellen.
"Situation ist nicht hinnehmbar"
Bremer Modell gibt den Weg vor
Bund und Länder haben sich im Dezember vergangenen Jahres darauf geeinigt, die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland zu verbessern.
Ziel ist ein Gesetzentwurf des Bundes, mit dem das sogenannte Bremer Modell auch in „interessierten Flächenländern“ eingeführt werden kann.
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben Flüchtlinge bisher nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen Anrecht auf eine Behandlung.
Der Kompromiss sieht vor, dass die Länder 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen erhalten. Die Hälfte der Summe, eine halbe Milliarde Euro, sollen die Länder binnen 20 Jahren an den Bund zurückzahlen.
Damit wären in Niedersachsen mindestens so viele Menschen ohne ärztliche Versorgung, wie in einer Kleinstadt leben. "Diese Situation ist in unserem Land mit einem außerordentlich gut entwickelten Gesundheitssystem nicht hinnehmbar", sagte Rundt in einer Rede 2014 vor dem Landtag.
Mit einem dreijährigen Modellprojekt will die Landesregierung nun papierlosen Menschen im Land "eine medizinische Notversorgung (zu) gewähren und ihnen gleichzeitig mögliche Wege in eine Regelversorgung hinein aufzeigen", wie Rundt sagte. Dazu sollen so genannte "Clearingstellen" eingerichtet werden.
Ihr Ziel ist, Flüchtlinge möglichst zu legalisieren, um sie dann in die medizinische Regelversorgung zu integrieren. Die Flüchtlinge sollen auch medizinisch beraten werden. Bei Bedarf sollen sie mit einem anonymen Krankenschein an kooperierende Ärzte und Kliniken geschickt werden. Das Projekt wird evaluiert, um es später landesweit umzusetzen.
Der anonyme Krankenschein soll zunächst bei der medizinischen Flüchtlingshilfe Göttingen und Hannover ausgegeben werden, so der Plan. "Es handelt sich um einen Krankenschein mit einem anonymisierten Code", sagt Dr. Sebastian Kratz von der medizinischen Flüchtlingshilfe Göttingen.
"Damit können die Betroffenen zu einem Arzt gehen. Er rechnet seine Leistungen dann über den Code mit der KV ab."
Ziel: Zugang zur Regelversorgung
Das Sozialministerium prüfe derzeit, "wie eine medizinische Behandlung für Menschen ohne Papiere unter Berücksichtigung des geltenden Rechts sichergestellt werden kann", so Hildebrandt.
"Dazu wurden bereits Gespräche mit der AOK Niedersachsen, der GKV, der KVN und den Medizinischen Flüchtlingshilfen Hannover und Göttingen geführt. Weitere Gespräche mit den Flüchtlingshilfen sind zeitnah in Planung." In trockenen Tüchern ist das Vorhaben also noch nicht.
Bisher gehen die untergetauchten "Papierlosen" praktisch nicht zum Arzt, weil sie fürchten, entdeckt und abgeschoben zu werden. Es gibt aber eine ganze Reihe von Ärzten, die den Flüchtlingen im Zweifel unentgeltlich helfen und die Behandlung letztlich selber zahlen, sagte Rundt.
In Niedersachsen müssen die Betroffenen sich vor ihrem Arztbesuch noch beim nächsten Sozialamt einen Krankenschein besorgen, was zu großen Umständen und zu Ungleichbehandlung führe, so das Sozialministerium.