Ärztehaus Büsum
Vorzeigeobjekt am Nordseestrand
Drohende Versorgungsnot macht erfinderisch: Die Praxen und Arztsitze im Ärztehaus Büsum gehören nicht mehr den Ärzten, sondern einer hundertprozentigen Tochter der Gemeinde. Ein bundesweit einmaliges Modell.
Veröffentlicht:BÜSUM. Wer geht wann in den Urlaub, wer kann in der Freitagnachmittag-Sprechstunde einspringen, wann zieht die nächste Praxis innerhalb des Hauses um?
Mit solchen und weiteren organisatorischen Fragen beschäftigen sich vier Ärzte und ein Manager im Wartebereich des Ärztehauses Büsum.
Es ist Mittwochmittag, die Sprechstunden sind gerade beendet. Früher wären die Ärzte nach der Sprechstunde nach Hause gefahren, jeder hätte seinen eigenen Praxisbetrieb geregelt. Und Mittwochnachmittag wäre frei gewesen.
Inzwischen hat sich einiges geändert im Büsumer Ärztehaus. Die Praxen und die Arztsitze gehören nicht mehr den Ärzten, sondern der Ärztezentrum Büsum gGmbH, einer hundertprozentigen Tochter der Gemeinde. Dies hat zuvor noch keine Kommune gewagt, Vorbilder gibt es nicht.
Flucht nach vorn
Die Ärzte sind seitdem nicht mehr selbstständig, sondern angestellt. Die Mitarbeiter sind bei der gleichen Gesellschaft beschäftigt und das Management des Hauses hat die Ärztegenossenschaft Nord übernommen.
Außerdem herrscht auch dann noch Hochbetrieb im Ärztehaus, wenn die Sprechstunden vorbei sind - denn der neue Träger lässt am gleichen Standort und bei laufendem Betrieb ein Gesundheitszentrum entstehen, das neben vier Arztpraxen auch noch eine Apotheke, eine Physiotherapiepraxis und das Kurmittelhaus integriert.
Keine Frage: das Nordseeheilbad Büsum hat die Flucht nach vorn angetreten. Die finanziell nicht gerade auf Rosen gebettete Gemeinde investiert einen siebenstelligen Betrag in die Immobilie, die bis zum vergangenen Jahr ein großes Sorgenkind war.
Das Ärztehaus in der Westerstraße ist zwar schon seit Jahrzehnten feste Anlaufstelle für einheimische Patienten und kranke Urlauber. Doch wie es weitergehen sollte, das wussten bis zum vergangenen Jahr weder die Ärzte selbst, noch die Patienten oder die Gemeinde.
Die vier praktizierenden Ärzte betrieben ihre Einzelpraxen unter einem Dach, aber unabgestimmt nebeneinander. Teamarbeit war nicht erforderlich - die Patienten wurden gut versorgt und die Praxen waren ausgelastet.
Büsum drohte der Notstand
"Man kam morgens und ging abends. Oft haben wir uns Tage lang gar nicht gesehen", sagt Internist Volker Staats. Er ist 59 Jahre alt und hat sich 1993 im Ärztehaus Büsum niedergelassen. Damit war er der letzte der vier Praxisinhaber, der kam.
Das Modell der Einzelpraxen lief über Jahrzehnte gut. Nur: Nachfolger hatten daran kein Interesse. Das Risiko der Selbstständigkeit, das Arbeiten ohne Kollegen, der Standort in der Peripherie - diese Kombination lockte keine jungen Ärzte nach Büsum.
Und weil alle vier Praxisinhaber absehbar innerhalb von höchstens zehn Jahren ausscheiden würden und es außer ihnen nur noch eine weitere Praxis im Ort gab, drohte Büsum demnächst zum ambulanten ärztlichen Notstandsgebiet zu werden - eine für die Patienten und die Gemeinde brisante Lage.
In dieser Situation verabschiedete die KV Schleswig-Holstein ein Förderprogramm, das Kommunen bei der Errichtung von Ärztezentren in kommunaler Trägerschaft finanziell unterstützt. Insgesamt profitierte das Pioniermodell mit rund einer Viertelmillion Euro an Fördermitteln der Körperschaft.
So wie im Raum Büsum gibt es an der schleswig-holsteinischen Westküste noch einige weitere Bereiche wie etwa um Husum, in denen in absehbarer Zeit die ambulante ärztliche Versorgung ausgedünnt sein könnte.
Für solche Regionen ist das Förderprogramm aufgelegt. Nach KV-Einschätzung kommen dafür wohl acht Regionen im Land in Frage, entschieden wird jeweils auf Antrag.
Bundesweit Vorreiter
In Büsum kamen mit der Ärztegenossenschaft und dem hausärztlichen Koordinator des Kreises Dithmarschen, Harald Stender, die richtigen Partner hinzu.
Gemeinsam mit der Gemeinde und den Ärzten bastelten sie ein Modell, mit dem Büsum nun bundesweit Vorreiter ist und das in vielen anderen Bundesländern aufmerksam beobachtet wird.
Stender wird in ganz Deutschland zu Vorträgen über das Modell Büsum gebucht, und die Ärztegenossenschaft Nord hätte schon Management-Aufträge in Thüringen und Bayern für vergleichbare geplante Modelle übernehmen können.
"Das ist wegen der Entfernung nicht machbar", sagt Geschäftsführer Thomas Rampoldt, der auch Geschäftsführer für das Ärztezentrum und jede Woche vor Ort ist.
So wie diesen Mittwoch, an dem die Besprechung mit den vier Ärzten mal wieder länger als geplant läuft. "Vieles läuft noch nicht rund, kann es aber auch gar nicht", sagt Rampoldt.
Es ist zu diesem Zeitpunkt erst wenige Monate her, seit die Kommune ihre Gesellschaft gegründet und die Arztsitze übernommen hat.
Bauarbeiter im Einsatz
Seitdem werden die Praxen im laufenden Betrieb umgebaut. In den ehemaligen Räumen von Dr. Georg Klemm haben die Handwerker begonnen, seine Praxis musste in Ersatzräume im Haus umziehen.
Inzwischen ist die nächste Praxis von den Bauarbeitern belegt. So geht es reihum, bis alle Praxen modernisiert sind. Zugleich wird erweitert für die neuen Mieter.
Trotz der schwierigen Bedingungen ist die Stimmung gut. "Es herrschte eine positive Grundstimmung vom ersten Tag an", sagt Rampoldt. Er hat das Gefühl, dass alle Beteiligten gewillt sind, das Modell zum Erfolg zu führen.
Zumindest finanziell ist das alles andere als selbstverständlich. Ob die Kommune mit ihrem Ärztezentrum Gewinn oder Verlust schreiben wird, weiß derzeit niemand.
Bislang kann Rampoldt nur sagen, dass sich der Patientenandrang gegenüber den Vorjahren nicht verändert hat. Und die gut ausgelasteten Ferienwohnungen in Büsum lassen darauf schließen, dass auch im Ärztehaus trotz Umbaus keine Langeweile aufkommen wird.
Davon sind Staats, Dr. Johann Tratzmiller, ihre Kollege Dr. Arno Lindemann und Dr. Viola Schmidt weit entfernt. "Wir arbeiten mehr als vorher", berichten Staats und Lindemann übereinstimmend. Bezahlt werden sie nach einer Kombination aus Festgehalt und leistungsabhängiger Vergütung.
Mit einer solchen "Profit-Center"-Regelung ist auch für finanzielle Motivation gesorgt, wenn es mal wieder länger wird im Ärztehaus. Das ist derzeit schon wegen der vielen Umstellungen kaum zu umgehen.
So wird etwa in allen Praxen ein einheitliches EDV-System installiert, bislang arbeitete jede Praxis mit einem eigenen System. Eine weitere Herausforderung sind die personellen Veränderungen.
Die früher in den Praxen beschäftigten drei Ehefrauen von Praxisinhabern sind nicht mehr Mitarbeiter im neuen Zentrum, derzeit sind acht MFA und eine von der Genossenschaft gestellte Praxismanagerin hier eingesetzt. "Die finden sich gut zusammen", sagt Rampoldt.
Eine völlig neue Erfahrung
Von den vier Praxisinhabern ist Dr. Georg Klemm zum Ende des zweiten Quartals aus Altersgründen ausgeschieden, für ihn ist mit Dr. Viola Schmidt eine jüngere Kollegin gekommen. Staats und Stender kannten die zuletzt in einer Rehaklinik beschäftigte Internistin und konnten sie vom Konzept überzeugen.
"Ich hätte mich nicht selbstständig in Büsum niedergelassen", betont Schmidt, die seit ersten Juli dabei ist. Das wirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis erscheint ihr zu hoch. Sie ist nicht die einzige Frau, die sich für das Modell interessiert.
Rampoldt liegen außerdem zwei Initiativbewerbungen von Ärztinnen vor, mit denen er über eine Zusammenarbeit sprechen wird.
Für die drei erfahrenen ehemaligen Praxisinhaber ist das nach den langen Jahren, in denen sich kein Kollege für ihre Praxen interessierte, eine neue Erfahrung: "Es gut zu wissen, dass es weitergeht für unsere Patienten."
"Ärzte sind am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt"
Thomas Rampoldt, Geschäftsführer der Ärztegenossenschaft Nord und der Ärztezentrum Büsum gGmbH, erläutert im Interview mit der Ärzte Zeitung die Vorteile des neuen Konzepts. Aus seiner Sicht orientiert es sich flexibel an Bedürfnissen nachrückender Ärztegenerationen.
Ärzte Zeitung: Seit dem 1. April arbeiten die Ärzte als Angestellte der Gemeinde Büsum. Warum ist das Modell der kommunalen Eigeneinrichtung eher geeignet, Ärzte in den Ort zu holen als das Modell der Einzelpraxen?
Thomas Rampoldt: Junge Ärztinnen und Ärzte wollen in einem Team arbeiten. Sie wollen Ihre Arbeitszeit flexibel gestalten, wollen sich mit Kollegen austauschen können und eher keine wirtschaftlichen Risiken eingehen. Daher ist die Gemeinschaftspraxis das favorisierte Arbeitsmodell.
Ob diese Gemeinschaftspraxis dann von einer Kommune als Gesellschafter getragen wird oder von einer Gruppe von Ärzten ist dabei eher zweitrangig.
Büsum investiert über eine Million Euro in das neue Ärztezentrum. Aus welchem Grund nimmt die Gemeinde denn so viel Geld in die Hand?
Rampoldt: Für Büsum als Badekurort ist die hausärztliche Versorgung (Badeärzte) von existenzieller Bedeutung. Viele Touristen kommen eben aufgrund der Anerkennung als Badekurort nach Büsum. Würde diese Anerkennung entfallen, wäre das Risiko der Touristenabwanderung sehr groß!
Die Ärztegenossenschaft managt das Zentrum und soll, wenn möglich, rote Zahlen vermeiden. Wie wollen Sie das in Zukunft erreichen?
Rampoldt: Vor dem Start des Projektes hatten wir in Büsum fünf hausärztliche Einzelpraxen, von denen wir vier zu einer Gemeinschaftspraxis zusammengeführt haben.
Wir gehen davon aus, dass wir die anfallenden Managementkosten allein aus Synergien aus der Zusammenführung refinanzieren können. Hierzu gehört auch, dass wir am Ende der Umbaumaßnahmen nur noch knapp drei Viertel des Raumbedarfs haben und den verbleibenden Teil untervermieten können.
Oft wird behauptet, angestellte Ärzte würden mit weniger Engagement arbeiten als selbstständige. Ist das schon zu spüren und ist das nicht eine große Gefahr für das wirtschaftliche Ergebnis der Einrichtung?
Rampoldt: Nein, das ist nicht zu spüren! Zum einen haben wir sehr engagierte Ärzte und MFAs in der Eigeneinrichtung beschäftigt. Außerdem sind die Ärzte alle über sogenannte "Profitcenterrechnungen" am wirtschaftlichen Erfolg der Eigeneinrichtung beteiligt. Je stärker der einzelne Arzt also zum wirtschaftlichen Erfolg der Eigeneinrichtung beiträgt, umso höher ist sein Gehalt.
Warum managt die Ärztegenossenschaft eigentlich ein solches Modell - werden damit nicht die Freiberuflichkeit und die Selbstständigkeit, die die Ärztegenossenschaft sich auf die Fahnen schreibt, zum Auslaufmodell?
Rampoldt: Nein, denn wir haben von Beginn an mit dem Gesellschafter, der Gemeinde Büsum, vereinbart, dass jeder angestellte Arzt auch das Recht hat, in die Freiberuflichkeit zu gehen. Die dafür benötigten Spielregeln sind in den Arbeitsverträgen enthalten.
Die Ärztegenossenschaft ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass die ambulante Versorgung durch selbstständige Ärzte getragen wird. Dennoch brauchen wir Alternativen zur Selbstständigkeit, denn wir müssen uns ja an den Bedürfnissen der nachrückenden Ärztegeneration orientieren. Und noch einmal: Die von uns jetzt etablierte kommunale Eigeneinrichtung kann natürlich an anderer Stelle auch einen anderen Träger haben, möglicher Weise in gar nicht ferner Zukunft auch ein Praxisnetz.
Auch in einigen anderen Regionen haben Ärzte zunehmend Probleme mit der Nachbesetzung ihrer Praxen und die Versorgungssituation wird sich damit verschärfen. Warum gibt es bislang noch keine vergleichbaren Modelle?
Rampoldt: Das Hauptproblem sind die Investitionskosten. Ärzte machen sich leider immer noch zu spät Gedanken um ihre Nachfolge. Zu Beginn haben wir ja schon über die recht hohen Investitionskosten gesprochen. Kurz vor Ende eines aktiven Berufslebens haben Ärzte natürlich kaum noch die Bereitschaft, mehrere hunderttausend Euro zu investieren.
Außerdem waren die Rahmenbedingungen in Büsum optimal. Ich glaube nicht, dass man das Modell einfach eins zu eins kopieren kann. Vergleichbare Modelle wird es geben, jedoch immer angepasst auf die regionalen Gegebenheiten. Das Interesse am Modell Büsum ist jedoch groß, sowohl bei Kommunen als auch bei Ärzten.
Das Interview führte Dirk Schnack.