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Warum der Brexit körperlich krank macht
Übelkeit und Kurzatmigkeit: Unser Blogger Arndt Striegler hat kürzlich mit seiner Hausärztin über seinen Gesundheitszustand und den Austritt aus der EU geredet – und einen Zusammenhang am eigenen Leib festgestellt. Die Ärztin ist sich sicher: Der Brexit macht die Menschen krank.
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LONDON. Um es gleich vorweg zu sagen: In meinem heutigen Brexit-Blog möchte ich ausnahmsweise gerne etwas weniger nachrichtenlastig und stattdessen mehr persönlich schreiben. Und das hat einen aktuellen Grund. Der Grund ist mein gestriger Besuch bei meiner Hausärztin hier in London und ein Gespräch mit ihr, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht......
Es fing an mit einem leichten Unwohlsein und Kurzatmigkeit morgens gleich nach dem Aufstehen. Nun bin ich zugegebenermaßen zwar kein Morgenmensch, doch in der Regel fühle ich mich morgens weder kurzatmig noch unwohl. Also rief ich in meiner Süd-Londoner Hausarztpraxis an, ließ mir von der freundlichen Sprechstundenhilfe einen Termin für die Mittagszeit geben und saß dann wenig später im Zimmer meiner Hausärztin, die mich seit mehr als 20 Jahren gut kennt und behandelt.
Ich berichtete von meiner Kurzatmigkeit und von einem allgemeinen Gefühl von Unwohlsein mit Symptomen wie Appetitlosigkeit, Müdigkeit und unerklärlichen Stimmungsschwankungen. Um es kurzzufassen: Weder meine Lunge wies irgendwelche Auffälligkeiten auf, noch schien mir körperlich sonst irgendetwas zu fehlen.
Wohlwissend dass ich eigentlich nicht der Patiententyp bin, der aus trivialen Gründen in die Sprechstunde kommt – die Briten nennen diesen Patiententyp gerne "the worried well" –, begannen wir zu reden. Über das Wetter, den Job und über den Brexit. Da die Praxis in einer Gegend liegt, in der viele Portugiesen ihr Zuhause haben, kannte meine Hausärztin die Brexit-Problematik und wie sich die derzeit doch sehr unsichere Lage für EU-Bürger in Großbritannien auf die Menschen auswirkt, aus zahllosen Patientengesprächen sehr gut.
"Ich erlebe das hier fast täglich"
Um mich abermals kurzzufassen: Meine Kurzatmigkeit, meine verspannten Schultern, die Schlaf- und Appetitlosigkeit – all dies hat etwas mit genau dieser großen persönlichen Unsicherheit zu tun, wie es für mich und rund 3,2 Millionen anderer EU-Bürger, die in Großbritannien leben und arbeiten, nach März 2019 weiter gehen wird. "Ich erlebe das hier fast täglich", berichtete meine Ärztin.
Sie schildert dann Fälle von gestandenen Männern, die ihr Leben lang noch nie Psychopharmaka brauchten, diese jetzt aber regelmäßig verordnet bekommen, weil sie dank Brexit-bedingter Zukunftsangst ständig angstvoll und niedergeschlagen sind.
Immerhin ist nach wie vor offen, ob EU-Bürger wie ich und meine portugiesischen Mitpatienten nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU im März 2019 überhaupt hier bleiben dürfen und wenn ja, zu welchen Bedingungen. "Das macht die Leute regelrecht krank", so meine Hausärztin. Und sie berichtet, dass andere Kolleginnen und Kollegen ähnliches aus ihren Praxen und Sprechstunden berichten.
Wut auf May macht krank
Der Brexit-Blog der "Ärzte Zeitung"
» Seit mehr als zwei Jahrzehnten berichtet Arndt Striegler für die „Ärzte Zeitung“ aus Großbritannien. Den Umbruch durch den Brexit spürt er am eigenen Leib – etwa als Patient im Gesundheitsdienst NHS.
» Die Versuchsanordnung ist einmalig: Ein von der Globalisierung geprägtes Gesundheitswesen soll renationalisiert werden. Das durchkreuzt Lebenspläne von Ärzten und Pflegekräften aus dem Ausland.
» Im Wochenrhythmus schildert Blogger Arndt Striegler, der seit 31 Jahren auf der Insel lebt, von nun an die politischen und kulturellen Folgen des Brexit.
» Lesen Sie dazu auch: "No News is good news? Von wegen!"
Und während wir 3,2 Millionen EU-Bürger seit dem Referendum Ende Juni 2016 quasi in einem luftleeren Raum schweben, was unsere Zukunft in diesem Land betrifft , legt unsere Regierungschefin Theresa May für vier Wochen lang die Arbeit nieder, um in Italien und anderswo zu wandern. Nice.
Auch darüber spreche ich mit meiner Ärztin. Ich schildere, wie ärgerlich ich über den fehlenden Fleiß der Londoner Politiker bei den Brexitverhandlungen bin. Ich sage Sätze wie: "Sollten die mich im März 2019 tatsächlich aus dem Land schmeißen ...". Meine Ärztin hört sich all das geduldig an und konstatiert: "Sie sind voller Ärger und Aggression, die sie verinnerlichen und die sie krank machen."
Ich stimme zu und was folgt, sind weitere gute fünf Minuten von Brexit-Diskussionen. Und dann geschieht etwas sehr bemerkenswertes. Nachdem sich Dr. Logan meine verbalen Attacken auf "diese Tory-Party" und "diese Frau in der Downing Street" geduldig angehört hat, schaut sie mich mit ernstem Blick an. "Sie sind voller Ärger und Aggression angesichts dessen, was da gerade politisch geschieht. Jetzt stellen sie sich mal vor, wie schuldig und voller Scham ich mich als gebürtige Engländerin fühle, wenn ich mir das Trauerspiel ansehe."
Plötzlich werden ihre Augen feucht und ihre Stimme beginnt, zu zittern. "Mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er das alles noch miterleben könnte. Wir waren und sind eine weltoffene Familie, die immer gerne international gedacht und gefühlt hat."
Der Brexit verändert gerade dieses Land und seine Menschen: Von Patienten, die besorgt zu ihrem Hausarzt gehen, bis zu Ärzten, die voller Traurigkeit und Schamgefühl sind.