Im Heim und depressiv

Wege aus der Negativspirale gesucht

Frankfurter Forscher wollen versuchen, die Zahl der Altenheimbewohner, die an Depressionen leiden, deutlich zu senken.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Heimbewohnerin: Gerade in Pflegeheimen werden Depressionen oft nicht erkannt.

Heimbewohnerin: Gerade in Pflegeheimen werden Depressionen oft nicht erkannt.

© Jiri Hubatka / imageBROKER / picture alliance

FRANKFURT/MAIN. Altern ist nichts für Feiglinge: Gesundheitlich geht es bergab, langjährige Weggefährten sterben weg, beglückende Erlebnisse sind rar, und der treueste Freund ist der Fernseher: Eigentlich, sagt der Tübinger Gerontopsychologe und Depressionsforscher Professor Martin Hautzinger, müssten 90 Prozent aller Alten depressiv sein, tatsächlich seien es aber viel, viel weniger.

Welche Strategien helfen uns, mit den Verlusten und Einschränkungen im Alter fertig zu werden, und wie lassen sich diese Ressourcen in der Therapie von depressiven Senioren nutzen?

Antworten auf diese Fragen gab Hautzinger auf der Auftaktveranstaltung des Forschungsprojekts DAVOS in Frankfurt am Main, das die Situation depressiv erkrankter Altenpflegeheimbewohner nachhaltig verbessern soll, erst zum Schluss.

DAVOS steht für „Depression im Altenpflegeheim – Verbesserung der Behandlung durch ein gestuftes kollaboratives Versorgungsmodell“.

Trägerin des vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für drei Jahre mit 1,4 Millionen Euro geförderten Projekts ist das Frankfurter Forum für Interdisziplinäre Alternsforschung.

Beteiligt sind aber auch diverse Kooperationspartner. Unter anderem zehn Altenpflegeheime der Träger Frankfurter Verband und Agaplesion Markus Diakonie mit insgesamt 1250 Plätzen.

Depressionen: Prävalenz von 7,2 Prozent bei über 75-Jährigen

DAVOS

Zehn Pflegeeinrichtungen aus Frankfurt mit 1250 Pflegeplätzen nehmen teil.

1,4 Millionen Euro verteilt auf drei Jahre fließen aus dem Innovationsfonds des GBA in das Projekt.

Depression Case Manager sind zentraler Bestandteil des Projekts.

Eine Pflegefachkraft im jeweiligen Heim soll Case-Manager(in) sein. Dafür wird sie zehn Stunden pro Woche von ihren sonstigen Aufgaben entbunden. Sie ist Schnittstelle zwischen Patient und Forschern.

Nach demenziellen Erkrankungen sind Depressionen die zweithäufigste psychiatrische Erkrankung bei älteren und hochbetagten Menschen.

„Bei den über 75-Jährigen beträgt die Prävalenz 7,2 Prozent“, sagte die Diplom-Psychologin Dr. Valentina Tesky, Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Altersmedizin mit Schwerpunkt Psychogeriatrie und klinische Gerontologie der Goethe-Universität, beim Startschuss von DAVOS.

„Während sich die Zahl depressiver Senioren, die daheim leben, mit fünf bis zehn Prozent nicht wesentlich vom Durchschnitt der Allgemeinbevölkerung unterscheidet, sind es bei den Pflegeheimbewohnern zwischen 25 und 45 Prozent.“

Von den an einer Depression erkrankten Bewohnern in Altenpflegeheimen, so Tesky, erhielten nur 40 Prozent eine ärztliche Diagnose. „Das liegt häufig daran, dass die klassischen Symptome einer Depression – Freudlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit – von unspezifischen körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Rückenschmerzen, Schwindel sowie Magen-Darmerkrankungen überlagert werden.“

Nur die Hälfte der Heimbewohner mit einer klar diagnostizierten Depression erhalte eine adäquate Therapie, berichtete sie, obwohl depressive Erkrankungen auch im höheren Lebensalter gut zu behandeln seien.

Vor allem Versorgungsdefizite seien der Grund dafür, dass es für depressive Alten- und Pflegeheimbewohner weniger Angebote gibt als für Demenzkranke, erklärte Professor Johannes Pantel, Leiter des Arbeitsbereichs Altersmedizin am Institut für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität.

Bei einer erfolgreichen Evaluierung des Modellprojekts wolle man dem GBA unter anderem empfehlen, die derzeit geltenden Bestimmungen dahingehend zu lockern, dass Psychotherapeuten künftig ihre Gespräche ohne Einschränkungen auch in den Alten- und Pflegeheimen führen dürfen.

 "Depression Case Manager"

DAVOS setzt im Wesentlichen auf die Schulung ausgewählter Pflegekräfte zu sogenannten „Depression Case Manager“. Sie bilden die Schnittstelle zwischen den jeweiligen Einrichtungen, den beteiligten Ärzten, Psychologen und Projektteilnehmern.

In einem ersten Schritt screenen die Case Manager sämtliche am Projekt teilnehmenden Altenpflegeheimbewohner nach standardisierten Verfahren auf eine Depression. Damit sollen frühzeitig auch leichte Symptome erkannt werden, bevor sie sich manifestieren. Wer an einer Depression leide, erläuterte der Diplom-Psychologe Arthur Schall, erhalte eine leitliniengerechte Therapie mit einem abgestuften Behandlungsplan.

Ab Dezember werden zunächst die Bewohner der Heime befragt, das eigentliche Projekt startet im März 2019 zunächst in drei Einrichtungen, im Juli und Oktober folgen die anderen, und Mitte 2020 soll es eine letzte Befragung der Teilnehmer geben. Neben den Angehörigen und gesetzlichen Betreuern seien auch die Haus- und Fachärzte der Senioren engmaschig eingebunden.

Wo man bei einer Therapie depressiver Senioren am besten ansetzt, beschrieb der Tübinger Depressionsforscher Hautzinger zum Ende der DAVOS-Auftaktveranstaltung.

„Vor allem indem man sie dabei unterstützt, ihre Passivität und ihre negative Denkweise zu überwinden, ihre realen Schwierigkeiten anzuerkennen und diesen entgegenzuwirken, indem man sie sicherer macht und ihre Kompetenzen stärkt und ihnen dabei hilft, vergangenes Leid besser zu bewältigen.“

Lesen Sie dazu auch: Im Heim und depressiv: Wege aus der Negativspirale gesucht Depressionen im Alter: „Wir haben ein eklatantes Versorgungsdefizit“ Depressive Senioren: Typische Symptome fehlen meist

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