Überraschung in Thüringen

Weniger freie Arztsitze als gedacht

Damit hatte in Thüringen niemand gerechnet: Statt mehr wird es bald deutlich weniger offene Kassensitze für Hausärzte im Freistaat geben.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:

WEIMAR. Basierend auf den seit Jahresbeginn geltenden, bundesweiten Vorgaben zur Bedarfsplanung hat der Verband der Ersatzkassen (vdek) für Thüringen nur noch 77 freie Sitze für Hausärzte errechnet.

Aktuell stehen noch 217 Niederlassungsmöglichkeiten zur Verfügung - mehr als doppelt so viele.

Werden beispielsweise in Erfurt bislang 21 Hausärzte gesucht, sind es nach der neuen Bedarfsplanung voraussichtlich nur noch drei. Von zukünftig 34 Planungsbereichen (bisher 20) sind demnach 16 gesperrt (siehe Karte unten).

Demografie-Faktor wurde abgeschwächt

Die Ergebnisse überraschen vor allem angesichts seit Jahren anhaltender Warnungen vor Ärztemangel und Versorgungsnotstand.

Ursprünglich, erklärte KV-Vize Thomas Schröter in der letzten Vertreterversammlung, sei vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) eine steigende Zahl von Arztsitzen in Aussicht gestellt worden. Auch erste Zahlen der KV ließen aber erwarten, dass es in vielen Bereichen zu einer Reduzierung kommen werde.

Dies habe mehrere Ursachen: Zum einen wurde das Verhältnis von Einwohnerzahl je Arzt nach oben korrigiert.

Es liegt nunmehr bundesweit einheitlich bei 1671 Einwohnern pro Hausarzt. Gleichzeitig wurde der Demografie-Faktor abgeschwächt, was insbesondere in Thüringen durchschlägt.

Vdek-Landeschef Arnim Findeklee sieht die Korrekturen gelassen: "Wahrscheinlich wird die Anwendung der neuen Grundsätze zu einer realistischeren Blickweise führen. Es macht keinen Sinn, für einzelne Landkreise mehr als 20 freie Arztsitze auszuweisen, die auf absehbare Zeit sowieso nicht besetzt werden können."

Wahrscheinlich sei der Bedarf in der Vergangenheit zu hoch veranschlagt worden. Dass Hausärzte bestimmte Regionen gemieden haben, hätte wohl auch daran gelegen, dass die "individuelle Bedarfsplanung" fehlende Perspektiven ergab.

Endgültige Berechnungen nicht vor Juni

Thüringens KV-Chefin Annette Rommel warnte vor voreiligen Schlüssen. Die vdek-Berechnungen seien "sicherlich zulässig, aber unglücklich".

Die endgültigen Berechnungen seien nicht vor Anfang Juni zu erwarten.

Das Gesundheitsministerium will ebenfalls noch einmal einen Blick darauf werfen. Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) schätzt die neue Bedarfsplanung ambivalent ein: "Es sind positive als auch negative Effekte zu erwarten."

Deutlich profitieren werden einige Facharztgruppen und vor allem Psychotherapeuten, für die insgesamt gut 100 zusätzliche Niederlassungen möglich sein werden.

Da bereits viele Bewerber bei der KV auf der Warteliste stehen, sei mit einer raschen Verbesserung der Versorgung in Thüringen zu rechnen, sagte Taubert.

Die geringere Zahl freier Hausarztsitze möge zwar "im ersten Moment befremden, ändert jedoch nichts an der tatsächlichen Versorgungssituation. Es ist schwierig, Hausärzte für eine Niederlassung zu gewinnen. Dabei ist es völlig unerheblich, wie hoch die Anzahl offener Arztsitze planungstechnisch beschrieben wird".

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Kommentare
Dr. Cornelia Karopka 12.03.201315:53 Uhr

Traue keiner Statistik...

Wo auch immer der VdEK seine Zahlen her hat, schaut man nach den offiziellen Statistiken des Statistischen Bundesamtes und denen des statistischen Landesamtes Thüringen, dann wären bei 2,2 Mio Einwohnern in Thüringen und dem Wert 1671 EW/Hausarzt 1325 Hausärzte nötig- ohne Berücksichtigung jeglichen Demografiefaktors. Ist-Stand nach langen recherchen 1100, fehlten mithin 225. Berücksichtigt man dann, dass der Anteil an Altersgruppen >45 Jahre in Thüringen bei 64% liegt, bundesweit bei 49,95%, dann sieht man, Thüringen ist ein Land mit überdurchschnittlich vielen Alten und damit auch Multimorbiden.
Vielleicht hat der VdEK auch nur die eigenen Mitgliederzahlen zugrunde gelegt, die sind in Thüringen definitiv nicht repräsentativ, da die Primärkassen eine übergroße Rolle spielen.
Also bleiben wir erst mal gelassen, an der Situation in Ostthüringen hat sich auch nach den neuen Berechnungen nichts verbessert. Wie sollte es auch bei der Altersstruktur, Arbeitslosenquote und Perspektivlosigkeit in dieser Region.

Dr. Karlheinz Bayer 12.03.201312:07 Uhr

man sollte die Demographie neu bedenken


die Zahlen aus Thüringen überraschen nicht wirklich. Statt von Anfang an den Versorgungsbedarf, und damit den Quotient Arzt pro Einwohner zu beachten, hat man mehr auf die Wünsche der Kommunen gehört, die natürlich an jeder Ecke am liebsten einen Arzt haben möchten.
Also hat man sich, statistisch vollkommen unseriös, der "demographischen Entwicklung" bedient und nicht mehr beachtet, wie der Ist-Zustand ist, sondern einen Soll-Zustand in 30 oder 40 Jahren hochgerechnet.

Im Grunde genommen ist die ehrliche Bedarfsanalyse damit einem obskuren Augurentum gewichen.

Es ist gut, daß Thüringen jetzt damit beginnt, des Kaisers neuer Kleider kritisch zu betrachten. Und ich hoffe inständig, daß Methode auch bald in allen anderen Bundesländern um sich greift.

Ich kenne Thüringen gut und Baden-Württemberg besser, bin mir deshalb sicher, daß die Lage in Baden-Württemberg eher noch drastischer ausfällt, sobald man tatsächliche Zahlen statt Wünschen und Theorien anwendet. Bayrische und hessische Kollegen, mit denen ich Kontakt habe, fühlen auch dort die gleiche Diskrepanz.

Viel mehr Klarheit ist deswegen so wichtig, weil es sein kann, daß man derzeit Hausärzte auf Halde auzubildet. Wenn die sich tatsächlich auf Phantomrechnungen verlassen, werden wir in wenigen Jahren keinen Ärztemangel, dafür einen Berg von Privatinsolvenzen haben.

Dr.Karlheinz Bayer, Bad Peterstal

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