„Digitale-Versorgung-Gesetz“

Wer hebt den Schatz der GKV-Daten?

Am Mittwoch legen Gesundheitspolitiker letzte Hand an das DVG. Die Koalition will den Umgang mit Sozialdaten zu Forschungszwecken neu ordnen – Kritiker warnen vor Lücken.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Die Sozialdaten von 73 Millionen GKV-Versicherten gelten als Goldgrube für Wissenschaftler.

Die Sozialdaten von 73 Millionen GKV-Versicherten gelten als Goldgrube für Wissenschaftler.

© Zerbor / stock.adobe.com

Berlin. Wenn der Bundestag am Donnerstag das Digitale-Versorgung-Gesetz beschließt, werden nach dem derzeitigen Entwurf die Daten von rund 73 Millionen GKV-Versicherten für einen großen Kreis von Akteuren in pseudonymisierter Form verfügbar.

Die Sozialdaten der Kassen, so heißt es im Entwurf, sind eine „wertvolle Datenquelle nicht nur für die Steuerung und Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in der GKV, sondern auch für die wissenschaftliche Forschung“. Künftig sollen die Daten direkt von der Einzelkasse zum GKV-Spitzenverband wandern, dieser dient als Datensammelstelle. An dem Vorhaben entzündet sich Kritik, je näher die geplante Verabschiedung des Gesetzes rückt.

19 Akteursgruppen mit Datenzugriff

Tatsächlich haben sowohl der Bundesrat als auch Sachverständige seit Wochen vor den Risiken und Nebenwirkungen der Neuregelung gewarnt. Allein 18 Akteure sind im Entwurf genannt, die Zugriff auf die Sozialdaten erhalten sollen. Mit einem Änderungsantrag sollen nun noch die Unikliniken hinzukommen. Deutlich gelockert werden soll der unmittelbare Forschungsbezug, der bisher nötig war, um Datensätze zu erhalten. Künftig erweitern laut DVG generalartige Klauseln die möglichen Nutzungszwecke, von der Qualitätssicherung über die Gesundheitsberichterstattung bis hin zur „Unterstützung politischer Entscheidungsprozesse“.

Der Bundesrat meldete in seiner Stellungnahme „erhebliche Bedenken“ an, ob der Neuansatz im Umgang mit Sozialdaten noch vom „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte der Versicherten“ gedeckt ist. Ausdrücklich möglich soll es künftig sein, Antragstellern auch „aggregierte Datensätze mit kleinen Fallzahlen“ zu übermitteln. Selbst der Zugriff auf Einzeldatensätze „kommt nicht mehr nur als Ausnahmefall in Betracht“, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.

Weitere Interessenten an den Daten stehen vor der Tür. „Wir empfehlen ganz deutlich, dass das Verbot der Weitergabe von Daten (...) auch an Unternehmen gestrichen wird“, sagte Sebastian Zilch vom Bundesverband Gesundheits-IT – bvitg bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss im Bundestag. Denn die Verwertung dieser Daten könne „dabei helfen, dass die Anbieter digitaler Gesundheitsanwendungen Nutzenbelege erbringen können“, warb Zilch.

Dass pseudonymisierte Daten sicher sind, bezweifelte Professor Dominique Schröder bei der Anhörung. Der als Sachverständiger geladene Informatiker lehrt angewandte Kryptologie an der Universität Nürnberg. Es gebe viele Beispiele aus der IT-Sicherheit, bei denen gezeigt wurde, wie Daten deanonymisiert werden können. „Das geht wirklich wunderbar“, versicherte Schröder. Er plädierte dafür, dass Forscher nur mit verschlüsselten Sozialdaten arbeiten dürfen. „Das funktioniert, wir sind in der Forschung schon zu weit.“

Chancen und Risiken im Widerstreit

Indes werden Chancen und Risiken der intensiveren Forschung mit Sozialdaten vor der Entscheidung des Bundestags konträr diskutiert. Professor Erwin Böttinger, Leiter des Digital Health Centers am Hasso-Plattner-Institut, erinnerte, je mehr hochwertige, sektorenübergreifende Langzeitdaten in der Forschung zur Verfügung stünden, „desto besser können wir maßgeschneiderte Lösungen anbieten“.

EU-Staaten wie Finnland oder Estland, die ebenfalls der Datenschutzgrundverordnung unterliegen, hätten „nationale Forschungsdatenbanken mit großer Unterstützung der Bevölkerung eingerichtet“. Dagegen kommt Westfalen-Lippes Kammerpräsident Dr. Theodor Windhorst zu einem anderen Fazit: Die Chancen der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung dürften „nicht zulasten des individuellen Selbstbestimmungsrechtes der Patienten gehen“.

Lesen Sie auch:

Digitale-Versorgung-Gesetz

  • Bereits 2012 hat die damalige Bundesregierung im Versorgungsstrukturgesetz den Versuch unternommen, den Datenschatz in der GKV heben zu lassen – mit begrenztem Erfolg.
  • Der Umweg der Datenlieferung über das Bundesversicherungsamt soll künftig entfallen. Die Daten sollen von der Kasse dem GKV-Spitzenverband als „Datensammelstelle“ zur Verfügung gestellt werden.
  • Im neu zu schaffenden Forschungsdatenzentrum soll unter anderem die jahrgangsübergreifende versichertenbezogene Zusammenführung der Daten erfolgen.
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